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Umweltmanagementsysteme und ihre normativen Grundlagen


Zunehmend wird sich die Gesellschaft bewußt, daß die natürlichen Lebensgrundlagen nur mit umweltgerechten Technologien und einer Änderung menschlichen Verhaltens zu bewahren sind. Längst hat dieser Wertewandel auch die Wirtschaft erfaßt. Unternehmen, die zwar die allgemein verbindlichen Vorgaben für den Umweltschutz einhalten, aber sich nicht als umweltbewußt profilieren, können sogar an Akzeptanz verlieren, und zwar nicht allein bei den Verbrauchern ihrer Produkte, sondern auch bei Marktpartnern, sofern deren Interessen beispielsweise infolge erweiterter Haftungsansprüche betroffen sind.

Allerdings befinden sich viele Firmen eines Industrielandes wie der Bundesrepublik in einem Dilemma: Einerseits wird nachhaltiges Wirtschaften als Erfordernis zur Zukunftssicherung propagiert, andererseits empfinden manche die permanent erweiterten Konvolute zum Umweltschutz mit immer schärferen Vorschriften und Richtlinien als strangulierend – allein das deutsche Umweltrecht umfaßt schon mehr als eine Million Paragraphen.

In dieser Situation vermag ein Unternehmen die Initiative nur durch eigenverantwortliches Handeln zu behalten oder wiederzugewinnen, um sich auf künftige soziale Bedürfnisse und Anforderungen des Marktes einzustellen, statt bloß aktuellen Zwängen nachzugeben. Zugleich gilt es, die vielfältigen Maßnahmen des betrieblichen Umweltschutzes funktional und ökonomisch zu bündeln. Die nötige Strategie ist also ein systematisches Umweltmanagement.

Dessen Konzept baut auf den mehrheitlich positiven Erfahrungen der Industrie bei der Einführung von Qualitätsmanagementsystemen auf (Bild 1). Demnach ist die gesamte betriebliche Organisation so zu entwickeln, daß der Umweltschutz allgemein akzeptiertes Unternehmensziel wird: Alle Möglichkeiten zur Verminderung von Umweltbelastungen sind auszuschöpfen, sei es in der standortübergreifenden Wertkette der Erzeugnisse, am eigenen Standort oder auf beiden Wegen. Zur Innovation und besseren Kooperation mit Marktpartnern tragen höhere Funktionalität und längere Gebrauchsdauer, der Einsatz umweltfreundlicher Materialien sowie die Wiederverwendbarkeit von Materialien und Bauteilen wesentlich bei. Am Betriebsstandort sind technische und organisatorische Abläufe zu optimieren, etwa durch Substitution und effizienteren Einsatz von Materialien und Energieträgern sowie besseres Entsorgen von Abfällen.

Bislang ist beim betrieblichen Umweltschutz der organisatorische Aspekt gegenüber rein technischen Maßnahmen vernachlässigt worden. Somit bestehen erhebliche Verbesserungspotentiale.

Umweltmanagementsysteme erfordern, die neuen Aufgaben als Unternehmenspolitik festzuschreiben, so daß sich alle Mitarbeiter darauf berufen und eigenverantwortlich danach handeln können. Für Anwendung und Aufrechterhaltung des Systems muß ein Vertreter der Unternehmensleitung zuständig sein, mit dem die Betriebsangehörigen auch Probleme besprechen können. Das ist insbesondere deshalb vonnöten, weil Unternehmen nach Funktionen wie Einkauf, Produktion und Verkauf gegliedert sind, die Mitarbeiter also Verbesserungspotentiale in der Regel nur in ihrem Bereich wahrnehmen können.

Zudem müssen die Umweltschutzziele, die sich nicht wie Produktions- und Umsatzplanungen in Stückzahlen oder Geldeinheiten beschreiben lassen, im unternehmensinternen Informationswesen quantitativ bestimmt und mit Zeitvorgaben versehen werden.


Öko-Audit und Normungsvorhaben

Mitte des Jahres 1993 hat der Ministerrat der Europäischen Union die EU-Verordnung zum Umweltmanagement- und Öko-Audit-System (Akronym EMAS) verabschiedet und zwei Jahre danach in Kraft gesetzt. Damit soll der betriebliche Umweltschutz mittels entsprechender Managementsysteme stetig verbessert sowie die Öffentlichkeit darüber unterrichtet werden.

