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Magnetometrie: Computertomographie für Archäologen

Magnetische Minerale im Boden eröffnen – ohne einen Spatenstich – einen Blick auf verborgene Reste archäologischer Siedlungen.


Es erinnert an bildgebende Verfahren der Medizin: Magnetometer gewähren heute einen scharfen "Blick" in die oberste, etwa ein bis zwei Meter starke Bodenschicht und offenbaren bislang verborgene Spuren einstiger Siedlungen. Keine Grabung, keine Sondagen, dazu noch kostengünstig – ein Traum für Denkmalpfleger, deren Aufgabe das möglichst ungestörte Erfassen und Bewahren solcher Orte ist.

Was da auf Computermonitoren erscheint, sind minimale Schwankungen des magnetischen Feldes der Erde, mit hochwertigen Messgeräten im engen Raster aufgenommen, als Graustufen Bildpunkt für Bildpunkt dargestellt, kontrastverstärkt dank digitaler Bildverarbeitung und Filterung. Cäsiummagnetometer, die genauesten Systeme derzeit, messen auf fünf Picotesla genau, das ist weniger als ein Millionstel des Erdmagnetfeldes (dessen Stärke beträgt in Europa zwischen 40 und 55 Mikrotesla). Sie bestimmen die Aufspaltung von Spektrallinien im Magnetfeld (Zeeman-Effekt). Weil die Geräte für eine Messung nur eine zehntel Sekunde brauchen, lassen sich ein bis zwei Hektar große Flächen mit einer Auflösung von 50 mal 25 Zentimetern innerhalb eines Tages im Gelände erfassen.

Einige Störquellen beeinflussen das Erdmagnetfeld stärker als die Denkmäler im Boden: Seine Wechselwirkung mit dem Sonnenwind ändert sich im Tagesverlauf aufgrund der Erddrehung um bis zu 0,1 Mikrotesla; magnetische Stürme bei Sonnenfleckenmaxima überlagern das Feld; Stromanlagen, Eisenbahnstrecken sowie Stahlkonstruktionen in Gebäuden und Industrieanlagen machen sich ebenfalls bemerkbar.

Sind diese Störquellen weit genug entfernt, werden sie auf dem untersuchten Gelände konstant sein, lassen sich also durch Differenzmessungen eliminieren (in der Praxis bleibt eine Sonde an einer festen Position, mit der zweiten geht der Prospektor das Gelände ab). Eisenobjekte im Boden selbst überdecken allerdings nicht korrigierbar das Messsignal. Nachdem alle Störquellen ausgeschaltet sind, kommen als Ursache von Anomalien des Erdmagnetfeldes nur noch Eisenoxide in Oberflächenschichten des Bodens in Frage. Geologen nutzen dieses Verfahren deshalb, um beispielsweise Erz- oder Rohölvorkommen zu entdecken. Doch warum eigentlich funktioniert es auch in der Archäologie?

Seit dem 19. Jahrhundert ist bekannt, dass gebrannter Ton schwach magnetisch ist. Ton, wie auch Gestein und Boden, enthalten Eisenoxide, die sich bei Erhitzen durch chemische Prozesse zu Maghemit oder Hämatit umwandeln. Die Magnetisierung prägt sich auf, wenn die Keramik im Erdmagnetfeld abkühlt. Dieses Wissen nutzten Martin Aitken und Edward Hall vom Research Laboratory for Archaeology in Oxford 1958, um an der Baustelle der Autobahn A1 Nordroute in Peterborough (England) nach vermuteten römischen Töpferöfen zu fahnden.

Geheimnisvolle Bakterien


Diese ersten Magnetometer-Messungen in der Archäologie folgten einem vergleichsweise groben Messraster von 1,5 mal 1,5 Meter Punktabstand. Um eine Fläche von fünf Hektar zu untersuchen, benötigten die Wissenschaftler eine Woche. Zwar haben sie dabei nur einen Töpferofen entdeckt, doch in einer Vielzahl weiterer Messungen erwies sich die Methode überraschenderweise als empfindlich genug, um auch Gräben und Gruben zu finden. Vermutlich bestand deren Füllmaterial zu einem großen Teil aus Tonscherben, so die erste Erklärung.

Bereits 1955 hatte der französische Geophysiker Eugène Le Borgne solche Anreicherungen magnetischer Minerale im Oberboden und an archäologischen Fundstätten entdeckt. Er fand eine andere Deutung: Ferrimagnetischer Maghemit entsteht bei Waldbränden und an Feuerstellen aus Hämatit, Goethit oder Lepidokrokit durch die reduzierende Wirkung von Hitze. Mit der Zeit verteilt er sich im Oberboden und gelangt auch in Abfallgruben und Gräben. Diese Brandhypothese vermochte aber nicht zu erklären, warum wir seit Mitte der achtziger Jahre mit dem Cäsiummagnetometer auch die Verfüllung von Pfosten und Palisaden in Lössböden entdecken.

