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Pathfinder auf dem Mars - wissenschaftliche Ergebnisse einer medienwirksamen Mission


Steine, staubige Luft, klirrende Kälte. Kein Strauch, kein Baum, so weit das Auge reicht. Wahrlich kein Ort wie aus dem Urlaubsprospekt. Und dennoch zur besten Ferienzeit das interessanteste Fleckchen für Millionen Menschen. Dabei ferner als das kleinste Provinzstädtchen Chinas und unzugänglicher als die Privatgemächer der englischen Königin. Doch gerade deshalb hockten Tag für Tag Amerikaner vor den Fernsehgeräten und begaben sich Europäer in ihren freien Minuten in den Stau auf der Datenautobahn, um sich anzusehen, wie ein kleines Roboterfahrzeug im Schneckentempo durch eine öde Geröllwüste kroch, dabei alleine auf weiter Flur einen Auffahrunfall hatte und sich anschließend einfach aus dem Staub machte. Das Marsfieber hatte die Erdlinge gepackt!

Inzwischen ist der Medienrummel etwas verebbt, und außer faszinierenden Bildern gibt es auch erste wissenschaftliche Resultate. Sie sind zwar nicht ganz so spektakulär, bieten dem, dessen Interesse am Mars sich nicht auf die Frage nach Leben beschränkt, aber aufschlußreiche neue Details zu Aufbau und Geschichte unseres roten Nachbarplaneten.

Kernstück des Marsmobils, dessen Name Sojourner an die schwarze amerikanische Frauenrechtlerin Sojourner Truth (eigentlich Isabella Van Wagener, 1797 bis 1883) erinnert, ist ein Gerät zur chemischen Analyse von Bodenproben und Gestein. Dieses Alpha-Proton-Röntgenstrahlenspektrometer (APXS) wurde zum Teil am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie entwickelt. Es enthält ei-ne kleine Menge des radioaktiven Curium-Isotops mit der Massezahl 244, das Alpha-Teilchen aussendet.

Die Partikel können auf drei verschiedene Arten mit dem Untersuchungsmaterial wechselwirken. Bei elastischer Streuung an Atomkernen ändern sich ihre Flugrichtung und Energie in einer Weise, die Rückschlüsse auf die Masse der streuenden Kerne erlaubt. Leichte Elemente wie Kohlenstoff und Sauerstoff lassen sich so besonders gut nachweisen. Die Alpha-Teilchen können sich aber auch vorübergehend mit den Kernen der beschossenen Materie zu hochangeregten Aggregaten vereinigen, die unter Aussendung eines Protons wieder zerfallen. Auf diese Weise lassen sich Natrium, Magnesium, Aluminium und Silicium detektieren. Schließlich können von den Alpha-Teilchen aus inneren Schalen der Atomhüllen Elektronen herausgeschlagen werden. Wenn dafür dann andere aus höheren Energiezuständen nachrücken, wird Röntgenstrahlung frei, deren Frequenz charakteristisch für das jeweilige Atom ist. Vor allem Elemente, die schwerer als Magnesium sind, können so nachgewiesen werden.

Die ersten Untersuchungen brachten noch keine Überraschungen: Obwohl Pathfinder mehr als 1000 Kilometer entfernt von der Landestelle der Viking-Sonden niedergegangen war, ergaben Bodenanalysen die gleiche Zusammensetzung wie dort. Demnach scheint dasselbe Material über den gesamten Planeten verteilt zu sein – möglicherweise ei-ne Folge der vielen Stürme, die über ihn hinwegfegen. Dazu paßt auch, daß der Marsboden aus sehr feinen Teilchen von weniger als 50 Mikrometern (tausendstel Millimetern) Durchmesser besteht – was mechanische Tests mit den Rädern des mobilen Roboters ergaben.

