Direkt zum Inhalt

Mond und Mars: Chinas Raumfahrt trotzt Covid-19

Neue Raketen, neue Raumschiffe, neue Missionen zu Mond und Mars: Die chinesische Raumfahrt hat dieses Jahr viel vor. Größtes Hindernis bei alldem ist nicht unbedingt ein Virus.
Chinas neues Landemodul

Corona? War da was? Nicht, wenn es nach einem kleinen chinesischen Entdecker geht. Yutu-2, so der Name des Kundschafters, zeigt sich unbeeindruckt von der aktuellen Krise. Er läuft und läuft und läuft. Genauer gesagt: Er rollt. Über die Rückseite des Mondes, und das seit mehr als 14 Monaten. Unbeirrt.

Im Januar 2019 war dem »Jadehasen«, so der deutsche Name des Roboterfahrzeugs, die weltweit erste Landung auf der erdabgewandten Seite des Mondes geglückt – gemeinsam mit seiner Muttersonde Chang'e-4. Seitdem hat der 140 Kilogramm schwere Rover gut 400 Meter zurückgelegt und längst einen Ausdauerrekord für Mondfahrzeuge aufgestellt. Allen irdischen Wirren zum Trotz.

Yutu-2 ist damit nicht allein. Auch die anderen Raketen und Sonden des chinesischen Raumfahrtprogramms bewältigen – nach allem, was man im Westen mitbekommt – die Coronakrise ohne schwer wiegende Probleme. Entsprechend groß sind die Ambitionen der chinesischen Parteiführung: Noch 2020 plant die Volksrepublik den ersten Start einer eigenen Marssonde, den Jungfernflug eines neuen Raumschiffs und den Beginn einer weiteren Mondmission, die dieses Mal lunare Bodenproben zur Erde bringen soll. Insgesamt stehen mehr als 40 Starts auf der Agenda. Es scheint, als könnte kein Virus das chinesische Raumfahrtprogramm aus der Bahn werfen. Technische Probleme bei den Raketen könnten das allerdings sehr wohl.

Die Technik macht nicht immer mit

So wie am 16. März 2020. Ohne Vorwarnung und ohne großes Aufheben hatte China seine neueste Rakete, Typ Langer Marsch 7A (LM-7A), zur Startrampe in Wenchang gerollt. Dort, ganz im Südwesten des Landes, auf der Insel Hainan, bietet sich eine freie Schussbahn über das Südchinesische Meer. In der Vergangenheit war das anders: Chinas ursprüngliche Trägerraketen hoben allesamt von Startrampen im Landesinneren ab. Zudem vertrauten sie auf hochgiftige, so genannte hypergole Treibstoffe mit Namen wie UDMH und NTO. Nach wie vor sind einige dieser Raketen in Betrieb sind, so dass noch immer ausgebrannte Tanks und Triebwerke auf Dörfer herabstürzen – mitsamt ihrer giftigen Fracht.

Diese Gefahr besteht in Wenchang nicht. Und doch gab es am 16. März 2020 eine böse Überraschung: Zwei Stunden nach dem Start vermeldete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua reichlich wortkarg, dass der Flug fehlgeschlagen sei – ohne Gründe zu nennen.

Was die USA einst schnell, aber sporadisch umgesetzt haben, macht China nun langsam und methodisch
Joan Johnson-Freese

Für die Volksrepublik war das mehr als ein peinlicher, aber verschmerzbarer Rückschlag. Schließlich besteht die neue LM-7A aus Komponenten mehrerer anderer, wichtiger Raketen. Die so genannte Oberstufe, die Satelliten in ihre gewünschte Umlaufbahn bugsiert, stammt zum Beispiel von der Langer Marsch 3B, dem aktuellen Arbeitspferd für chinesische Satellitenstarts. Noch schlimmer wären Probleme mit den Triebwerken der Hauptstufe. Denn die kommen von der Langer Marsch 5 (LM-5) – und sie soll das Jahr 2020 zum Jahr der chinesischen Raumfahrt machen.

Heißer Sommer

Der Höhepunkt steht dabei im Sommer an, sofern der aktuelle Fehlstart nicht zu Verzögerungen führen sollte: Ende Juli will China seine erste interplanetare Mission starten. Es soll zum Mars gehen, und zwar mit dem vollen Programm: einem Orbiter, der auf seiner Umlaufbahn wissenschaftliche Messungen durchführt, einer Landesonde und einem etwa 240 Kilogramm schweren Rover.

