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Beschleunigerphysik: Licht mit Zukunft

Bei Desy in Hamburg arbeitet jetzt ein weltweit einmaliger Freie-Elektronen-Laser bei Wellenlängen im Ultraviolettbereich. Er ist Teil einer Testanlage, die bis 2004 weiter ausgebaut wird und den Elektron-Positron-Collider Tesla vorbereitet.


Als eines der acht Hamburger Projekte für die Expo in Hannover machte sie schon vor eineinhalb Jahren Furore: die Testanlage für den geplanten supraleitenden Teilchenbeschleuniger Tesla (TeV Energy Superconducting Linear Accelerator) am Physik-Forschungszentrum Desy in Hamburg. Tesla ist als so genannter Linear-Collider konzipiert: Elektronen und ihre Antiteilchen (Positronen) sollen auf einer Strecke von jeweils etwa fünfzehn Kilometern Energien von 500 bis 800 Milliarden Elektronenvolt erreichen und dann frontal aufeinander prallen. Primär erhofft man sich davon grundlegende neue Erkenntnisse über Elementarteilchen und ihre Wechselwirkungen.

In der Testanlage werden vorab die wichtigsten Komponenten auf sehr viel kürzerer Strecke geprüft. Dabei handelt es sich insbesondere um die etwa einen Meter langen supraleitenden Hohlraumresonatoren aus hochreinem Niob, die mit den darin erzeugten elektromagnetischen Hochfrequenzfeldern die Elektronen antreiben. Für Tesla sind rund 20000 davon vorgesehen.

Der Beschleuniger soll jedoch auch einem weiteren Zweck dienen: Die Betreiber möchten die hohe Qualität des Elektronenstrahls zusätzlich für einen Freie-Elektronen-Laser (FEL) nutzen, der in den bisher unzugänglichen Spektralbereichen jenseits der UV-Region operiert. Mit der vorläufigen Version in der Testanlage wurden im Februar 2000 bereits Laserlichtblitze im Vakuum-Ultraviolett bei 109 Nanometern erzeugt – ein Weltrekord. Inzwischen lässt sich über die Energie der Elektronen die Wellenlänge zwischen 80 und 180 Nanometern variieren, und bei 98,1 Nanometern wurde im September 2001 die maximal mögliche Verstärkung (Sättigung) des FEL erreicht. Die Spitzenleistungen der Lichtpulse liegen dabei im Gigawatt-Bereich. Beim weiteren Ausbau soll bis 2004 auch das weiche Röntgengebiet bis hinunter zu sechs Nanometern erschlossen werden.

Bisher haben Beschleuniger nur Synchrotronstrahlung erzeugt. Sie ist zwar vielfach intensiver und kurzwelliger als gewöhnliches Licht, aber nicht kohärent: Anders als bei Laserstrahlung schwingen die Photonen nicht im Gleichtakt und überdecken ein kontinuierliches Energiespektrum, statt alle ein und dieselbe Energie zu haben. Synchrotronstrahlung wird üblicherweise von Elektronen ausgesandt, die in einem Synchrotron auf einer Kreisbahn umlaufen. Ursprünglich ein eher unerwünschtes Nebenprodukt, hat die hochenergetische Strahlung inzwischen viele bedeutende Anwendungen gefunden – von der Herstellung feiner Strukturen in der Mikroelektronik über die Erforschung des dreidimensionalen Aufbaus von Molekülen bis hin zu medizinischen Untersuchungen wie der Darstellung der Herzkranzgefäße.

Schon seit längerem werden deshalb sogar eigens Anlagen zu ihrer Erzeugung gebaut. In den modernsten Quellen für Synchrotronstrahlung wie Bessy II in Berlin oder der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble ist es dabei gelungen, die Leuchtstärke (Brillanz) bis zu 10000-fach zu steigern. Dazu werden die Elektronen mittels periodischer Magnetstrukturen – so genannter Undulatoren – auf einen Slalomkurs gezwungen. Sie senden dann in Flugrichtung gebündelte elektromagnetische Strahlung aus, deren Wellenlänge von ihrer Bewegungsenergie und der Stärke des Magnetfelds abhängt.