Firmen, die an diesem Programm freiwillig teilnehmen, verpflichten sich, eine standortbezogene Umwelterklärung zu verfassen und zu publizieren, die ein zugelassener Gutachter prüft. Ist sie mit den Vorschriften der EU-Verordnung konform und wahr, erhält das Unternehmen ein Prüfzeichen, das es als Werbemittel – zum Beispiel auf dem Briefkopf – verwenden darf, sofern kein Bezug zu Produkten oder Dienstleistungen hergestellt wird.

Auch die nationalen und internationalen Normierungsinstitutionen fördern diese Entwicklung. So hat Großbritannien vor vier Jahren als erstes europäisches Land eine Umweltmanagement-Norm vorgelegt, den British Standard 7750; die Briten hatten auch bereits zehn Jahre zuvor maßgeblich am Zustandekommen der ISO-Norm 9000 über Qualitätsmanagementsysteme beigetragen (ISO: International Organization for Standardization). In gleicher Weise engagierten sich mittlerweile weitere Länder, darunter Kanada und Australien. Die Internationale Industrie- und Handelskammer legte Richtlinien für Öko-Audits vor und die chemische Industrie ein Programm zur Vermeidung von Umweltrisiken; die Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) beschäftigte sich ebenfalls mit dem Thema. Harmonisierung, also ein Abgleich der verschiedenen Regelwerke, wurde überfällig.

Wegen der politischen Bedeutung des Umweltschutzes und einer drohenden Vielfalt nationaler Normen erarbeitete die ISO in einer Rekordzeit von rund einem Jahr Konzepte für die Serie 14000 zum Umweltmanagement, von der die Norm 14001 "Umweltmanagementsysteme – Spezifikationen und Anleitung zur Anwendung" verbindliche Elemente für die Ausgestaltung enthält. Sie liegt gegenwärtig als Entwurf vor und wird voraussichtlich noch im Herbst dieses Jahres für definitiv erklärt.

Diese Norm bezieht sich auf diejenigen umweltrelevanten Ziele eines Unternehmens, die es selber setzen und ausgestalten kann. Quantitative Vorgaben im Sinne von Grenzwerten oder Leistungskriterien werden zwar nicht festgelegt, als Minimum aber das Einhalten der im jeweiligen Land gültigen gesetzlichen Vorschriften und die Bereitschaft zu stetiger Verbesserung verlangt. Ein Zertifikat belegt gegenüber Dritten, daß ein funktionierendes Umweltmanagementsystem vorhanden ist; wie zweckmäßig und effektiv es arbeitet, beurteilt das Unternehmen selbst. Das Zertifikat stellt eine neutrale Organisation aus, die ihrerseits staatlich akkreditiert ist.

Die Öko-Audit-Verordnung der EU hat die gleiche Stoßrichtung, und die beiden Regelwerke sind in wesentlichen Punkten weitgehend ähnlich. Allerdings fordert das EMAS ausdrücklich, die jeweils bestmögliche Technologie anzuwenden, sofern diese verfügbar und wirtschaftlich zuzumuten ist; zudem faßt es die Öffentlichkeitsarbeit weiter. Während die EU-Verordnung im europäischen Rechtssystem verankert ist, wird die ISO-Norm weltweit anwendbar sein, ist also für global operierende Unternehmen von Vorteil. Zudem läßt sie sich gut mit artverwandten Normen wie der Serie ISO 9000 verbinden.

Exportorientierte Firmen in der EU wären gleichwohl gezwungen, Zertifikate nach beiden Regelwerken zu erlangen. Um das zu vermeiden, sieht EMAS eine Option für die Anerkennung materiell gleichwertiger Bestimmungen vor. Zur Harmonisierung von ISO 14001 wird das Europäische Normenkomitee (CEN) ergänzende Forderungen stellen.

Zertifikate bieten eine Chance, die Kräfte der Marktwirtschaft für den Umweltschutz zu nutzen und auf diese Weise ökologisches Gedankengut weithin praktisch umzusetzen. Vermutlich gibt es einen Dominoeffekt entlang der Kunden-Lieferanten-Ketten: Wie beim Qualitätsmanagement wird eine Firma vom Zulieferer ein Umwelt-Zertifikat als Voraussetzung einer Geschäftsbeziehung verlangen. Entscheidend für den Erfolg dieses Ansatzes ist freilich die Glaubwürdigkeit der Zeugnisse.


