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Gendersprache: Krieg der Sternchen

Warum erhitzt der Genderstreit so sehr die Gemüter? Weil man sich nicht nicht dazu verhalten kann. Ein Auszug aus dem Buch »Was man noch sagen darf« von Steve Ayan.
Hand hält einen Wurfstern vor schwarzem Hintergrund
Die Debatte um Gendersternchen und Binnen-I wird oft hochemotional geführt. Das könnte damit zusammenhängen, dass sich viele durch sie an den Rand gedrängt fühlen: Man wird genötigt, mitzuspielen oder sich zu erklären.

Sprache steht nie still. Sie atmet, lebt, altert und verjüngt sich. In den letzten Jahren kam es in Mode, sie von Altlasten befreien zu wollen. Befreien vom Geist einer Zeit, als der Mann das Geld verdiente, die Frau sich um Küche und Kinder kümmerte und Minderheiten immer für einen Scherz gut waren. Mit diesen Bildern wollen sich die meisten von uns nicht mehr identifizieren – und das soll sich darin widerspiegeln, wie wir kommunizieren.

Das Motiv dahinter ist einfach: Gleichberechtigung. Alle mitmeinen. Nicht verletzend oder vorurteilsbehaftet über andere sprechen. Wer diesen Wunsch teilt, kann kaum anders, als ab sofort »Mitarbeiter*innen« oder »Forschende« zu schreiben und durch Sprechpausen das Mitmeinen aller anzuzeigen. Oder nicht?

Zwar umfasst das generische Maskulinum grammatisch durchaus beide (oder alle) Geschlechter, dennoch wollen viele die Sichtbarkeit des »anderen« erhöhen und gleiches Recht für alle signalisieren. Das ist legitim. Trotzdem regt sich Unmut. Muss das wirklich sein? Wird die Sprache durch Gendersternchen, Doppelpunkte und andere Sonderzeichen nicht mutwillig verschandelt? Bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2021 landete der Ausdruck »Sprachpolizei« auf dem zweiten Platz.

Es gibt Situationen, in denen das Vermeiden generischer Maskulina (Bürgermeister, Mitfahrer, Partner) tatsächlich gestelzt wirkt. Ob man sich nun für längliche Reihungen (»Mitfahrerinnen und Mitfahrer«), für Insider-Codes wie *, _ oder : oder für Partizipformen entscheidet (»Mitfahrende«; für »Partnernde« fehlt uns bislang noch die Fantasie) – eine Zumutung ist es allemal. Man kann es trotzdem gutheißen, weil Irritation Nachdenken auslöst. Ungewohnte Neuerungen tragen dazu bei, immerhin die Hälfte der Bevölkerung sprachlich zu repräsentieren.

Wie Psychologen um Anita Körner bestätigen, denken Menschen in der Tat stärker an weibliche Vertreter einer Zunft, wenn gegenderte Formen verwendet werden. Laut schwedischen Forschern um Anna Lindquist von der Universität Lund ist es für das Mitmeinen dabei wichtig, durch explizite Nennung beider Geschlechterformen oder durch kreative Neuschöpfungen wie das schwedische »hen«, eine Mischform aus den Pronomen er (»hon«) und sie («han«), Gewohnheiten zu durchbrechen. Weicht man hingegen einfach auf neutrale Varianten aus (etwa den englischen Plural »they«), verbinden Testpersonen damit oft primär den männlichen Standard.

Die Tücken des Genderns

Doch was ist mit dem Bemühen, dem »Androzentrismus« zu entgehen, letztlich gewonnen? Nach dem initialen Denkanstoß setzt bei häufiger Verwendung früher oder später die Gewöhnung ein, was dazu führt, dass Wendungen konventionalisieren und ihren Signalcharakter einbüßen. Irgendwann ist »Studierende« einfach das Wort für ehedem »Studenten«. Warum man das Partizip einst wählte, verblasst.

Zudem verschieben geschlechtssensible Änderungen das semantische Gefüge. Ist »Schülerinnen und Schüler« der Standard, lässt »Schüler« nun auf einmal offen, ob damit nur Jungen gemeint sind (sonst stünde ja die weibliche Form dabei) oder ob zur Einfachheit das generische Maskulinum verwendet wurde. Ein Begriff, über den sich vorher keiner Gedanken gemacht hat, wird plötzlich erklärungsbedürftig.

Das Moralisieren des Mitmeinens – »Wer nicht gendert, hat etwas gegen Gleichberechtigung« – fördert die Zersplitterung

Und schließlich setzen sich sprachliche Innovationen nie in allen Kontexten zugleich durch. Selbst der Duden, den viele für eine Art Gesetzbuch des Deutschen halten, nimmt für sich lediglich in Anspruch, den Alltagssprachgebrauch abzubilden. Doch wir sprechen nicht alle und nicht immer gleich. Je nachdem, wer mit wem warum kommuniziert, gibt es Soziolekte, Jargons, verschiedene Grade des sozial Erwünschten oder Opportunen. Gendern verstärkt diese Diversifikation, indem es uns zu Entscheidungen zwingt: Wie viel Mitmeinen ist richtig? Wo wirkt es bemüht? Und wie will ich mich anderen gegenüber präsentieren?