Freie-Elektronen-Laser, von denen es weltweit bereits einige Dutzend gibt (unter anderem am Forschungszentrum Rossendorf, an der Technischen Universität Darmstadt und an der Universität Dortmund), ermöglichen eine weitere beträchtliche Steigerung der Leuchtstärke. Auch hier werden Elektronenpakete durch Undulatoren geschickt. Sie sind jedoch sehr viel kompakter als im Synchrotronstrahlungs-Speicherring und die erzeugten Lichtpulse etwa tausendmal kürzer und zehntausendmal intensiver. Außerdem bestehen die Pulse – wie beim Laser – aus kohärentem Licht: Die Photonen schwingen im Gleichtakt, wohingegen sie sich bei der normalen Synchrotronstrahlung ungeordnet bewegen.

Um die Kohärenz zu erreichen, verwenden die meisten derzeit betriebenen FELs – wie die klassischen Laser – einen optischen Resonator mit einem Spiegelsystem, in dem das Lichtfeld mehrfach reflektiert und von jedem neuen Elektronenpaket weiter verstärkt wird. Dieses Prinzip hatte John Madey – heute an der Universität von Hawaii in Honolulu – 1970 in seiner Dissertation an der Universität Stanford in Kalifornien vorgeschlagen und dort 1977 mit seinen Kollegen verwirklicht. Vor Inbetriebnahme der Tesla-Testanlage lag die kürzeste so erreichte Wellenlänge (in Durham, North Carolina, mit einem FEL aus Novosibirsk) im Ultravioletten bei 193,7 Nanometern; mittlerweile beträgt sie 189 Nanometer (European FEL Project bei Elettra im italienischen Triest).

Will man zu noch kürzeren Wellenlängen vorstoßen, muss auf mehrfache Durchgänge mittels Spiegeln verzichtet werden, denn kurzwellige Röntgenstrahlung lässt sich damit nicht geeignet reflektieren. Viele Jahre schien es deshalb unmöglich, einen FEL für den Röntgenbereich zu bauen.

Doch schon 1980 hatten Anatoli Kondratenko und Evgeni Saldin einen Ausweg aufgezeigt. Danach müssen die Elektronen im Strahl so regelmäßig angeordnet sein, dass ihr Abstand der Wellenlänge der ausgesandten Strahlung entspricht. Sie verstärken dann die Amplitude der Lichtwelle in kohärenter Weise und erzeugen so den Lasereffekt bei nur einem Durchgang des Strahls durch einen langen Undulator; ein optischer Resonator zur allmählichen Verstärkung über mehrere Durchgänge ist nicht mehr erforderlich.

Eine sich selbst verstärkende Strahlungslawine

Es zeigte sich, dass ein anfangs ungeordneter Elektronenstrahl bei hinreichender Intensität durch Wechselwirkung mit der von ihm selbst erzeugten Undulatorstrahlung eine solche regelmäßige Dichtemodulation bekommen kann: Je stärker die elektromagnetische Welle wird, desto wirksamer ist die Stimulation, und die kohärente Welle wächst lawinenartig an. Dieser Effekt wird selbstverstärkte spontane Emission (self-amplified spontaneous emission, Sase) genannt.

Eine Demonstration des Sase-Prinzips gelang schon 1984 am Lawrence Livermore Laboratory. Ein darauf basierender FEL im Infrarotbereich wurde 1998 in Los Alamos gebaut. Im Jahr 2000 stieß die Advanced Photon Source des Argonne-Nationallaboratoriums mit Wellenlängen von 530 Nanometer dann in die Region des sichtbaren Lichts vor. Mittlerweile hat sie einen Lasereffekt bei 265 Nanometern erreicht. Wie in Argonne und jetzt auch bei Desy gezeigt wurde, wächst die Laserlicht-Intensität exponentiell mit der Länge des Undulators an.

Einen Sase-FEL im Röntgenbereich konzipierten zuerst Forscher am Stanford Linear Accelerator Center in Kalifornien. Bei der Umsetzung erwies sich Desy bisher jedoch als schneller. Mit seinem FEL bei 80 bis 180 Nanometern liegt es derzeit an der Weltspitze.

