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Supermagische Quadrate

Manche magischen Quadrate sind noch magischer als andere: Sie sind auf kleinstem Raum bereits ausgewogen. Kürzlich haben britische Mathematiker ein Verfahren zu ihrer systematischen Erzeugung veröffentlicht.


Ein quadratisches Schema aus Zahlen mit der Eigenschaft, daß die Summe über eine beliebige Zeile, Spalte oder Diagonale stets denselben Wert ergibt – das ist ein magisches Quadrat, Thema unzähliger mathematischer und esoterischer Betrachtungen über die Jahrhunderte. Normalerweise nimmt man die Zahlen von 1 bis n^2, um die Felder des Quadrats zu füllen, wobei n die Ordnung ist, das heißt die Anzahl der Felder pro Quadratseite. Die Mathematiker ziehen es häufig vor, von 0 bis n^2-1 zu zählen statt von 1 bis n^2, weil man dann bestimmte Zusammenhänge besser sieht; aber das ist nebensächlich.

Je größer die Ordnung, desto mehr magische Quadrate gibt es; bereits für mäßig große n findet man durch Ausprobieren mit dem Computer schnell Millionen verschiedener Anordnungen – nicht mitgezählt solche, die durch Drehung oder Spiegelung ineinander übergehen.

Mit zunehmender Auswahl steigen die Ansprüche: Schon im vorigen Jahrhundert suchten Tüftler nach Quadraten, die zusätzliche Regelmäßigkeiten aufweisen. So gibt es magische Quadrate, die ihre Eigenschaft behalten, wenn man Zeilen oder Spalten zyklisch vertauscht, das heißt, die unterste Zeile wegnimmt und oben anfügt oder die linkeste Spalte entsprechend nach rechts verschiebt, beides möglicherweise mehrfach. Quadrate dieser Art heißen "panmagisch". Dasselbe auf andere Weise ausgedrückt: Wenn man die ganze Ebene mit Exemplaren ein und desselben panmagischen Quadrates pflastert, dann ist jedes nxn-Quadrat, das man aus dieser Ebene ausstanzt, magisch (Bild rechts).

Ein beliebtes Konstruktionsverfahren für magische Quadrate ist folgendes (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1996, Seite 14): Man schreibe zunächst die Zahlen von 0 bis n^2-1 (oder von 1 bis n^2, je nach persönlichem Geschmack) säuberlich der Reihe nach zeilenweise in das Quadrat ein. Diese Anordnung ist noch weit entfernt davon, magisch zu sein: Die Zahlen der ersten Zeile sind viel zu klein, als daß ihre Summe den richtigen Wert ergeben könnte; die der letzten Zeile sind viel zu groß. Ähnliche, wenn auch weniger krasse Ungleichgewichte bestehen zwischen den Spalten.

Man korrigiere nun diese Unausgewogenheit, indem man linke und obere Zahlen mit rechten und unteren die Plätze tauschen läßt. Die Tauschaktion darf nur jede zweite Zahl betreffen – sonst wäre das ganze Quadrat ja nur umgedreht und so falsch wie zuvor. Einige weitere Feinheiten sind zu beachten, damit das Quadrat wirklich magisch wird.

Im Ergebnis stehen die größten Zahlen unmittelbar neben den kleinsten, während Zahlen aus dem Mittelfeld sich nicht sehr weit bewegt haben und deshalb nach wie vor eng beieinander stehen. Wenn man also – sagen wir – vier unmittelbar benachbarte Zahlen addiert, kommt wegen des Konstruktionsprinzips stets ungefähr dasselbe heraus. Das ist für die Eigenschaft des Gesamtquadrates, magisch zu sein, nicht zwingend erforderlich (es gibt andere Konstruktionsverfahren), aber hilfreich.

Wenn nun aber in einem panmagischen Quadrat, wo immer man die vier Kästchen eines 2x2-Unterquadrats zusammenzählt, nicht nur ungefähr, sondern stets genau dasselbe herauskäme, dann hätte man "das perfekteste überhaupt vorstellbare magische Quadrat". So schrieb der kanadische Mathematiker Eamon McClintock 1897. Solche Muster atemberaubender Perfektion – nennen wir sie "supermagische Quadrate" – gibt es tatsächlich; ein Exemplar der Ordnung n=4 ist unten abgebildet.

