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»Brienne Kollektion«: Künstliche Intelligenz liest ungeöffneten Renaissance-Brief

Bis ins 19. Jahrhundert verschlossen Menschen ihre Briefe auf kunstvolle Weise. Eine Software hat nun einen von ihnen gelesen - ohne das Siegel zu brechen.
Ungeöffneter Brief aus der Brienne Kollektion

Wer vor den 1830er Jahren einen Brief verschicken wollte, hatte ein Problem: Briefumschläge gab es noch nicht. Im Prinzip konnte also jeder Postbote den Inhalt einer Nachricht lesen. Viele Menschen behalfen sich mit einer Technik, die heute als »letterlocking« oder Briefverschluss bekannt ist. Dabei faltete man einen beschriebenen Papierbogen kunstvoll und klebte das Werk an ausgewählten Punkten zusammen. Ein so präparierter Brief ließ sich unterwegs nicht mehr öffnen, ohne dabei das Papier zu beschädigen – was dann der Empfänger der Botschaft zwangsläufig mitbekommen hätte.

Für Historiker sind sehr alte Briefe, die nie geöffnet wurden, daher eine Herausforderung: Sie würden zu gerne den Inhalt erfahren, riskieren beim Auseinanderschneiden aber, Teile der Nachricht unlesbar zu machen. Abhilfe verspricht nun eine neue Methode, die Wissenschaftler in »Nature Communications« vorgestellt haben: Bei ihr durchleuchtet man einen verschlossenen Brief zunächst mittels Röntgentomografie. Das Entfalten findet anschließend rein virtuell am Computer statt: Eine von den Forschern entwickelte Software setzt die Schicht für Schicht gewonnenen Röntgendaten so zusammen, dass man die Falttechnik nachvollziehen und letztlich sogar den Inhalt des Briefes rekonstruieren kann.

»Brienne Kollektion« | Die Truhe gehörte einst einem Postbeamten, der im späten 17. Jahrhundert in Den Haag lebte. Ein Teil der Briefe darin wurde nie zugestellt.

Getestet hat das Team um Jana Dambrogio vom Massachusetts Institute of Technology das Verfahren an einem Brief aus der »Brienne Kollektion«. Die 300 Jahre alte Truhe gehörte einst dem niederländischen Postbeamten Simone de Brienne. Sie enthält neben 2571 geöffneten auch 577 ungeöffnete Briefe, die Menschen aus allen Teilen Europas damals nach Den Haag geschickt hatten. Sie wurden jedoch nie zugestellt, da damals der Empfänger das Porto bezahlen musste, was nicht wenige Menschen bei unerwarteter Post verweigerten.

Der Brief, den jetzt die Gruppe um Dambrogio durchleuchtet hat, entpuppte sich als Nachricht eines Franzosen namens Jacques Sennacques vom 31. Juli 1697. Er bittet darin seinen in Den Haag als Händler arbeitenden Cousin Pierre Les Pers darum, einen zertifizierten Totenschein für »Daniel Le Pers« zu schicken, mutmaßlich ein enger Verwandter der beiden.

© Unlocking History Research Group
Entfaltung am Computer

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