Das Umweltinformationssystem

Vollständige und aussagekräftige Informationen über Gestalt und Wirkung des etablierten Systems sind dazu eine Voraussetzung. Jedes Unternehmen verwaltet ohnehin eine Vielzahl umweltrelevanter Daten aus verschiedensten Bereichen wie Meßberichte etwa der Materialprüfung und Produktion oder Entsorgungsnachweise. Sie werden bislang aber teils nur betriebsintern genutzt, teils lediglich der gesetzlichen Vorschriften wegen oder auf Verlangen von Behörden erhoben. Künftig ist dieses fragmentierte Wissen in ein ökologisches Berichtswesen zu integrieren und mit den übrigen Managementsystemen zu verknüpfen. So ergeben sich, unterstützt durch die aktuellen Normierungsprojekte, die Bausteine eines umfassenden Umweltinformationssystems (Bild 2).

Die Aufgabe ist nicht allein, relevante Daten zu sammeln und zu verwalten, sondern den Informationsbestand laufend zu komplettieren, zu aktualisieren und interpretierbar aufzubereiten. Die Ergebnisse gehen großenteils in ein Umwelthandbuch ein, das außerdem sämtliche organisatorischen Aspekte des Umweltmanagements dokumentiert – die einschlägigen politischen Entscheidungen und Programme, Verantwortlichkeiten, Richtlinien, gesetzlichen Anforderungen und dergleichen mehr.

Zudem braucht das Umweltmanagement Basisinformationen für quantitative Entscheidungen, um unabhängig von externen Vorgaben Maßnahmen zur ökologisch-ökonomischen Optimierung planen und kontrollieren zu können. Solche Unterlagen müssen sich wiederum mit dem Rechnungswesen sowie sonstigen traditionellen Planungs-, Dokumentations- und Controllinginstrumenten des Unternehmens verknüpfen lassen. Dazu bietet sich die betriebliche Ökobilanz an. Wenngleich sie in den Normen zur Umweltmanagementsystem-Zertifizierung nicht explizit gefordert wird, ist ihre Bedeutung für die Praxis doch weitgehend unstrittig, zumal sie helfen kann, komplexe ökologische Zusammenhänge zu überschauen.


Software-Unterstützung

Leistungsfähige und spezifische elektronische Datenverarbeitung vermag erheblich dazu beizutragen, die Kosten für all diese Maßnahmen in angemessenem Rahmen zu halten und Entscheidungsprozesse abzusichern. Für das Erstellen und das Fortschreiben des Umwelthandbuchs und der Umweltbetriebsprüfung gibt es inzwischen sogenannte Audit-Software, die in enger Anlehnung an Programme für das Qualitätsmanagement entwickelt worden ist. Tatsächlich handelt es sich meist um Formatvorlagen für gängige Textverarbeitungssysteme; doch reichen diese Hilfsmittel für allgemeine Erfordernisse der Umweltmanagement-Dokumentation aus.

Deutlich anspruchsvoller ist hingegen das quantitative Umweltinformationssystem und das Öko-Controlling mittels Kennzahlensystemen. Die systematische Erfassung und Beurteilung von Leistungen eines Unternehmens im Rahmen von Ökobilanzen wird überhaupt erst durch spezielle Software praktikabel und finanzierbar.

Derzeit dominieren noch Programme des technischen Umweltschutzes das Angebot; allein im deutschsprachigen Raum bieten mehr als 250 Firmen rund 700 Programme an, von der Online-Abwassermessung bis zur Auslegung kompletter umwelttechnischer Anlagen. Künftig aber werden Standardwerkzeuge für Umweltmanagementsysteme an Bedeutung gewinnen, wie auch eine aktuelle Untersuchung der schweizerischen Vereinigung für ökologisch bewußte Unternehmensführung feststellte: Gab es 1995 erst 25 Programme für Produkt- und Betriebsökobilanzen, so sind es in diesem Jahr bereits mehr als 40 (Bild 3). Die Auswahl an Audit-Software wird ebenfalls größer; gegenwärtig gibt es mehr als zwei Dutzend Programme.

Gerade kleine und mittlere Unternehmen dürften von dieser Entwicklung profitieren, weil sie aufwendige und wartungsintensive Gesamtsysteme für das betriebliche Umweltmanagement weder brauchen noch bezahlen können. Benutzerfreundliche und über Standardschnittstellen grundsätzlich offene Programme genügen ihnen. Schließlich sollen sich auch kleinere Firmen durch ökologisches Wirtschaften ökonomische Einsparungspotentiale erschließen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1996, Seite 101
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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