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News: Gemeinsam büffeln

Lernen ist Nervenzellentraining: Wie ein Muskel durch stete Beanspruchung wächst, so wächst auch der für bestimmte Reize zuständige Bereich im Gehirn, wenn er über längere Zeit stimuliert wird. Besonders gut funktioniert das, wenn mehrere Reize zeitgleich verarbeitet werden müssen, denn benachbarte Nervenzellen verbessern dann ihre Zusammenarbeit. Diese Effekte konnten Forscher mit funktioneller Kernspintomograpie erstmals genau beobachten.
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Die funktionelle Kernspintomographie (fMRI) macht möglich, was sich schon Anfang des vergangenen Jahrhunderts der Neurophysiologe Charles Sherrington als ideale Untersuchungsmethode für die Hirnfunktion vorstellte: Um die Vorgänge im Hirn beobachten zu können, möge doch jede Nervenzelle, immer wenn sie aktiv ist, wie eine kleine Lampe aufleuchten. Mit der fMRI kann man von außen die Aktivität von Nervenzellen in der Großhirnrinde messen, ohne die Versuchsperson zu belasten.

Mit dieser Methode lässt sich auch die so genannte corticale Karte betrachten, die jeder Mensch von seiner Körperoberfläche im Kopf hat: Die Verbindungen zwischen Haut und Großhirnrinde sind topographisch angelegt, das heißt benachbarte Punkte auf der Haut werden auch im Gehirn benachbart repräsentiert. Reizt man zwei eng zusammenliegende Punkte auf der Haut, so werden auch im Gehirn nah beieinander liegende Stellen aktiviert. Lernvorgänge zeigen sich im Gehirn unter anderem daran, dass die Kontaktstellen der Informationsübermittlung zwischen einzelnen Nervenzellen (Synapsen) ihre Übertragungseigenschaften verbessern. Das funktioniert dann am besten, wenn die benachbarten Zellen zeitgleich gereizt werden. Um diesem Effekt auf den Grund zu gehen, nahmen Forscher um Hubert Dinse von der Ruhr-Universität Bochum den Hirnbereich, der die Zeigefingerspitze repräsentiert, genau unter die Lupe.

Ausgangspunkt der Untersuchung war die taktile "2-Punkte-Diskriminationsschwelle": Die Neurowissenschaftler ermittelten zunächst die Fähigkeit von Versuchspersonen, zwei Punkte auf ihrer Zeigefingerkuppe räumlich zu unterscheiden. Dazu berührten die Probanden zwei Nadeln, die in unterschiedlichen Abständen zueinander standen. Bis zu einer gewissen Nähe nahmen sie die Spitzen noch als zwei getrennte wahr, standen sie jedoch sehr nahe beisammen, wurden sie als eine Nadel wahrgenommen. Danach ging es ans Lernen: Mithilfe einer kleinen vibrierenden Membran, die auf dem Finger befestigt wurde, reizten die Forscher einen Bereich von etwa einem Zentimeter Durchmesser auf der Zeigefingerkuppe der Probanden drei Stunden lang.

Den Lernerfolg konnten sie dann nicht nur daran sehen, dass die Versuchspersonen enger beieinander liegende Nadelspitzen unterscheiden konnten als vorher, sondern sie konnten ihn auch mit der funktionellen Kernspintomographie direkt im Gehirn betrachten: Der Bereich des Gehirns, der bei leichter elektrischer Stimulation des Zeigefingers aktiv war, war gut abgegrenzt zu erkennen. Die fMRI-Messung nach den drei Lernstunden zeigte, dass sich das für die Zeigefingerkuppe zuständige Hirnareal deutlich vergrößert und verlagert hatte. "Eine vermehrte Aktivität war ausschließlich im Repräsentationsareal des zuvor gereizten Zeigefingers feststellbar, nicht dagegen im Areal des Zeigefingers der anderen Hand, der nicht koaktiviert wurde", erklären die Forscher.

Diese Ausdehnung der Aktivierungsbereiche war in dem Teil des Gehirns zu finden, der als "Eingangstor" für Informationen des Tastsinns in der Großhirnrinde dient – im primären somatosensorischer Cortex. Aber auch in Hirnregionen, die für die weitere, komplexere Informationsverarbeitung zuständig sind – dem sekundären somatosensorischer Cortex –, stellten die Forscher eine deutliche Zunahme der Hirnaktivität nach dem Lernen fest. "Die Koaktivierung führte somit dazu, dass sich die Aktivierung von komplexen Neuronen-Netzwerken räumlich massiv ausdehnte", fasst Dinse zusammen. Der Lernerfolg war allerdings zeitlich befristet: Ebenso wie die Veränderung der Wahrnehmungsschwelle bildeten sich die Veränderungen der Hirnaktivität innerhalb von 24 Stunden wieder zurück.

Die Studie belegt, dass entgegen früheren Annahmen auch im erwachsenen Gehirn in den corticalen Karten weitreichende Reorganisationsprozesse stattfinden. Diese Prozesse betreffen Bereiche, die millimeter- oder sogar zentimetergroß sind. Besonders interessant ist, dass sich bei Versuchspersonen, deren 2-Punkte-Diskrimination sich am meisten verbessert hatte, auch die aktivierten Hirnbereiche des primären somatosensorischen Cortex am meisten vergrößert hatten. Umgekehrt hatten Probanden, deren aktivierte Hirnbereiche sich nur wenig vergrößert hatten, auch nur eine geringfügig verbesserte Diskriminationsfähigkeit. Das Ausmaß des Lernerfolgs ist also an den Veränderungen der funktionellen Topographie der Hirnrinde ablesbar. "Rückblickend ist der Lernerfolg aus den fMRI-Bildern direkt vorhersagbar", so die Forscher.

Für die Zukunft hoffen die Forscher, ihre Koaktivierungstechnik noch zu verfeinern, sodass die Lernerfolge vielleicht länger anhalten. Auf diese Weise wäre es möglich, Beeinträchtigungen im Gehirn auszugleichen. "Das ist zum Beispiel wichtig für die Altersforschung", erläutert Dinse, "zumal ältere Menschen, die oft mit mannigfaltigen Defiziten zu kämpfen zu haben, häufig nicht mehr aktiv lernen können oder wollen. Für solche Menschen wäre das passive Lernen durch Koaktivierung eine große Hilfe."

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