Das Moralisieren des Mitmeinens (»Wer nicht gendert, hat etwas gegen Gleichberechtigung«) fördert die Zersplitterung. Je nach Milieu und Kontext passe ich meine Sprechweise an, und es erfordert sensible Antennen, um zu erkennen, wann welche Formen nötig oder angemessen sind. Ich kann, platt gesagt, nicht einfach reden, wie ich will. So verstärkt das Gendern die ohnehin wachsende Tendenz, dass sich Menschen in getrennten Sprechblasen bewegen.

Gendersprache setzt die Menschen unter Druck

Besonders auffällig ist die große Emotionalität der Debatte. Wie kommt es, dass viele so erbittert um Sternchen und Partizipien streiten? Ist es nicht einfach nur zeitgemäß, sprachliche Konventionen im Sinn der Gleichberechtigung zu reformieren? Das Problem ist die Doppelbödigkeit dieses scheinbar harmlosen Wunsches, denn das Gendern setzt viele Menschen unter Druck. Wenn Sprechpausen oder Partizipien um sich greifen, sieht jeder plötzlich alt aus, der weiter generische Maskulina benutzt.

Man fühlt sich an den Rand gedrängt; wird genötigt mitzuspielen oder sich zu erklären. Das erhitzt die Gemüter: Man kann sich nicht nicht zum Gendern verhalten, wird damit einfach nicht in Frieden gelassen. Für Dinge, die eben noch normal waren, muss man sich auf einmal rechtfertigen und Farbe bekennen. Diese Form der Nötigung hat das Zeug zum Aufreger. So ergab eine Untersuchung an 168 schwedischen Probanden, die ein Team um die Stockholmer Psychologen Hellen Vergoossen 2020 veröffentlichte, dass die Angst, in der persönliche Redefreiheit eingeschränkt zu werden, eine besonders emotionale Ablehnung des Genders hervorruft.

Umgekehrt kompensieren manche die Last, indem sie das Gendern regelrecht dämonisieren. Hier zeigt sich das Eskalationspotenzial von Sprachgeboten. Je mehr sich die einen über die Rückständigkeit der Verweigerer empören, desto erbitterter keifen diese zurück. Darüber gerät die Arbitrarität sprachlicher Zeichen aus dem Blick: Die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem ist beliebig. Ob die Lautfolge »Baum«, »tree« oder »arbre« große Gewächse meint, hat keinerlei tieferen Grund. Diese Wörter wurden im Lauf der Zeit gebräuchlich, doch im Prinzip könnten es auch andere sein.

Diese Beliebigkeit anzuerkennen hilft, die Realität nicht mit ihrem sprachlichen Ausdruck gleichzusetzen – ein Irrtum, dem rasch erliegt, wer eine Sprechweise unmittelbar an das Denken und die Weltsicht des Sprechers knüpft. Gendern allein verändert die Denkweise von Menschen oder die Rolle von Frauen in der Gesellschaft zunächst keinen Deut. Es birgt sogar umgekehrt die Gefahr, dass eine »korrekte« Sprechweise als Signal für Gleichberechtigung dient, ohne dass diese wirklich gelebt wird.

Alles wird mit Bedeutung aufgeladen

Weshalb werden grammatische Details zu Fragen von Wohl und Wehe stilisiert? Nach dieser Logik dürfte es gar keine bedeutungslosen Formalismen in der Sprache geben. Alles hätte eine tiefere Bedeutung, verwiese auf eine Haltung. Rückt nicht das englische »How are you?« das Sein viel stärker in den Fokus als das deutsche »Wie geht es dir?« Denken Deutsche deshalb irgendwie »beweglicher« als US-Amerikaner?

Nichts Sprachliches dem Zufall zu überlassen, zeugt von einer Hypersensibilität, die alles mit Bedeutung auflädt. Doch wir schreiben Bedeutung zu; sie ist nicht einfach gegeben. Daher rührt die vermeintliche Unfehlbarkeit sprachpolizeilicher Verdächtigungen: Sobald man einen Ausdruck als inakzeptabel etikettiert, ist er das.

Wörter und Redeweisen zu tabuisieren, unterbindet kreative Verschiebungen

Man kann Redeweisen verändern, um auszudrücken, was einem wichtig ist. Nur sollte man nicht glauben, die Veränderung bliebe dort stehen. Die Sprache wandelt sich ständig weiter, durch Gewöhnung, Umdeutung, