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Umweltschutz und Arbeitsplätze

Unter Wirtschaftswissenschaftlern ist umstritten, ob durch Umweltschutz per saldo eher Arbeitsplätze geschaffen werden oder verlorengehen. Jedenfalls werden sich dadurch in den kommenden Jahren die Beschäftigungsstrukturen erheblich wandeln.

In Westdeutschland dienten im Jahre 1990 schätzungsweise 550000 Arbeitsplätze dem Umweltschutz. Gut 200000 Personen befaßten sich unmittelbar mit einschlägigen Aufgaben, etwa in der öffentlichen Abfall- und Abwasserbeseitigung (50000), in Planungs-, Verwaltungs- und Vollzugsbehörden (35000) sowie in der Privatwirtschaft (30000). Zusätzlich dürften durch das Herstellen von Investitionsgütern für Umweltschutzleistungen sowie von dafür erforderlichen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen insgesamt 340000 Arbeitsplätze ausgelastet worden sein: 200000 direkt durch entsprechende Nachfrage und 140000 indirekt durch wiederum dazu nötige Vorleistungen.

Bis zum Jahre 2000 dürfte sich der bisherige, eher auf nachsorgende Maßnahmen gerichtete Trend fortsetzen, wobei in nächster Zeit das Schwergewicht in Ostdeutschland liegen wird; dort könnten damit dann 270000 Personen beschäftigt sein (davon etwa 70000 mit unmittelbaren Schutzaufgaben). In Westdeutschland werden es zur Jahrtausendwende wohl rund 750000 Arbeitsplätze sein, davon 290000 mit unmittelbarem Umweltbezug. Für Deutschland insgesamt kann man somit – bei trendgemäßer Fortentwicklung im Westen und ökologischer Sanierung im Osten – mit 1,1 Millionen Personen rechnen, die im Jahre 2000 entweder unmittelbar oder durch die Produktion von Gütern und Dienstleistungen für den Umweltschutz arbeiten (Bild 1).

Demnach werden am Ende des Jahrzehnts rund 400000 Menschen mehr auf diesem Sektor tätig sein als zu Anfang. In den neuen Ländern wird der Anteil an der Gesamtbeschäftigung mit rund 5 Prozent deutlich größer sein als im Westen (2,5 Prozent).


Beschäftigungsgewinne durch Vorreiterrolle

Das muß freilich noch nicht bedeuten, daß mehr Umweltschutz per saldo mehr Arbeitsplätze in der Gesamtwirtschaft schafft: Solche Maßnahmen haben immer sowohl positive wie negative Beschäftigungswirkungen (Bild 2). Positiv wirken sie in Unternehmen, wo sie mit Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen einhergehen. Für umweltschutzinduzierte Effizienzgewinne gibt es viele Beispiele:

- Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin sowie des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe scheint sich der Einsatz von Wärmetauschern in vielen Fällen innerhalb weniger Jahre zu amortisieren;

- bei der Herstellung von Blei wird seit einigen Jahren ein Prozeß eingesetzt, der nicht nur die Staub- und Schwermetall-Emissionen wesentlich verringert, sondern auch um ein Drittel billiger ist als herkömmliche Verhahren;

- dem Office of Technology Assessment (Büro für Technikfolgenabschätzung) des US-Kongresses zufolge ist die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Stahlindustrie durch das Umsetzen der relativ strikten Umweltvorschriften gestiegen, und auch Maßnahmen zur Vermeidung von Sonderabfall haben generell die Effizienz gesteigert.

Frühzeitiges Einführen strenger Standards kann die technologische Konkurrenzfähigkeit verbessern, denn die Unternehmen erhalten dadurch Anreize, als Pioniere umwelttechnisches Know-how zu entwickeln. Das verschafft ihnen Vorsprünge im internationalen Qualitätswettbewerb – und zwar um so eher, je mehr es den Unternehmen selbst überlassen bleibt, in welcher Weise sie den Vorgaben genügen.

Die Vorreiterrolle der Bundesrepublik im Umweltschutz hat zudem ihre Stellung auf den internationalen Märkten für Umwelttechnik gestärkt: Deutschland ist in diesem Sektor neben den Vereinigten Staaten einer der weltweit größten Exporteure und hat damit zugleich im Außenhandel mehr Erfolg als mit anderen Gütern. Die Analyse von Patentstatistiken stützt gleichfalls die These, daß gerade Länder mit strikter Umweltschutz-Gesetzgebung eine starke Position im globalen technologischen Wettbewerb einnehmen.

Standortnachteile durch Auflagen?

Immer wieder sollen Fallstudien oder anekdotische Einzelbeispiele belegen, daß strikte Umweltpolitik manche Unternehmen veranlasse, abzuwandern oder doch einzelne Betriebe ins Ausland zu verlagern. Tatsächlich sind auch in dieser Hinsicht die Belastungen, genau wie die Vorteile, nicht gleich verteilt.

