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Interview: »Wir sollten die moderne Technik nutzen«

Biolandbau-Vordenker Urs Niggli erklärt im Interview, warum auch Bio Gentechnik braucht. Außerdem sieht er die konventionelle Landwirtschaft als entscheidender für eine nachhaltige Welternährung an.
Kuh bei Sonnenuntergang
Idylle, möglichst naturbelassen: Das verbreitete Idealbild der Landwirtschaft kollidiert oft mit der Wirklichkeit.

Die EU plant, Techniken wie CRISPR-Cas von den strengen Einschränkungen für Grüne Gentechnik zu befreien, sofern die veränderten Pflanzen von natürlich entstandenen nicht zu unterscheiden sind. Umweltverbände und Öko-Landwirtschaft kritisieren den Plan. Doch Urs Niggli, Agrarwissenschaftler und langjähriger Spiritus Rector des biologischen Landbaus, widerspricht dem. Im Interview erklärt er, weshalb der klassische Biolandbau sogar aufpassen muss, nicht seine Vorreiterstellung bei der Nachhaltigkeit zu verlieren.

»Spektrum.de«: Wie stehen Sie als Pionier des Biolandbaus zum Entwurf der EU-Kommission zur neuen Gentechnik, dem zufolge deren Anwendung künftig erleichtert werden soll?

Urs Niggli: Ich bin in erster Linie Agrarwissenschaftler – und befürworte den Entwurf. Mit der Genomeditierung können Sorten erzeugt werden, die sich nicht von solchen unterscheiden, die mit der herkömmlichen Kreuzungszucht entstanden sind. Wenn man also diese neue Technik ablehnt, dann stellt man den technischen Prozess der Züchtung über die Qualität und den Nutzen des Endprodukts.

Urs Niggli | Der 69-jährige Agrarwissenschaftler leitete von 1990 bis 2020 das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) mit Hauptsitz im schweizerischen Frick, das heute zu einer der bedeutendsten Einrichtungen zur Erforschung der ökologischen Landwirtschaft zählt und seit Jahren auch Zweigstellen in Deutschland und Österreich unterhält. Niggli war wissenschaftlicher Berater der UNO in Ernährungsfragen und ist heute Präsident des von ihm gegründeten Instituts für Agrarökologie, agroecology.science.

Die Biobranche bekämpft die neue Gentechnik genauso wie die schon lange eingesetzte.

Das ist ein Fetisch. Die alte Grüne Gentechnik basierte darauf, dass im Labor künstlich zusammengesetzte Erbgutfragmente – oft aus fremden Arten – an zufälliger Stelle ins Pflanzengenom eingeschleust wurden. CRISPR-Cas9 dagegen führt zu gezielten Mutationen an einzelnen Stellen des Erbguts, wie das auch in der Natur ständig passiert oder auch wie sie der Mensch seit 50 Jahren auf ziemlich primitive Weise mit Chemie oder Bestrahlung auslöst. Alle unsere Kultursorten basieren auf solchen Mutationen. Die modernen Züchtungsmethoden mittels Genschere sind deshalb ein großer Fortschritt. Die Risiken sind jedenfalls geringer, und es ist gut, wenn wir endlich die Chancen und Potenziale diskutieren. Einerseits sind die Eingriffe weniger tief, die Veränderungen kommen auch in der Natur vor, und andererseits ist der züchterische Fortschritt viel rascher. Für die Landwirtschaft und die Gesellschaft gibt das viele Vorteile.

Will die Biobranche damit womöglich vor allem das werbewirksame Label »gentechnikfrei« erhalten?

Ja, die Bioverbände kämpfen im Moment Seite an Seite mit den NGOs in Brüssel gegen die Verordnung. Ihre Sichtweise auf die Gentechnik ist veraltet, aber mittlerweile ist »gentechnikfrei« ein politisches und ein Verkaufsargument. Die Bioverbände halten ganz gezielt die Angst vor molekularbiologischen Züchtungsmethoden hoch, um sich auf dem Markt profilieren zu können.

Aber warum braucht es die neue Gentechnik überhaupt?

