Direkt zum Inhalt

Das Energiesparprojekt Reichstag



Nachdem die Entscheidung gefallen war, daß der Deutsche Bundestag von Bonn nach Berlin umziehen und dort seinen Sitz im Reichstag nehmen würde, wurde die Umgestaltung dieses historischen Gebäudes in einem offenen Wettbewerb ausgeschrieben. Zusammen mit dreizehn weiteren Architekten aus dem Ausland waren wir eingeladen, uns an dem Wettbewerb zu beteiligen, den wir schließlich gewannen. Unsere Herangehensweise, den Reichstag umzugestalten, basiert auf vier grundlegenden Annahmen: unserer Überzeugung, daß es sich bei dem Deutschen Bundestag um eines der wichtigsten demokratischen Foren der Welt handelt; unserem festen Entschluß, den Prozeß des Regierens zugänglicher zu machen; unserem Verständnis von Geschichte als einer Kraft, die Gebäude ebenso prägt und gestaltet wie das Leben von Nationen; und unserer von Leidenschaft getragenen Verpflichtung zu Niedrigenergie und Umweltfreundlichkeit, den beiden Fundamenten der Architektur der Zukunft.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist Deutschland führend in der Umweltgesetzgebung; es spornt dazu an, die erneuerbaren Energien zu nutzen. Von Anbeginn an war es unser Ziel, das Potential für Nachhaltigkeit in öffentlichen Gebäuden zu demonstrieren – und zwar anhand einer Gebäudestruktur, die als das i-Tüpfelchen der deutschen demokratischen Verfassung angesehen werden kann. Es sollte aus Verantwortung für die Umwelt praktisch emissionsfrei sein. In Zusammenarbeit mit Kaiser Bautechnik und Kühn Bauer und Partner sowie in Verbindung mit der deutschen Bundesregierung entwarfen und entwickelten wir dafür den architektonischen Aufriß. Die Europäische Gemeinschaft hat die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für diesen Prototypen einer nachhaltigen Architektur sehr gefördert und finanziell unterstützt.

Für die Rekonstruktion des Reichstags schlugen wir vor, extensiv Gebrauch von dem natürlich vorhandenen Tageslicht zu machen und die natürliche Luftzirkulation auszunutzen, beides im Zusammenspiel mit kombinierten Systemen aus Kraft-Wärme-Kopplung und Wärmerückgewinnung. So gelingt es, mit einem minimalen Energiebetrag einen maximalen Effekt bei geringsten Verbrauchskosten zu erreichen. Da das neue Reichstagsgebäude selbst einen sehr moderaten Energieverbrauch aufweist, ist es in der Lage, für die umliegenden neuen Regierungsgebäude selbst wie ein kleines Kraftwerk zu wirken und sie mit Energie zu versorgen.

Die neue Kuppel des Reichstags, die "Laterne", wurde schnell zu einem Wahrzeichen Berlins. In ihrem Innern zwei Rampen – doppelspiralig gewunden –, auf der das Publikum zu einer Tribüne gelangt, die hoch über dem neuen Plenarsaal angeordnet ist – symbolträchtig hoch über den Köpfen der Abgeordneten, die sie repräsentieren. Die Kuppel ist beides, sowohl ein produktives Element für die internen Abläufe des Parlaments als auch ein Schlüsselelement für unsere Lichtarchitektur und Energieeinsparstrategie. Nach außen kommuniziert sie die Themen Leichtigkeit, Transparenz, Durchlässigkeit und öffentlichen Zutritt und unterstreicht so das Architekturkonzept. In ihrem Kern befindet sich eine Lichtskulptur – eine konkave, kegelförmige Struktur –, die genau umgekehrt wie ein Glashaus wirkt: Mit verstellbaren Spiegeln wird horizontal einfallendes Licht in den darunter befindlichen Raum geleitet, während ein bewegliches Schild dem Stand der Sonne folgt, um vor deren Hitze und Blendwirkung zu schützen. Im Winter sowie frühmorgens und spätnachmittags im Sommer, wenn die Sonne tief am Horizont steht, kann dieses Schild beiseite genommen werden, damit diese milden Strahlen auf den Boden des Parlaments fallen können. Nachts kommt es zu einem Umkehreffekt: Das künstliche Licht des Plenarsaals wird nach außen reflektiert und läßt den Dom dramatisch erglühen, so daß ganz Berlin weiß, daß das Parlament tagt.


Frische Luft im Plenarsaal



Dieser Konus spielt auch eine wichtige Rolle für die natürliche Luftzirkulation im Parlament: Mit ihm wird sehr warme Luft generiert, während gleichzeitig axial angebrachte Ventilatoren und Wärmetauscher Energie aus verbrauchter Luft zurückgewinnen. Frische Luft von außen, die über dem westlichen Portikus Einlaß findet, erreicht den Boden des Plenarsaals mit nur geringer Geschwindigkeit. Sie verteilt sich sehr langsam im Raum und steigt dann sanft hoch. Das hat einen hohen Komfort für die Menschen im Raum zur Folge. Zugluft und damit verbundene Geräusche sind minimiert. Die elektrische Energie, die das Luftventilationssystem sowie die Abschattierungsvorrichtung im Dom antreibt, wird mit Hilfe von 100 photovoltaischen Solarmodulen generiert, die auf dem Dach angebracht sind und eine Spitzenleistung von etwa 40 Kilowatt aufweisen.

Die Fenster des Gebäudes können sowohl manuell wie auch automatisch geöffnet werden. Im Zusammenspiel mit einer zweiten äußeren Fensterfront ist auf diese Weise natürliche Luftzirkulation in den meisten Räumen möglich und gewährleistet. Die zweischichtig aufgebauten Fenster umfassen ein internes – thermisch separiertes – Verglasungssystem und eine äußere schützenden Haut, die aus einer beschichteten Glasscheibe besteht. Fugen ermöglichen Luftventilation. Im Zwischenraum ist eine schattenspendende Jalousie angebracht. Mit dieser gläsernen Doppelfassade gelingt es, die Luft im Inneren – abhängig von der jeweiligen Witterung – pro Stunde bis zu fünfmal auszutauschen. Zusätzlich gewährt die Doppelfassade ein hohes Maß an Sicherheit, so daß das innere Fenster geöffnet bleiben kann, wann immer gewünscht – im Sommer besonders des Nachts, um die Räume zu kühlen.

Da die Anzahl der Menschen im Reichstagsgebäude ständig variiert, wurde von uns ein flexibles Energieerhaltungssystem implementiert. Dabei wird die im Innern des Reichstagsgebäudes befindliche Wärmemenge relativ konstant gehalten, so daß man also nur jeweils etwas kühlen oder etwas wärmen muß. Diese Methode reduziert gegenüber konventionellen Methoden Aufheizspitzen um annähernd 30 Prozent.


Radikale Energiestrategie



Das in den sechziger Jahren auf die Verbrennung fossiler Energieträger ausgelegte Heizsystem des Reichstagsgebäudes produzierte jährlich die alarmierende Menge von 7000 Tonnen Kohlendioxid. Wollte man den Reichstag heute mit solchen Mitteln beheizen, würde man soviel Energie verbrauchen, wie für die Beheizung der Wohnungen von 5000 Menschen nötig wäre. Im Sommer kann es in Berlin aufgrund des kontinentalen Klimas recht heiß und im Winter recht kalt werden. Aufgrund seiner recht großen thermischen Masse reagiert das Gebäude auf die äußere Temperaturveränderung in seinem Innern nur langsam. Das ist einerseits ein Problem, birgt aber auch die Chance, passive Systeme der Temperaturkontrolle einzusetzen.

Wir haben eine radikal neue Energiestrategie für den Reichstag vorgeschlagen, nämlich die Verwendung von Pflanzenölen, einen vollkommen erneuerbaren Bio-Treibstoff. Raffiniertes Pflanzenöl – gewonnen etwa aus den Fruchtkernen der Dattelpalme, Raps oder Sonnenblumenkernen – kann als eine Form von Sonnenenergie angesehen werden, da ja die Sonnenenergie in der Biomasse der Pflanzen gespeichert ist.

Wenn nun dieser erneuerbare natürliche Treibstoff genutzt wird, läßt sich die Emission von Kohlendioxid langfristig erheblich reduzieren. Denn die Pflanzen absorbieren in ihrer Lebenszeit soviel Kohlendioxid, wie später bei ihrer Verbrennung wieder ausgestoßen wird. Wenn nun solches Öl verbrannt wird, um Elektrizität zu gewinnen, ist der Betrieb eines Generators im Vergleich zur traditionellen Stromproduktion bemerkenswert sauber und effizient. So erlaubt die Installation im Reichstag eine Reduktion des Kohlendioxidausstoßes um 94 Prozent. Die Erwärmung und Kühlung des Gebäudes wird somit voraussichtlich nur noch 440 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr produzieren.

Darüber hinaus kann die vom Kraftwerk des Reichstags produzierte Wärme in eine natürliche Lagerstätte, 300 Meter unter dem Gebäude gelegen, umgeleitet werden. Dort kann sie – ohne daß Auswirkungen auf die Umwelt an der Erdoberfläche spürbar wären – für zukünftigen Bedarf gespeichert und bereitgehalten werden. Im Winter kann man warmes Wasser hochpumpen, um das Gebäude zu heizen. Im Sommer kann damit eine Absorptionskältemaschine angetrieben werden, die – wie ein Kühlschrank – gekühltes Wasser produziert. Dieses wiederum kann ebenfalls im Untergrund gespeichert und bei heißem Wetter hochgepumpt werden, um das Gebäude – über Kühldecken – zu klimatisieren.

Der neue Reichstag benötigt, um zu allen Jahreszeiten ein angenehmes Umgebungsklima aufzuweisen, kostbare natürliche Ressourcen – die allerdings meist recycelbar sind und kaum entsorgt werden müssen. Indem er Vision einer öffentlichen Architektur ist, die ökologische Gleichgewichte wieder herstellt und mehr Energie bereitstellt als verbraucht, drückt er Optimismus aus. Er bietet Anschauungsunterricht in Sustainability.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1999, Seite 941
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Strom speichern mit Eisen, Natrium und Schwerkraft

Diesmal werfen wir einen Blick in die Zukunft: auf die Speicherung von Strom. Welche Technik kommt als Lösung für dieses Schlüsselproblem der Energiewende in Frage? Und wir werfen einen Blick zurückWas haben wir gelernt aus gut zwei Jahren Pandemie? Wir haben sechs Fachleute um Einschätzung gebeten.

Spektrum - Die Woche – 77 Jahre Bomben im Boden

Tausende Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg stecken noch heute in deutschen Böden. Wie werden sie entschärft? Darum geht es in dieser »Woche«. Außerdem gehen wir der Frage nach, wie gut die Coronaimpfung Kinder und Jugendliche schützt.

Spektrum - Die Woche – Neuer IPCC-Bericht: Drastische Forderungen und ein wenig Optimismus

Der Weltklimarat stellt seinen dritten Sachstandbericht vor - und verbreitet Optimismus, den das Dokument selbst nicht so richtig hergeben mag. Derweil droht die ohnehin wackelige Energiewende über den Rohstoffmangel zu stolpern. Hoffnung machen dafür immerhin noch halluzinogene Drogen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.