In einzelnen Wirtschaftszweigen beträgt der Umweltschutz-Anteil an den Gesamtinvestitionen bis zu 30 Prozent – so etwa im Steinkohlebergbau einschließlich der Brikettherstellung und Kokerei, in der Elektrizitäts- und Fernwärmeversorgung, der Verhüttung von Nichteisenmetallen sowie der chemischen Grundstoffindustrie. Es ist durchaus vorstellbar, daß Unternehmen dieser Branchen Standortverlagerungen erwägen. Sie können aber auch die eigene Produktion aufgeben und statt dessen Vorleistungen beziehen; daß dies tatsächlich geschieht, zeigt der zunehmende Anteil umweltbelastender Produkte an den Ausfuhren von Entwicklungsländern.

Doch da bei Standortverlagerungen die Einsparungen größer sein müssen als die Kosten, geben hohe Umweltschutz-Auflagen allein kaum den Ausschlag für Produktionseinstellungen, sondern erst zusammen mit generellen Wettbewerbsschwächen: Bei veralteten Anlagen, geringer Produktivität und Konkurrenz aufgrund niedriger Preise statt durch Produktdifferenzierung lassen sich auch mit einer ökologisch ausgerichteten Unternehmenspolitik keine Vorteile mehr erringen.

Neuerdings sieht man Umwelt- und Arbeitsmarktprobleme deswegen immer mehr in einem strukturellen Zusammenhang, so etwa im Weißbuch der EU-Kommission zu Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung: Ist die Arbeit zu teuer, wird dieser Produktionsfaktor ungenügend genutzt; zu niedrige Preise für natürliche Ressourcen animieren, sie übermäßig zu beanspruchen. Eine Verteuerung der Umweltnutzung – etwa in Form einer Energiesteuer, deren Aufkommen man zur Senkung der Arbeitskosten verwendete – würde dann gewissermaßen eine doppelte Dividende abwerfen.

Eine höhere Arbeitsintensität einer Volkswirtschaft kann sich daraus ergeben, daß vor allem Dienstleistungen stärker nachgefragt werden. Zieht man allerdings die gesamte Kette der Vorleistungen ins Kalkül, so wird zweifelhaft, ob sich damit zwangsläufig auch der Verbrauch an Energie und anderen natürlichen Ressourcen verringere. Hinzu kommt, daß vermehrter Konsum von arbeitsintensiv hergestellten Verbrauchsgütern vielfach mit einem vermehrten Konsum umweltintensiv hergestellter einhergeht.

Doch selbst bei unveränderter Nachfragestruktur lassen sich die Güter im Prinzip arbeitsintensiver und weniger umweltintensiv produzieren – vorausgesetzt, die Verwendung natürlicher Ressourcen läßt sich in adaptierten Prozessen überhaupt durch Arbeitskraft ersetzen. Ein Beispiel wäre der Rückbau anstelle des Abrisses von Gebäuden; dies dürfte freilich sogar bei einer erheblichen Änderung der relativen Preise von Arbeit und natürlichen Ressourcen nur selten wirtschaftlich sein. Viel öfter läßt sich die Inanspruchnahme von Umweltkapital durch Sachkapital ersetzen, etwa bei der – selbst zu heutigen Energiepreisen wirtschaftlichen – Wärmedämmung von Gebäuden.

Eine Chance zur Minderung der Beschäftigungsprobleme ergibt sich mithin vor allem, wenn die Änderungen der Produktionsbedingungen und Preisrelationen ein Modernisierungsprozeß begleitet, bei dem eine Substitution zwischen Kapital und Energie stattfindet und der Anstöße für höheres Wachstum gibt. Allerdings sind gegenwärtig die Möglichkeiten für eine stärker arbeits- und weniger umweltintensive Produktionsweise skeptisch einzuschätzen, wenngleich längerfristig eine Verschiebung der relativen Preise dazu durchaus stärker anreizen könnte. Vorerst scheint es aussichtsreicher, Beschäftigung durch die Wachstumsimpulse zu schaffen, die von der Entwicklung und Einführung umweltschonender Technologien und den damit verbundenen Kosteneinsparungen ausgehen. Dabei werden gewiß auch weiterhin nach- und zugeschaltete Verfahren bedeutsam sein, doch in Zukunft wird man verstärkt integrierte Umwelttechniken einführen.


Neue Produktionsprozesse

Eben diese Integration erfordert eine Umstrukturierung des gesamten Produktionsprozesses. Um herauszufinden, wie ein solches Redesign sich auf Wachstum und Beschäftigung auswirkt, muß man zunächst die gesamtwirtschaftlichen Folgen einzelner Innovationen dieser Art analysieren.

Solche Untersuchungen sind wegen ihrer Kompliziertheit bisher nur für wenige Technologien durchgeführt worden, zum Beispiel für die stärkere Nutzung von Abwärme. Dabei unterstellt man, daß – ausgelöst etwa durch eine gezielte Verordnung oder durch Energiesteuern – die Anwendung von Wärmetauschern in der Industrie forciert wird.