Wir brauchen Lösungen für die Zukunft der Welternährung. In 30 Jahren werden zwei Milliarden Menschen mehr am Tisch sitzen. Wir müssen nicht nur die Qualität der Böden erhalten, wie das die Biobauern tun, sondern auch mit der raren Fläche sparsam umgehen. Die heutige intensive Landwirtschaft verringert die biologische Vielfalt. Der Biolandbau ist einer von vielen Ansätzen, diese Probleme anzugehen. Aber leider liefert er 20 bis 50 Prozent weniger Ertrag pro Fläche als konventionelle Landwirtschaft. Das bedeutet, mit ausschließlich biologischer Landwirtschaft müssten wir noch mehr Naturräume zerstören, um Menschen zu ernähren zu können. Wir brauchen also auch konventionelle Landwirtschaft – aber in einer nachhaltigeren Form als heute. Und um – gerade in Zeiten von Wetterextremen – produktiver zu werden, kann uns die neue Gentechnik helfen.

»Die Bioverbände halten ganz gezielt die Angst vor molekularbiologischen Züchtungsmethoden hoch«

Ist es wirklich schädlich für die biologische Landwirtschaft, wenn sie langsamer ist als die konventionelle? Sie hat ja heute schon das Image, weniger Hightech als vielmehr ursprünglich zu sein.

Die Biolandwirtschaft läuft Gefahr, gerade bei der Nachhaltigkeit abgehängt zu werden. Das sehen wir in fünf bis zehn Jahren, weil die Chinesen und die Amerikaner voll auf die neuen Methoden setzen. Da es ein globaler Trend ist, von den zugekauften Stickstoff- und Phosphordüngern und den chemischen Pestiziden wegzukommen, werden Sorten auf den Weltmarkt kommen, die diese nicht oder weniger brauchen. Die Forschung und Züchtung im Biolandbau muss sich deshalb sputen, um gleich gute Lösungen zu entwickeln. Die Biobauern haben teilweise sogar für aktuelle Probleme noch keine guten Lösungen, wie die Anwendung von Kupfer als Fungizid zeigt.

Mit dem Schwermetall Kupfer zu spritzen ist erlaubt in der ökologischen Landwirtschaft?

Das ist nach den Öko-Richtlinien erlaubt. Für die gefürchtete Kraut- und Knollenfäule (Phytophthora) gibt es leider noch keine bessere Lösung. Ebenso wenig für den Falschen Mehltau an den Weinreben (Peronospora). Die Entwicklung von alternativen Pflanzenschutzmitteln, etwa aus Pflanzenextrakten, wird von der Industrie zwar aufgenommen und ist auch die Stoßrichtung verschiedener Projekte, auch seitens der EU. Aber die Fortschritte sind klein. Ebenso gibt es bereits resistente Sorten.

Wo ist das Problem, wenn es diese Sorten ohnehin schon gibt?

Sowohl im Weinbau wie auch im Kartoffelanbau genügen diese Sorten oft nicht den Qualitätsanforderungen und den Gewohnheiten der Verbraucher. So sind sie etwa im Geschmack nur mittelmäßig. Zudem treten auch bei Kreuzungszüchtung bei so aggressiven Krankheitserregern rasch resistente Krankheitserreger auf. Der feste Wille der Bioverbände und der Biozüchter ist, sich vollständig von der konventionellen Züchtung abzukoppeln. Eine eigenständige Züchtung wird in Europa allerdings Milliarden kosten, denn es müssen etwa 50 verschiedene botanische Arten und eine große Sortenvielfalt gezüchtet werden. In China und den USA wird es derweil keine Einschränkungen für die neuen, viel einfacheren Züchtungsmethoden geben, auch nicht für den Biomarkt.

Angesichts solcher Schwierigkeiten und des grundsätzlichen Problems, dass die biologische Landwirtschaft mehr Fläche braucht: Warum sollte ich als Verbraucher überhaupt Bio kaufen? Was leistet der Biolandbau?