Tiangong 2 in der Montagehalle | Mit einer Länge von rund zehn Metern ist Tiangong 2 eine recht kleine Raumstation. Ihre Dimensionen und die Form entsprechen dem Vorgänger Tiangong 1, der im September 2011 gestartet ist und zweimal von Astronauten Besuch erhielt.

Einfach wird das nicht. Bislang ist es nur US-Sonden gelungen, sanft und nachhaltig auf dem Mars aufzusetzen: Die Atmosphäre des Roten Planeten ist zwar so dick, dass sich Sonden beim Eintritt in die Lufthülle stark aufheizen. Sie ist allerdings zu dünn, um Raumfahrzeuge ausreichend abzubremsen. Marssonden brauchen daher einen Hitzeschild, Bremsfallschirme und Bremsraketen.

Copy und Paste

China hofft, bei all dem auf Erfahrungen seiner anderen Raumfahrtprogramme zurückgreifen zu können, wie Andrew Jones in der Fachzeitschrift »IEEE Spectrum« berichtet. Die vollautomatische Steuerung der Landesonde, angesichts einer Signallaufzeit zum Mars von acht Minuten unabdingbar, wollen Chinas Ingenieure von Chang'e-4 übernehmen, der erfolgreichen Landung auf der abgewandten Seite des Mondes. Die Bremsfallschirme sollen auf jener Technik basieren, die Chinas Astronauten an Bord ihrer Shenzhou-Raumkapseln bereits sechsmal sicher zurück zur Erde gebracht hat.

Die Bremsraketen und die eigentliche Landetechnik stammen schließlich wieder aus dem Mondprogramm: Etwa 70 Meter über dem Marsboden soll sich die Sonde vom Rest des Raumfahrzeugs trennen, erklärt Chefdesigner Zhang Rongqiao im chinesischen Staatsfernsehen. Sie soll dank ihrer Triebwerke schweben und mit Lasern sowie optischen Kameras einen hindernisfreien Landeort aussuchen. Klappt die anschließende Landung, dann wird der Rover etwa 90 Tage lang den Mars mit Kameras beobachten sowie mit Radar, Magnetometer und Klimadetektor erkunden. Mit Hilfe eines Lasers soll das Fahrzeug zudem Gesteinsbrocken beschießen und anhand der dabei entstehenden Lichtblitze die Zusammensetzung des Materials analysieren.

Bislang seien Bau und Vorbereitung der Mars-Sonde wie geplant verlaufen, so Xinhua: »Die Coronavirus-Epidemie hat die Tests nicht beeinträchtigt, und die Techniker tun alles, um den Erfolg der Mission zu garantieren.« Viel Spielraum haben die Ingenieure allerdings nicht: Verpasst die Sonde ihr Startfenster im Sommer, ergibt sich erst 26 Monate später wieder eine Möglichkeit, auf direktem Weg zum Mars zu fliegen.

Der Druck ist groß, insbesondere auf die Langer Marsch  5. Denn schon einmal hat die Schwerlastrakete Chinas Startpläne durcheinandergebracht: Im Juli 2017 verhinderte eine defekte Pumpe, dass die LM-5 ihre geplante Umlaufbahn erreichte. Die Triebwerke mussten komplett überarbeitet werden. Erst 900 Tage später, kurz vor dem letzten Jahreswechsel, gelang wieder ein Start.

Die Erleichterung bei den chinesischen Raumfahrtfunktionären muss groß gewesen sein, schließlich wird die Langer Marsch 5 nicht nur für den Mars benötigt. Auch Chinas nächstes Crew-Raumschiff soll mit einer leicht modifizierten Variante der Rakete, LM-5B genannt, ins All starten. Angeblich ist ein erster Testflug – noch ohne Menschen an Bord – für Mitte oder Ende April geplant.

Der Jadehase | Chinas Mondrover bekommt auf alle Fälle schon eine Anerkennung für den nettesten Namen: Jadehase, chinesisch: Yutu. Das Gefährt nimmt die Mondoberfläche genauer in Augenschein und knipst neue Bilder.

Die Neuentwicklung wird dringend benötigt: Bislang sind Chinas Raumfahrer bei ihren Flügen ins All auf die engen Shenzhou-Kapseln angewiesen, in denen nur drei Crewmitglieder Platz finden. Das neue, noch namenlose Raumschiff soll hingegen Raum für vier bis sechs Astronautinnen und Astronauten bieten. Vor allem aber soll es – im Gegensatz zu Shenzhou – Flüge über die Erdumlaufbahn hinaus ermöglichen: zum Mond und in die Tiefen des Alls, auch wenn die chinesische Staatsführung dafür noch keine konkreten Pläne verkündet hat.