Denn Holz ist zunächst gar nicht, der Boden nur schwach magnetisch. In Material aus Pfostenlöchern ließ sich aber reinster Magnetit – nicht Maghemit – aufspüren, obwohl er nachweislich geochemisch dort gar nicht entstehen konnte. Das Elektronenmikroskop enthüllte ein auffällig enges Größenspektrum seiner Kristalle von 40 bis 100 Nanometern. Der Magnetit war weitgehend identisch mit dem bestimmter Magnetofossilien: Bakterien, die sich am Erdmagnetfeld ausrichten, indem sie Ketten von Magnetitkristallen ausbilden.

Dass solche Bakterien in Böden existieren, haben wir 1990 belegt. Sie nutzen das Feld vermutlich als "Schwimmhilfe": Da sie sich im Wasser des Erdreichs fortbewegen, das bei einer Größe dieser Lebewesen von Millimeter-Bruchteilen ähnlich zäh ist, wie Honig für einen menschlichen Schwimmer, hilft die Ausrichtung, einen Zickzack-Kurs zu vermeiden und so den Weg in nährstoffhaltige Schichten des Oberbodens zu verkürzen. Die Bakterien sammelten sich in Abfallgruben, Gräben, aber auch in Pfosten- und Palisadenlöchern, starben und hinterließen den Magnetit.

Und so werden beispielsweise neolithische Kreisgrabenanlagen wie die in Steinabrunn (Niederösterreich) im Magnetogramm sichtbar. Diese Rondelle entstanden etwa 5000 vor Christus, rund 2000 Jahre vor dem Bau der Pyramiden von Gizeh. Einige hatten mehr als 100 Meter Durchmesser und waren von bis zu fünf Metern tiefen Gräben umgeben. Diese ältesten Monumentalbauwerke Europas standen in der heutigen Slowakei, Böhmen, Niederösterreich, in Niederbayern, Franken und den neuen Bundesländern vielfach im Zentrum großer Siedlungsplätze. Ihre Funktion ist umstritten: Waren sie Kultplatz oder dienten sie durch ihre Ausrichtung auf astronomische Marken der jahreszeitlichen Orientierung? Die Magnetometrie wird helfen, durch neue Informationen diese Fragen zu beantworten.

Eine Stadt in der Steppe


In einer Kooperation mit russischen und deutschen Archäologen gelang uns 1999 eine kleine Sensation: Der erste Nachweis einer stadtähnlichen Siedlung der Skythen auf einer Fläche von etwa zehn Hektar. Bislang galt dieses Volk der eurasischen Steppe im 1. Jahrtausend vor Christus als rein nomadisch. Als einzige Hinterlassenschaft war eine Vielzahl reichhaltiger und in der Steppe weit sichtbarer Grabstätten bekannt. Vor rund zwanzig Jahren hatten Testgrabungen russischer Archäologen etwa 50 Kilometer südlich von Barabinsk in Sibirien, Keramik und Metallobjekte der Skythen zu Tage gefördert, die auf eine vielleicht nur zeitweilig genutzte Ansiedlung deuteten.

Die Magnetometerprospektion lieferte nun den ersten Beleg einer planmäßig angelegten, protourbanen Siedlung. Diese Anlage orientierte sich an der einen Seite zum Ufer eines fischreichen Sees. Ihr Kern bestand aus einer Art Zitadelle, etwa ein Hektar groß, in der 15 so genannte Grubenhäuser standen – etwa 70 Zentimeter in den Boden eingetiefte Wohn- oder Speichergebäude. Solche vor Kälte gut schützenden Gebäude waren auch in Westeuropa ab der Bronzezeit bis ins späte Mittelalter häufig anzutreffen. Um diesen Kern herum schlossen sich, abgegrenzt durch einen etwa ein bis zwei Meter tiefen Graben, weitere 96 Grubenhäuser an, die mit Seitenlängen von zehn bis zwölf Metern allerdings ungewöhnlich groß waren. Weitere Details soll eine Grabung liefern, die derzeit als russisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt durchgeführt wird.

"Magnetpläne" lassen sich mit Plänen ergrabener Anlagen durchaus vergleichen. Spezifische Strukturen und Elemente erlauben dann die grobe Zuordnung zu einer Zeit- und Kulturstufe, ohne das Denkmal anzutasten. Eine vorbereitende Prospektion steigert auch die Effizienz jeder Forschungsgrabung, denn die detaillierten "Magnetpläne" helfen, Fundplätze auszumachen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2000, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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