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News: Den Bach runter

Mit den Europäern kamen neue Landwirtschaftsmethoden nach Australien, und Wälder mussten Schaf- und Viehweiden weichen. Korallenriffe vor der Küste spüren die Folgen: Sie werden seitdem auch in geschützteren Abschnitten mit erheblich mehr Sediment zugeschüttet.
Einst bedeckten Nordost-Australien üppige, tropische Regenwälder mit reicher Pflanzen- und Tierwelt. Heute sind davon nur noch Reste geblieben – umschlossen von ausgedehnten Grasflächen, auf denen Schafe und Kühe weiden. Der grundlegende Wechsel geschah in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als europäische Siedler den fünften Kontinent eroberten.

Weniger offensichtlich dokumentieren auch Korallen den Umschwung in der Vegetationsdecke. Denn die Grasnarbe schützt den Boden bei starken Regenfällen weit weniger als ein geschlossenes Dach aus Baumkronen, weshalb gerade Niederschläge nach Trockenzeiten aus solchen Flächen weitaus mehr Sedimente austragen als aus Waldgebieten. Und die chemische Signatur der eingeschwemmten Stoffe findet sich schließlich im Kalkskelett der Korallen wieder – so bietet das Great Barrier Reef vor der Küste ein Archiv, das jahrhunderteweit, noch in Zeiten vor der Besiedlung, zurückreicht.

Der Barium-Gehalt der Korallen in einem Bohrkern ermöglichte es Malcolm McCulloch von der Australian National University in Canberra und seinen Kollegen, das Ausmaß und den Zeitpunkt der Sedimentfrachten von 1750 bis 1985 zu erfassen. Denn die abgeschwemmten Feinstoffe sind sehr Barium-reich – dementsprechend mehr davon lagern die Korallen daher in ihr Skelett ein.

Ganz deutlich zeigte sich nach einem Hochwasserabfluss 1870 eine ausgeprägte Spitze im Barium-Gehalt. Bereits acht Jahre nach den ersten Ansiedlern, die Wälder gerodet und Weideflächen angelegt hatten, war die Erosion und damit der Schwebstoffeintrag also bereits sprunghaft angestiegen. Während vorher nur gelegentlich Schwebstoffe bis in die auch etwas geschützter liegenden Regionen des Riffs eingeschwemmt wurden, stieg der Eintrag seit der Ankunft der ersten europäischen Siedler um das Fünf- bis Zehnfache.

Doch nicht nur die Spitzenwerte legten zu, auch die Grundbelastung stieg: Denn seit etwa 1870 bauten die Korallen insgesamt mehr Barium ein, und zwar bis heute um 30 Prozent. Offensichtlich hatte sich die Erosion nicht nur bei starken Niederschlägen nach Trockenzeiten verschärft, sondern auch im Gesamtdurchschnitt. Die Hufe der Schafe und später vor allem der Kühe hatten gerade in den empfindlichen Uferbereichen den Boden bloßgelegt und damit dem Abtrag freigegeben.

Für die Korallen bedeutet der Schwebstoffeintrag Stress. Nicht nur, dass sie selbst darunter begraben werden – die mitgeführten Nährstoffe bringen Algen zum Blühen, gefolgt von den üblichen Problemen in der Sauerstoffversorgung, wenn das tote organische Material abgebaut wird. Glücklicherweise beschränken sich besonders heftige Einträge aber wohl auf begrenzte Zeiträume von Wochen oder wenigen Monaten, sodass dem System Gelegenheit bleibt, sich zu erholen.

Auffällig ist, so verweist Julia Cole von der University of Arizona in Tucson, dass der Eintrag nicht langfristig und stetig ansteigt, sondern sich die grundlegenden Schwebstofffrachten mit Veränderung der Landnutzung sprungartig auf ein neues Niveau verlagert haben. Hat die Erosion damit nur eine neue Größenordnung erreicht, auf der sie nun verharrt? Oder reagieren die Korallen womöglich mit verringertem Wachstum bei besonders starken Sedimenteinträgen und zeigen so gar nicht die tatsächlichen Verhältnisse an? Weitere Analysen sind nötig, um diese Fragen zu klären.

Ähnliche Muster gibt es auch in den Riffen vor Kenia – hier sind Starkregenereignisse gekoppelt an den El Niño. In Nordost-Australien sorgt La Niña für hohe Fluten: beides Klimaereignisse, die womöglich im Zuge der globalen Erwärmung häufiger auftreten werden. In einem sind sich die Wissenschaftler daher einig: Um Korallenriffe zu schützen, die bereits unter vielfältigen anderen Gefährdungen leiden, ist es dringend nötig, auch das Einschwemmen von Fein- und Schwebstoffen zu reduzieren – und dafür müsste nicht nur die Landnutzung gründlich überdacht werden.

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