Im allgemeinen ist die magische Zahl eines Quadrates der Ordnung n – die konstante Zeilen-, Spalten- oder Diagonalensumme – gleich n(n^2-1)/2. Dagegen ist die stets gleiche Summe über alle 2x2-Kästchen eines supermagischen Quadrats gleich 2(n^2-1). Beide Angaben gelten für die Zählung von 0 bis n^2-1. Nur für n=4 haben beide Summen den gleichen Wert, nämlich 30.

Es gibt supermagische Quadrate der Ordnung n dann und nur dann, wenn n ein Vielfaches von 4 ist. Das wußten schon die Tüftler des vorigen Jahrhunderts. Aber wie viele gibt es zu einer Ordnung, und wie findet man sie? Dabei sollen wiederum zwei Quadrate als gleich gelten, wenn sie durch Drehung, Spiegelung oder – da sie panmagisch sind – zyklische Zeilen- und Spaltenvertauschung ineinander übergehen.

Fragen dieser Art sind generell schwierig. So gibt es bis heute trotz intensiver Suche keine griffige Formel für die Anzahl der magischen Quadrate zur Ordnung n. Um so überraschender ist es, daß für die Untermenge der supermagischen Quadrate eine vollständige Lösung des Problems gefunden wurde. Die britische Mathematikerin Kathleen Ollerenshaw und David Brée, Professor für künstliche Intelligenz an der Universität Manchester, haben ein Verfahren angegeben, sämtliche supermagischen Quadrate zu einer gegebenen Ordnung systematisch zu konstruieren. Im Prinzip ist es mit Papier und Bleistift durchführbar; nur mangelnde Geduld könnte einen daran hindern, sämtliche 368640 Quadrate der Ordnung 8 niederzuschreiben. Man entnimmt dem Verfahren auch eine Formel für die Anzahl der Supermagischen zur Ordnung n. Sie ist beim besten Willen nicht elegant zu nennen, aber leicht auswertbar, wenn man die Primfaktorzerlegung von n kennt.

Das Konstruktionsverfahren sei zunächst an einem Beispiel erläutert. Man beginnt wieder mit den Zahlen von 0 bis n^2-1, zeilenweise in der natürlichen Reihenfolge in das Quadrat eingeschrieben. Zwei Zahlen, die symmetrisch zum Mittelpunkt des ganzen Quadrates liegen – das heißt, die Verbindungslinie ihrer Felder wird durch diesen Mittelpunkt genau halbiert –, sind komplementär zueinander, das heißt, sie ergänzen sich zu n^2-1.

Somit ergänzen sich die vier Felder, die in den Ecken eines zentrierten Rechtecks liegen, zu 2(n^2-1). Dabei soll ein Rechteck zentriert heißen, wenn seine Seiten horizontal und vertikal verlaufen und sein Mittelpunkt mit dem Mittelpunkt des Gesamtquadrats zusammenfällt. Wenn man diese vier Felder so umsortieren könnte, daß sie alle in ein 2x2-Kästchen geraten, wäre das ein Schritt in die richtige Richtung. Zusätzlich soll das Quadrat panmagisch werden; deswegen ist das Prinzip "packe zwei Paare komplementärer Zahlen in ein Kästchen" auf raffinierte Weise abzuwandeln.

Man klappe zunächst die rechte Hälfte des Quadrates um: Die letzte Spalte tauscht ihren Platz mit derjenigen unmittelbar rechts von der Mittellinie, die vorletzte Spalte mit der zweiten rechts von der Mitte und so weiter. Entsprechend verfährt man mit der unteren Hälfte des Quadrates: Die Zeilen seien von 0 bis n-1 numeriert; dann tauschen die Zeilen n-1 und n/2 die Plätze, ebenso n-2 und n/2+1 und so weiter. Das linke obere Viertel des Quadrates hat sich gar nicht bewegt, das rechte untere Viertel wurde zweimal – in verschiedene Richtungen – umgeklappt, die anderen je einmal.