Über den Ursprung des Marsstaubes herrscht noch Unklarheit. Er könnte durch trockene oder nasse Verwitterung des ursprünglichen Oberflächengesteins entstanden sein. Im ersten Falle hätte er dessen Zusammensetzung weitgehend bewahrt und sollte deshalb das ferromagnetische, titanhaltige Eisenmineral Titanmagnetit enthalten, das sich auch in SNC-Meteoriten findet, als deren Herkunftsort der Mars gilt (siehe Spektrum der Wissenschaft, August 1980, Seite 78). Bei nasser Verwitterung, welche die ehemalige Existenz von Ozeanen oder zumindest Seen voraussetzt, lösten sich nur die zweiwertigen Eisen-Ionen, nicht aber das Titan aus den Oberflächengesteinen und bildeten Sekundärminerale. Deren Natur hängt von der einstigen Zusammensetzung der Marsatmosphäre ab. Enthielt sie wie die irdische Lufthülle große Mengen Sauerstoff, dann wurde das Eisen schnell bis zum dreiwertigen Zustand oxidiert und in Form geringmagnetischer Minerale wie Goethit (FeOOH) und Hämatit (a-Fe2O3) ausgefällt. In Gegenwart von wenig Sauerstoff verläuft die Oxidation dagegen unvollständig und sehr viel langsamer; das Ergebnis sind dann stark magnetische Oxide wie Magnetit (Fe3O4) und Maghemit (g-Fe2O3).

Um zwischen diesen Möglichkeiten unterscheiden zu können, ist an der Landeeinheit der Pathfinder-Sonde eine Serie von Magneten unterschiedlicher Stärke angebracht. Sie sollen magnetische Teilchen aus dem Marsstaub einfangen. Aufschluß über die mineralische Zusammensetzung der Partikel gibt dann zum einen deren Aufteilung auf die unterschiedlich starken Magnete und zum anderen das Muster, zu dem sie sich – ähnlich wie Eisenfeilspäne auf einem Blatt Papier, unter das man einen Magneten hält – entlang der Feldlinien anordnen. Schließlich kann Sojourner mit dem APX-Spektrometer den angesammelten Staub auf seinen Gehalt an Titan prüfen. Bei Redaktionsschluß dieses Artikels (6. August) hatten sich zwar schon Staubkörner auf den Magneten angesammelt, doch reichte ihre Menge für Schlußfolgerungen und Messungen noch nicht aus.

Die erste große Überraschung brachte die Auswertung der APX-Spektren von einem kleinen Felsen direkt neben der Landestelle von Pathfinder (Bild 1). Danach besteht "Barnacle Bill", wie die NASA-Wissenschaftler den stark zernarbten Gesteinsblock nannten, zu jeweils rund einem Drittel aus Quarz, Feldspat und Pyroxen – einer Mischung, die auf der Erde von sogenannten Andesiten bekannt ist und sich durch ihren hohen Quarzgehalt deutlich von der Zusammensetzung typischer Marsbasalte abhebt (Bild 2).

Andesite sind Vulkangesteine aus teilweise differenzierten Magmen. Zur Differentiation kommt es, wenn Krustenmaterial in der Tiefe – unter Umständen mehrfach – aufgeschmolzen wird und langsam wieder erstarrt, wobei sich durch fraktionierte Kristallisation leichte und schwere Elemente voneinander trennen. Auf der Erde ist dieser Vorgang typisch für Subduktionszonen an Rändern von Meeresbecken, an denen aufgrund horizontaler Verschiebungen tektonischer Platten ozeanische Kruste unter dem Kontinent in den Erdmantel abtaucht. Basalte entstehen dagegen, wenn Magmen aus ursprünglichem Gestein an der Oberfläche austreten und so schnell abkühlen und erstarren, daß keine Separation der Bestandteile stattfinden kann.

Da die Kruste des Mars wesentlich dünner als die der Erde ist und keine eindeutigen Spuren plattentektonischer Vorgänge aufweist, wurde angenommen, daß auf unserem Nachbarplaneten auch kaum magmatische Differentiationsprozesse stattgefunden hätten. Die Analyse von "Barnacle Bill" weckt Zweifel an dieser Vermutung. Allerdings könnte der Fels auch ein heterogenes Gemisch aus quarzreichem nicht-vulkanischem Granit und normalem Basalt sein, zusammengefügt durch Sedimentationsvorgänge oder einen Meteoriteneinschlag.