Die von Biohöfen bewirtschafteten Böden sind deutlich fruchtbarer als die von konventionellen Betrieben – besser durchlüftet, weniger verdichtet, und sie erodieren weniger stark. Außerdem baut der Biobauer mehr Humus auf. Deshalb wird weniger CO2 freigesetzt. Biolandwirtschaft ist also etwas klimafreundlicher als die konventionelle Landwirtschaft. Wenn man einen Getreideacker striegelt mit einem mechanischen Gerät, bleibt immer Unkraut übrig. Das zieht Insekten an, diese wiederum Vögel. Die Biodiversität ist höher auf einem Bioacker. In Bioprodukten findet man kaum Rückstände von Pestiziden. Ich esse 100 Prozent Bioprodukte. Aber wenn wir die Welt nachhaltig ernähren wollen, dann müssen wir den Fokus auf die konventionelle Landwirtschaft legen und diese ökologischer machen.

»Ich würde auch gerne aus der Polarisierung zwischen konventionell und ökologisch herauskommen«

Vielleicht bräuchten wir auch für die konventionelle Landwirtschaft ein eigenes Siegel speziell für nachhaltige Produktion, analog zu den Biosiegeln? Auch für andere nachhaltig produzierte Lebensmittel wie Tomaten, die ohne Erdboden angebaut werden, kann es heute keine Biozertifizierung geben.

Ich würde auch gerne aus der Polarisierung zwischen konventionell und ökologisch herauskommen. Zwischen einer Produktion, die sich gar nicht um Nachhaltigkeit schert, und dem Biolandbau gibt es ja sehr viel Raum, in dem Landwirte sich für eine nachhaltigere Landwirtschaft engagieren können. Und wenn es nicht möglich ist, mit Biolandbau allein die Welt zu ernähren, nicht mal Deutschland, die Schweiz oder Europa, dann sollte man diesen Raum nutzen.

Von einem zusätzlichen Nachhaltigkeitssegment im Supermarktregal, mit dem die Verbraucher solche Anstrengungen mit höheren Preisen belohnen könnten, halten Sie nichts?

Man müsste dann wieder lange erklären, was sich hinter einem solchen Label verbirgt – damit stünde man da, wo die Biobauern vor 30 Jahren waren. Nachhaltigkeitsbemühungen von konventionellen Bauern müssten natürlich kommuniziert werden. Ich denke da aber weniger an ein neues Label, sondern mehr an einen QR-Code, der auf den Produkten aufgedruckt ist und mit dem die Konsumenten sich darüber informieren können, was die Herstellung eines Lebensmittels für die Gemeinschaft erbracht hat. Weiters hat die Gemeinsame Agrarpolitik der EU mit den Direktzahlungen ein mächtiges Lenkungsinstrument. Heute werden leider nur 25 Prozent der Mittel für so genannte Öko-Regelungen ausbezahlt.

Mit diesem Förderinstrument können Bauern Geld beantragen, wenn sie Blühstreifen stehen lassen oder vielfältige Kulturen anbauen. Aber als Konsument wäre es mir zu viel Aufwand, dies bei jedem Produkt mittels QR-Scan zu überprüfen.

Es ist spannend, wie diese Diskussion ausgehen wird. In den letzten 30 Jahren hatte der Biolandbau etwas Mitreißendes. Er war attraktiv, weil er innovativ war. Der Ökolandbau wird von diesem Glanz des Neuen mehr und mehr verlieren. Es ist schon möglich, dass Platz für etwas Neues ist.

Ist es womöglich gar Verschwendung, Bio zu kaufen und damit diese Landwirtschaft zu unterstützen, wenn sie die Welt nicht ernähren kann?

Der Ökolandbau kann nur dann seine ökologische und soziale Qualität ausleben, wenn der Markt da ist, sprich, wenn die Verbraucher die höheren Preise bezahlen. Das sehen wir gerade, Bio erlebt eine Stagnation. Auf recht hohem Niveau zwar, aber weltweit gesehen wird er immer ein Nischenprodukt sein: Heute werden 1,6 Prozent der Fläche biologisch bewirtschaftet. Das bedeutet aber auch, niemand hungert auf der Welt, weil wir Bioprodukte kaufen, das ist ein bösartiger Mythos der Industrie.

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