Vier Felder, die sich zuvor an den Ecken eines zentrierten Rechtecks befanden, stehen jetzt an den Ecken eines Quadrates der Seitenlänge n/2 (orangefarbene Felder im Bild oben). Sie wären jetzt nach obigem Prinzip in ein Kästchen zu packen; aber das korrekte Verfahren verläuft ein bißchen anders. Man denke sich das ganze Quadrat in 2x2-Kästchen zerlegt. Je vier Kästchen, die an den Ecken eines Quadrates der Seitenlänge n/2 stehen, tauschen ihren Inhalt untereinander aus: ein Feld gar nicht, eines nach oben/unten, eines nach rechts/links und eines diagonal. Fertig ist das supermagische Quadrat.

Es stellt sich heraus, daß dieser Prozeß nicht nur dann ein supermagisches Quadrat ergibt, wenn man die Felder zu Beginn mit den Zahlen in der natürlichen Reihenfolge füllt. Es genügt, wenn das Ausgangsquadrat eine Eigenschaft hat, die Ollerenshaw und Brée "reversibel" nennen: In jedem Parallelogramm – nicht nur in jedem zentrierten Rechteck – addieren sich diagonal gegenüberliegende Felder zum gleichen Wert, der allerdings nicht gleich n^2-1 sein muß. Das gilt auch für degenerierte ("zusammengeklappte") Parallelogramme: Wenn vier Felder in gerader Linie liegen und der Abstand zwischen den ersten beiden derselbe ist wie zwischen den letzten beiden, dann ist die Summe der Außenfelder gleich der Summe der Innenfelder.

Wie findet man reversible Quadrate? Kathleen Ollerenshaw empfiehlt, es für n=4 selbst zu probieren; ein verregneter Sonntagnachmittag sollte ausreichen. Weniger geduldige Leute dürfen auf dieser Seite nach unten schielen. Wie bei panmagischen Quadraten kann man aus einem reversiblen Quadrat durch Drehung, Spiegelung sowie geeignete Zeilen- und Spaltenvertauschung viele andere machen, die nichts wesentlich Neues bringen. Es genügt also, nach normalisierten reversiblen Quadraten zu suchen. Diese beginnen stets mit 0 und 1 in den ersten beiden Feldern, und die Einträge in jeder Zeile und Spalte sind aufsteigend sortiert: Rechts und unterhalb jeder Zahl steht stets eine größere.

Das ist die Idee. Um sie wasserdicht zu machen, war noch allerlei Kleinarbeit erforderlich. Es gelang Ollerenshaw und Brée zu zeigen, daß zu jedem reversiblen Quadrat genau ein supermagisches gehört und umgekehrt, daß wirklich alle reversiblen Quadrate aus normalisierten hervorgehen und daß ein Verfahren zur Konstruktion normalisierter Quadrate sie sämtlich findet. Damit gibt es erstmals für eine Klasse magischer Quadrate eine Theorie, die keine Fragen offenläßt.

Mathematik gilt allgemein als eine Wissenschaft, in der die Höchstleistungen in recht jugendlichem Alter erbracht werden; entsprechend traut man den grauen Häuptern kaum noch originelle Ergebnisse zu. Wer sich jedoch beim alten Eisen nicht richtig eingeordnet fühlt, findet jetzt Trost und Ermutigung: Kathleen Ollerenshaw war immerhin 85 Jahre alt und hatte 40 Jahre lang nur sehr sporadisch aktive Forschung betrieben, als es ihr gelang, gemeinsam mit David Brée ihre langgehegte Vermutung zu beweisen. "Der Genuß einer Entdeckung ist kein Vorrecht der Jugend", schreibt sie. Und niemand anders war prädestinierter, den Erfolg der großen alten Dame in der Zeitschrift "Nature" zu preisen, als der große alte Mann der Unterhaltungsmathematik: Martin Gardner.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1999, Seite 76
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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