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Chinesische Erfindungen - Ausstellung in Hildesheim


Bekannt ist das Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum vor allem für seine ägyptischen und gräko-romanischen Altertümer. Es birgt aber auch kostbare chinesische Bestände, allen voran eine Sammlung blauweiß und polychrom bemalten Porzellans aus dem 15. bis 19. Jahrhundert, die Ernst Ohlmer – ein Bürger der Stadt – in mehr als vier Jahrzehnten als hoher Zollbeamter in verschiedenen Städten Chinas zusammengetragen hat.

So hatten schon die Präsentationen von Grabfunden aus dem klassischen China 1981 und von Schätzen Chinas aus Museen der DDR 1990 ein passendes Umfeld. Die jetzt laufende große Schau von chinesischen Erfindungen aus fünf Jahrtausenden steht freilich mehr noch in der Tradition Hildesheimer Sonderausstellungen zu den Weltkulturen: "Echnaton – Nofretete – Tutanchamun" 1976, "Sumer – Assur – Babylon" 1978 und "Die Welt der Maya" 1992.

"China – eine Wiege der Weltkultur" belegt einmal mehr, daß viele zivilisatorische Errungenschaften in Fernost früher als in Europa aufkamen. Die Ausstellung ist in 20 Sachbereiche gegliedert; außer typischen Themen wie Seidenraupenzucht, Porzellanherstellung oder Papier, Kalligraphie und Buchdruck sind einzelne Sektionen unter anderem der Astronomie und Kalenderkunde, der Metallurgie, der Navigation und Schifffahrt, der Architektur sowie der Landwirtschaft gewidmet.

Den hohen Stand früher Fertigungstechniken veranschaulichen insbesondere die in Form und Dekor geradezu vollkommenen Gegenstände aus dem Besitz der Fürsten der Han-Zeit (2. vorchristliches Jahrhundert). Unter den 60 Objekten aus den Königsgräbern von Mancheng in der Provinz Hebei, die erstmals in Deutschland gezeigt werden, sticht eine Palastlampe aus vergoldeter Bronze in Gestalt einer knieenden Dienerin (Bild 1) hervor sowie – Prunkstück der Hildesheimer Ausstellung – das Totengewand der Prinzessin Dou Wan (Bild 2); es besteht aus 2160 mit Goldfäden verbundenen Jadeplättchen (die als Jade bezeichneten grünlichen Augitminerale Jadeit und Chloromelanit sollten Unsterblichkeit verleihen).

Kunstvolle Bronze-Metallurgie belegt ein rituelles Weingefäß (Bild 3) aus der Shang-Zeit (17. bis 11. vorchristliches Jahrhundert). Es wurde nicht im Wachsausschmelzverfahren gegossen, sondern in mehrteiligen Tonformen, die bereits alle wesentlichen Elemente des Dekors enthielten.

Auch mit dem Eisenguß waren die Chinesen den Europäern voraus. Vom 6. vorchristlichen Jahrhundert an ackerten sie zum Beispiel mit eisernen Pflugscharen, die nach Aufkommen des schmiedbaren Eisens drei Jahrhunderte später zu einem guan genannten Typ weiterentwickelt wurden: Eine aufgesetzte Stahlkappe verhinderte rasche Abnutzung. In Verbindung mit dem stabilen Winkelrahmen der Pflüge, dem Streichbrett und der Griessäule zum Einstellen der Arbeitstiefe verfügten die Chinesen fortan über ein Gerät, mit dem intensive Landwirtschaft auch auf schweren Böden und im Bereich des südchinesischen Naßreis-Anbaues möglich war. Dazu trug des weiteren die Erfindung der Drillmaschine mit mehreren Saatleitungen für eine kontrollierte Aussaat in Reihen im 2. vorchristlichen Jahrhundert bei. Transportprobleme löste die rund einhundert Jahre danach erfundene Schubkarre. Für das Abendland waren dies noch zu Beginn der Neuzeit technologische Innovationen.