Wozu ist diese kurzwellige FEL-Strahlung gut? Unter anderem erlaubt ihre hohe Brillanz die Untersuchung von stark verdünnten Proben – beispielsweise von Atomen, Molekülen und Clustern ("Atomhaufen") in der Gasphase. Die Dichte von Strahlen aus diesen Teilchen ist in der Regel so gering, dass Experimente nur mit intensivem Laserlicht möglich sind. Zudem lässt sich der Zeitabstand zwischen den Laserpulsen auf eine Pikosekunde (billionstel Sekunde) genau einstellen. Dadurch können Elementarprozesse chemischer Reaktionen, die sich auf eben dieser Zeitskala abspielen, erforscht werden. Tatsächlich entspricht die Laserlicht-Wellenlänge von etwa hundert Nanometern, die beim FEL der Tesla-Testanlage derzeit entsteht, genau der Bindungsenergie der äußeren Elektronen, durch die chemische Reaktionen bestimmt sind. Bei noch kürzeren Wellenlängen bis hinunter zu sechs Nanometern, die ab 2004 zugänglich sein sollen, lassen sich dann auch innere Elektronen entfernen, die für jedes Element charakteristische Ionisierungsenergien haben.

Eine weitere wichtige Anwendung ist die Untersuchung biologischer Proben -etwa Proteinen, Viren und lebenden Zellen. Sie werden von kurzwelliger Strahlung sehr schnell geschädigt – bei der Röntgenmikroskopie nach etwa fünfzig Pikosekunden und bei der Strukturanalyse sogar schon nach zehn bis hundert Femtosekunden (billiardstel Sekunden). Ein wenige Femtosekunden kurzer FEL-Blitz bietet die Chance, eine hochaufgelöste Aufnahme zu erhalten, bevor Strahlenschäden die Probe verändert haben.

Für Struktur- und Funktionsuntersuchungen wäre das eine Revolution. So ließe sich etwa die Sauerstoffaufnahme von Myoglobin "filmen". Dieses Muskelprotein ähnelt dem roten Blutfarbstoff Hämoglobin und übernimmt von ihm den Sauerstoff zur Versorgung des Muskelgewebes. Um bewegte Bilder dieses Vorgangs zu erhalten, wären Beugungsexperimente mit einem hochintensiven Röntgenlaser erforderlich – bisher gibt es nur Momentaufnahmen, die mit der Synchrotronquelle an der ESRF in Grenoble gemacht wurden.

Für die Röntgenmikroskopie an lebenden Zellen muss die Strahlung allerdings eine Wellenlänge zwischen 2,3 und 4 Nanometern haben, damit sie von dem im Cytoplasma reichlich vorhandenen Wasser nur schwach absorbiert wird. Die Röntgenstrukturanalyse erfordert sogar Wellenlängen unter einem Nanometer; denn in diesem Bereich liegen die Abstände zwischen den Atomen eines Biomoleküls, und Beugungseffekte, auf denen die Strukturanalyse beruht, treten nur auf, wenn die Wellenlänge der verwendeten Strahlung ähnlich klein ist. Solche Untersuchungen werden also erst mit dem FEL von Tesla selbst möglich, dessen Röntgenlicht dank der hohen Energie, die den Elektronen auf der langen Beschleunigungsstrecke verliehen wird, Wellenlängen bis hinunter zu 0,1 Nanometern erreichen soll.

Doppelter Nutzen

Tesla wäre für die Hochenergiephysiker das ideale Gegenstück zum Large Hadron Collider (LHC) am Cern in Genf, bei dem Protonen und Ionen statt Elektronen aufeinander geschossen werden. Der LHC soll 2006 in Betrieb gehen. Die Entscheidung über das Tesla-Projekt steht bis spätestens Ende 2003 an. Fällt sie positiv aus, könnte der Schildvortrieb für den Tunnel ein halbes Jahr später beginnen. Insgesamt ist mit ungefähr acht Jahren Bauzeit zu rechnen. Demnach dürfte es bis 2010/11 dauern, ehe die ersten unterirdischen Teilchen-Kollisionen stattfinden und die Röntgenstrahlen des Freie-Elektronen-Lasers fächerförmig in die zwanzig Stationen der oberirdischen Experimentierhalle gelenkt werden.

Bis dahin wären 7000 Personenjahre Arbeit zu leisten – eine Anstrengung, die nur in internationaler Zusammenarbeit zu bewältigen ist. Deshalb lässt sich nicht völlig ausschließen, dass Tesla trotz positiver Ergebnisse der jetzigen Vorbereitungsphase nicht gebaut wird. Das Laserlicht der Testanlage mit einem 300-Meter-Beschleuniger wird aber in jedem Fall ab 2004 für Experimente zur Verfügung stehen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2002, Seite 17
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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