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Kernphysik: 18 Trilliarden Jahre Halbwertszeit

Atomkerne des Isotops Xenon-124 benötigen buchstäblich eine Ewigkeit, um sich in ein anderes Element umzuwandeln. Nun waren Wissenschaftler live dabei.
Wassertank und Gerätehaus von XENON1T - auf dem Tank ist eine Innenansicht des Tanks mit dem in der Mitte aufgehängten Detektor aufgedruckt.

Ein internationales Wissenschaftlerteam hat einen unvorstellbar seltenen radioaktiven Zerfall dingfest gemacht. Er betrifft Atomkerne des Edelgasisotops Xenon-124. Hin und wieder verschlucken sie zwei Elektronen aus ihrer Schale und wandeln damit zwei Protonen in Neutronen um, aus Xenon-124 wird dadurch Tellur-124. Da der Kern bei der Umwandlung unter anderem zwei Neutrino-Teilchen ausspuckt, sprechen Physiker vom »Zwei-Neutrino-Doppel-Elektroneneinfang«.

Schätzungen zufolge hat der subatomare Prozess eine Halbwertszeit von 18 Trilliarden Jahren – eine Zahl mit 23 Stellen. Ein einzelner Xenon-124-Atomkern ist nach dieser Zeitspanne mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zerfallen. Betrachtet man jedoch sehr viele der Atomkerne auf einmal, steigt die Wahrscheinlichkeit, einem der seltenen Zerfälle tatsächlich beizuwohnen.

Die 160 Forscher der XENON-Kollaboration haben genau das getan: Zwischen 2016 und 2018 haben sie über einen stattlichen Tank in einem Labor unter dem Gran Sasso d'Italia gewacht. Er enthielt rund drei Tonnen flüssiges Xenon, bei rund 0,1 Prozent davon handelt es sich für gewöhnlich um das Isotop mit der Massenzahl 124. Mit dem akribisch von Umwelteinflüssen abgeschirmten Tank hielten die Wissenschaftler eigentlich nach Teilchen der Dunklen Materie Ausschau, die besonders bereitwillig mit den Atomkernen des Edelgases kollidieren sollten.

Dunkle-Materie-Teilchen haben die Forscher leider keine aufgespürt. Aber die extrem empfindliche Elektronik des XENON1T-Detektors ist auch für andere Suchen geeignet, etwa die nach sehr seltenen Zerfällen in Xenon-124: Die beiden vom Kern verschluckten Elektronen hinterlassen hier eine Lücke in der Atomschale, die nach kurzer Zeit von nach innen rutschenden Elektronen gefüllt wird. Dadurch sendet das Atom Signale aus, welche die im Tank installierten Messgeräte nachweisen können.

Zwischen 2017 und 2018 habe man insgesamt 126 verdächtige Zerfallssignale aufgefangen, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin »Nature«. Der Zwei-Neutrino-Doppel-Elektroneneinfang sei damit nachgewiesen. Bisher hatte es lediglich unsichere Hinweise auf den seltenen Zerfall gegeben.

Für die Physiker ist er ein Zwischenschritt auf dem Weg zu noch spektakulärerer Beute: Experten gehen davon aus, dass es den Zerfall auch in einer Variante gibt, in der sich die beiden Neutrinos gegenseitig auslöschen. Das wäre dann der »neutrinolose Doppel-Elektroneneinfang«, ein enger Verwandter des etwas bekannteren »neutrinolosen Doppel-Betazerfalls«. Er wäre ein Hinweis auf neue Naturgesetze, die bei der Erklärung des offenkundigen Ungleichgewichts zwischen Materie und Antimaterie im Universum helfen könnten.

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