Weil die Anwender Energiekosten sparen und zudem in Wärmetauscher investieren müssen, verringert sich auf den ersten Blick die wirtschaftliche Aktivität. Allerdings lassen sich die Einsparungen dazu nutzen, unmittelbar die Gewinne zu erhöhen oder die Produkte zu geringeren Preisen anzubieten; in beiden Fällen erhöht sich das Realeinkommen, was den Wirtschaftskreislauf ankurbelt. Darum dürfte der gesamtwirtschaftliche Beschäftigungseffekt eines forcierten Einsatzes von Wärmetauschern alles in allem positiv ausfallen; er betrüge im Zeitraum 1996 bis 2000 schätzungsweise 70000 Arbeitsplätze.

Auch wenn sich diese anhand einer einzelnen Technologie erzielten Ergebnisse nicht unmittelbar auf andere verallgemeinern lassen, scheinen die Beschäftigungseffekte integrierter Umweltschutzmaßnahmen insgesamt günstig zu sein. Von einer reinen Fortentwicklung der bisherigen Strategie – mit dem Schwerpunkt auf nach- und zugeschalteten Verfahren – wäre jedenfalls weniger zu gewärtigen.

Längerfristig sind von einer integrierten Umweltpolitik sogar kräftigere Wachstums- und Beschäftigungseffekte zu erwarten: Sie schafft weit stärkere Innovationsanreize als bloße Nachsorge – und zwar nicht nur in der relevanten Technik selbst, sondern von vornherein im gesamten Produktionsprozeß. Die Folge wären höhere Effizienz und Produktivität, die wiederum Wachstum und Beschäftigung stimulieren dürften.

Eine solche ökologische Umstellung wirkt sich allerdings nicht nur auf das gesamtwirtschaftliche Niveau samt dem Arbeitsmarkt aus, sondern gibt auch Anstöße für eine Veränderung der Wirtschaftsstrukturen. Im Falle der Wärmetauscher beispielsweise steigt die Bedeutung der Anwender-Branchen (etwa der chemischen Industrie), während vor allem energieerzeugende Sektoren wie Elektrizitätswirtschaft und Bergbau Einbußen hinnehmen müssen. Häufig wird sich die Anpassung an neue Umweltschutz-Technologien aber auch innerhalb der Wirtschaftszweige selbst abspielen.


Breite Qualifizierung

Ob bedingt durch mehr Nachsorge oder durch die Orientierung auf integrierten Umweltschutz – die Umstellung der Produktionsprozesse erfordert entsprechend versierte Beschäftigte. Spezifische Qualifikationen müssen sowohl in der Berufs- und Hochschulausbildung als auch mittels Weiterbildung und Umschulung vermittelt werden. Das betrifft Mitarbeiter – etwa Techniker – von Unternehmen ebenso wie freie Berater oder Beauftragte von Behörden.

Um eine Vorstellung über die quantitative Bedeutung solcher Spezialisierung zu gewinnen, haben wir Ergebnisse aus Bereichs- und Fallstudien mit dem Raster der Beschäftigung für 1990 in Westdeutschland verknüpft. Nach diesen Modellrechnungen dürften damals nur etwa 40000 Personen in typischen Umweltschutz-Berufen tätig gewesen sein. Damit entfielen nur etwa 7 Prozent aller umweltschutz-induzierten Beschäftigungseffekte auf diesen Bereich (und bezogen auf die Gesamtbeschäftigung dürften diese Berufe nicht einmal einen Anteil von 0,1 Prozent erreicht haben); bei den übrigen 93 Prozent war das Wissen über die Herstellung des jeweiligen Grundprodukts weit wichtiger als das über dessen mögliche Verwendung für den Umweltschutz.

Die eigentliche Bedeutung umweltspezifischer Kenntnisse liegt auf einer anderen Ebene: Sie werden immer mehr zu einer typischen Querschnittsqualifikation. In vielen Positionen wird die Befähigung, etwa mit umweltgefährdenden Stoffen umzugehen oder Schutzmaßnahmen anzuwenden, wichtiger, ohne das jeweilige Berufsbild grundsätzlich zu verändern.

Bei der ökologischen Ausrichtung der Produktionsprozesse steht somit die Vermittlung dieser Querschnittsqualifikation im Vordergrund. Für Betriebe, aber auch für private und öffentliche Stellen, die sensitive Anlagen überwachen und einschlägige Vorschriften durchzusetzen haben, wird es künftig immer rentabler, Spezialisten für diese Tätigkeiten einzusetzen. Bezogen auf die Gesamterwerbstätigkeit dürfte allerdings der Anteil besonderer Umweltschutz-Berufe auf absehbare Zeit bescheiden bleiben.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1995, Seite 102
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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