»Diese Fähigkeiten zeigen, dass China es ernst meint mit der astronautischen Raumfahrt«, sagt Sicherheitsforscherin Joan Johnson-Freese vom Naval War College im Branchendienst Space.com. Was die USA einst »schnell, aber sporadisch« umgesetzt hätten, mache China nun »langsam und methodisch«.

Ein neues Raumschiff

Zu diesem Vorgehen passt auch der geplante Testflug: Etwa 8000 Kilometer soll sich der Prototyp des neuen, bis zu 20 Tonnen schweren Raumschiffs beim Jungfernflug von der Erde entfernen – weit genug, um auf dem Rückweg mit hohem Tempo in die Erdatmosphäre einzutauchen. Dabei wollen die chinesischen Ingenieure nicht nur die Manövrierfähigkeit der Kapsel testen, sondern auch die Leistung des neuen Hitzeschilds, der Bremsfallschirme und der Airbags für die Landung. Abgesehen vom Hitzeschutz soll die Raumkapsel zudem wiederverwendbar sein – auch das ein Novum in Chinas Raumfahrt.

Die LM-5B ist allerdings nicht nur für Flüge der namenlosen Kapsel gedacht. Man werde die Rakete auch nutzen, um eine neue Raumstation in der Erdumlaufbahn aufzubauen, so Chefentwickler Yang Qing im Staatsfernsehen. Ein Prototyp des zentralen Stationsmoduls namens Tianhe (»himmlische Stille«) soll bereits im Januar für weitere Tests nach Wenchang gebracht worden sein.

Trotzdem bleibt unklar, wann genau die Missionsplaner mit dem Aufbau der Station beginnen wollen – dem mittlerweile dritten chinesischen Außenposten im All. Eigentlich hätte Tianhe bereits 2018 abheben sollen, was durch den damaligen Fehlschlag der LM-5 allerdings unmöglich geworden war. Nun könnte es 2021 so weit sein. Bereits ein Jahr später soll die bis zu 100 Tonnen schwere Station mit ihren drei Modulen dann bezugsfertig sein.

Zuvor will China jedoch noch einen anderen, nicht minder ambitionierten Plan umsetzen. Ende 2020 soll eine LM-5 zu einem Ziel starten, das der Volksrepublik inzwischen wohlvertraut ist: zum Mond. Nach der ersten chinesischen Mondsonde (2007), dem ersten chinesischen Mondrover (2013) und der weltweit ersten Landung auf der Mondrückseite (2019) sollen nun die ersten Bodenproben nach China gebracht werden.

Und noch einmal zum Mond

Ein unbemanntes Raumfahrzeug, Chang'e-5 getauft, soll dazu zum Mond fliegen. Dort wird es aus einer Umlaufbahn eine kleine Tochtersonde absetzen. Die Sonde wird landen und zwei Kilogramm Mondgestein aus bis zu zwei Meter Tiefe in einen Probenbehälter füllen. Dieser Behälter fliegt zurück zur Raumsonde, dockt im Mondorbit automatisch an und macht sich zusammen mit Chang'e-5 auf den Rückweg. Sicher verpackt in einer Kapsel, einer stark verkleinerten Version des Shenzhou-Raumschiffs, soll das Mondgestein schließlich auf der Erde landen – in derselben Region, die auch von Chinas Raumfahrern mit ihren Landekapseln angesteuert wird.

Auch bei dieser Mission, bereits vor 15 Jahren geplant, überlässt die Volksrepublik nichts dem Zufall: Dass China eine Sonde in eine Mondumlaufbahn schießen kann, hat das Land zur Genüge bewiesen. Dass China in der Lage ist zu landen, zeigte zuletzt Chang'e-4. Und dass China auf der Mondoberfläche sinnvolle Dinge erledigen kann, beweist Tag für Tag Yutu-2, der unermüdliche Rover. Selbst die Rückkehrkapsel ist für China kein Neuigkeit mehr: Im Oktober 2014 setzte eine Testsonde, die zuvor den Mond umrundet hatte, einen Prototyp des Behälters etwa 5000 Kilometer über dem Erdboden aus. Wenig später landete die Kapsel sicher in der Inneren Mongolei.

Genau das soll auch dieses Mal passieren – als Krönung eines Raumfahrtjahres, das sich, so die Hoffnung der Kommunistischen Partei, durch ein irdisches Virus nicht vom Kurs abbringen lässt.

In der früheren Fassung einer Bildunterschrift hieß es, Chinas Mondrover knipse auch Bilder der Erde. Von der Mondrückseite aus ist dies jedoch schwer möglich. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.