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News: Der dritte Stamm

Es gibt erwünschte und weniger erwünschte Entdeckungen, zu denen diese zählt: jetzt wurde ein neuer Stamm des AIDS-Virus HIV-1 gefunden. Dieser Stamm unterscheidet sich so stark von den bisher bekannten Formen, daß er eventuell mit den aktuellen Bluttests nicht erkannt wird. Er wurde bei einer Frau aus Kamerun gefunden, die 1995 an AIDS verstarb, und kommt offensichtlich sehr selten und örtlich begrenzt vor. Experten drängen dennoch darauf, daß die Bluttests möglich bald so geändert werden müßten, daß auch dieser Stamm erkannt wird.
Der neue Stamm, der in der Septemberausgabe 1998 von Nature Medicine beschrieben wird, wurde während einer in Kamerun durchgeführten Studie unter Leitung des Virologen François Simon vom Bichat Hospital in Paris entdeckt. Bei Bluttests an einem AIDS-Patienten konnte kein Virus festgestellt werden, der zu einer der zwei bekannten Subtypen des HIV-1 gehörte: der M- oder der O-Gruppe. Ein Test auf SIV – der Affen befallenden AIDS-Variante – fiel dagegen positiv aus. Als die Forscher das Virus des Patienten isolierten und dessen genetischen Code sequenzierten, kamen sie zu dem Schluß, daß er zu einer zuvor unbekannten dritten HIV-1-Gruppe gehörte. Sie gaben ihr den Namen N-Gruppe.

Der neue Stamm, den die Wissenschaftler YBF30 tauften, steht dem Schimpansen-SIV genetisch näher als andere HIV-1-Stämme. Seine evolutionären Vorfahren könnten vielleicht von Schimpansen auf Menschen übertragen worden sein. Simon Wain-Hobson, AIDS-Forscher vom Institut Pasteur in Paris, gibt indes zu bedenken, daß diese Schlußfolgerung vielleicht auch "ein Schnellschuß" ist, da nur einige wenige Schimpansen-SIV zum Vergleich verfügbar sind.

Bis heute scheint sich YBF30 noch nicht sehr weit verbreitet zu haben: Nur bei drei von 700 Blutproben von in Kamerun lebenden HIV-1-infizierten Patienten ließ sich der Stamm nachweisen. Wie Wain-Hobson jedoch bemerkt, "verbreitete sich die M-Gruppe wahrscheinlich explosionsartig, weil sie in städtische Gebiete gelangte, und zwar sehr früh. Würde man Viren der N-Gruppe in New York freisetzen, gäbe es eine Epidemie." Aus diesem Grunde empfehlen die Wissenschaftler die HIV-Tests entsprechend zu modifizieren. François Simon erklärt: "Eine kontinuierliche Suche nach neuen Varianten ist nötig, um die Sicherheit des Spenderblutes sicherzustellen ... Diese Viren stehen bereits in den Startlöchern und warten nur auf günstige Bedingungen."

Siehe auch

  • Spektrum der Wissenschaft 9/98, ab Seite 34
    Schwerpunktthema: AIDS

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