Eines der vielen von den Chinesen gehüteten Geheimnisse betraf die Lackherstellung. Nach literarischen Quellen soll bereits der legendäre Kaiser Yu Ti Shun im 23. vorchristlichen Jahrhundert eine lackierte Eßschale benutzt haben. Lack, aus dem Harz des in Ostasien heimischen Lacksumachs (Rhus verniciflua) gewonnen, schmückte und schützte überwiegend Gebrauchsgegenstände. Die frühe Verbreitung von Lackarbeiten in China belegen zahlreiche Funde aus der Zeit der Streitenden Reiche (5. bis 3. vorchristliches Jahrhundert).

Von einem gedrehten Becher in Eierschalenkeramik aus dem dritten Jahrtausend vor Christus bis zu einer der überlebensgroßen Terrakotta-Kriegerfiguren aus dem Grabkomplex des ersten Kaisers von China, der 210 vor Christus bestattet wurde, dokumentieren in der Ausstellung Grabbeigaben die hochentwickelte Technik früher Töpfer. Unter anderem geben tönerne Architekturmodelle aus der Han-Zeit (206 vor bis 220 nach Christus) auch einen Einblick in die Welt der Lebenden dieser Zeit. Monochrome Seladonkeramiken aus dem 11. Jahrhundert und buntglasierte Firstziegel aus der Ming-Zeit (1368 bis 1644) bezeugen die technische und ästhetische Weiterentwicklung der Keramik.

Grabbeigaben wie Kamele, Pferde und Reiter aus dreifarbig glasierter Keramik vermitteln einen Eindruck vom alltäglichen Reisen auf der sogenannten Seidenstraße. Der Handel auf diesem System von Karawanenwegen blühte besonders im 7. bis 9. Jahrhundert. Der Austausch mit den westlichen Nachbarn war freilich nicht nur merkantiler Art – dabei war auch der Buddhismus einige Jahrhunderte zuvor ins Reich der Mitte gelangt.

Seide und Seidenweberei waren in China seit dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend bekannt. In der Ausstellung sind sie vertreten durch mehrere rare, vollkommen erhaltene Prachtroben aus dem 17. und 19. sowie Fragmente von Seidenstoffen aus dem 13. Jahrhundert.

Ein im Blockdruckverfahren reproduziertes Sutra aus dem 9. Jahrhundert steht für die weite Verbreitung früher Druckerzeugnisse. Manche erreichten wenig später Auflagen von mehreren Millionen Exemplaren; und um 1045 erfand der Chinese Bi Sheng, ein Mann ohne akademischen Grad, den Druck mit beweglichen Lettern – rund 500 Jahre vor Johannes Gutenberg.

Auch der Franziskaner Konstantin Anklitzen, besser bekannt als Berthold Schwarz, der angeblich das Pulver erfand, ist bestenfalls Zweiter. Die brisante Mixtur hatten daoistische Mönche schon um das 9. Jahrhundert hergestellt, und wenige Jahrzehnte danach wurde dieses "chemische Feuer" in China auch militärisch genutzt. Die Ausstellung zeigt dazu zwei Kanonen aus der frühen Ming-Zeit.

Eine verkleinerte Nachbildung der von dem Hofastronomen Guo Shuojing gebauten Armillarsphäre aus dem Jahre 1276 schickte das Alte Observatorium in Peking. Das Konstruktionsprinzip geht auf das 4. Jahrhundert vor Christus zurück. Erst das Teleskop verdrängte im 17. Jahrhundert dieses Instrument bei der Bestimmung der Koordinaten einzelner Himmelskörper.

Schließlich sei eine überlebensgroße Bronzestatue aus dem Jahre 1443 erwähnt: die älteste erhaltene Übungsfigur für angehende Akupunkteure. Auf dem männlichen Körper sind 359 Punkte markiert.

In der Hildesheimer Ausstellung sind nahezu 300 Objekte versammelt, darunter Leihgaben aus vier Museen und Forschungsinstituten der Volksrepublik China. Sie ist bis zum 27. November täglich von 10 bis 18 Uhr (mittwochs bis 20 Uhr) geöffnet.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1994, Seite 123
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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