Diese Möglichkeit wurde mit der IMP-Kamera überprüft ("Imager for Mars Pathfinder"), an deren Entwicklung das Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau und die Technische Universität Braunschweig beteiligt waren. Das Gerät ist rund 1,80 Meter über dem Boden an einem Mast der Landeeinheit montiert und hat all die eindrucksvollen Bilder von der Marsoberfläche geliefert, die im Internet zu finden sind und die das NASA-Bodenteam dazu benutzt, die Fahrten von Sojourner zu planen. Zwei Spiegel im Abstand von 15 Zentimetern lenken das einfallende Licht auf eine unterteilte CCD-Sensorfläche (Charge Coupled Device, siehe Spektrum der Wissenschaft, Januar 1982, Seite 44), die im Vergleich zu feinkörnigen Photoemulsionen ein etwas geringeres Auflösungsvermögen hat, dafür aber sehr viel empfindlicher selbst schwächstes Licht registriert. Über Filter, die in den Strahlengang gebracht werden, lassen sich Informationen über die spektrale Zusammensetzung gewinnen.

Mit der IMP-Kamera wurde das von "Barnacle Bill" reflektierte Licht mit einer räumlichen Auflösung von ein bis zwei Zentimetern gemessen und spektral zerlegt. Die Spektren von verschiedenen Stellen zeigen, daß der Felsen zumindest im Zentimeterbereich homogen ist; außerdem gleichen sie solchen von nicht oxidiertem vulkanischem Gestein auf der Erde. Tatsächlich wäre die Existenz von Granit auf dem Mars noch überraschender als die von Andesit, weil dieses Tiefengestein sogar noch stärker differenziert ist.

Ein anderer Felsbrocken, den die NA-SA-Forscher "Yogi" getauft haben, weil seine Silhouette an den Bären aus der gleichnamigen Zeichentrickserie im Fernsehen erinnert, entspricht nach der vorläufigen Datenauswertung in seiner Zusammensetzung mehr den Erwartungen: Hier identifizierte das APX-Spektrometer vor allem Pyroxen und Feldspat und nur minimale Quarz-Anteile. Doch bestehen Zweifel an der Aussagekraft dieser Analyse, weil der Fels aussieht, als sei er von einer dünnen Staubschicht bedeckt, welche die Messungen verfälscht haben könnte.

Schon länger hegen Wissenschaftler die starke Vermutung, daß es einst Wasser in großen Mengen auf dem Mars gegeben habe (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1997, Seite 50). Der Landeplatz im Area Vallis liegt bewußt im mutmaßlichen Mündungsgebiet eines ehemaligen Flusses. Dieser sollte, so hoffte man, viele verschiedenartige Gesteine angespült haben. Die Bilder von Pathfinder zeigen tatsächlich außer spitzen Steinen mit scharfen Kanten auch solche, die wie durch langen Transport im Wasser abgerundet scheinen (Bild 1). Außerdem sind sehr helle Bereiche zu erkennen, bei denen es sich um ausgetrocknete Pfützen handeln könnte.

Auf den Photos unterscheiden die Wissenschaftler mittlerweile fünf verschieden gefärbte Materialien: hellrotes Geschiebe, wenig verwittert aussehende dunkelgraue Felsen, normalen Marsboden, der rötlich-grau wirkt und vermutlich ein Gemisch aus Geschiebe und kleinen Steinchen ist, tiefrote Stellen noch unklarer Entstehung und Zusammensetzung sowie rosa bis fast weiß erscheinende Steine und Krusten. Sie alle gilt es näher zu charakterisieren. Auch etliche meteorologische Messungen und Experimente zur genaueren Erkundung der Marsatmospäre laufen bereits oder werden demnächst gestartet. Spektrum der Wissenschaft berichtet auf seiner Internet-Seite (https://www.spektrum.de) regelmäßig über die neuesten Ergebnisse.

Mit ihrem erfolgreichen Verlauf ist die Pathfinder-Mission zugleich die geglückte Premiere für einen neuen Ansatz in der Erforschung unserer Nachbarplaneten: weg von aufwendigen, ehrgeizigen Raumfahrtunternehmungen und hin zu kleinen, effizienten Projekten mit begrenzter Zielsetzung, die relativ wenig Geld kosten und die Ausgaben wie Hollywood-Filme vielleicht sogar wieder einspielen – die dafür notwendige Fähigkeit zur Vermarktung hat die NASA jedenfalls überzeugend demonstriert.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1997, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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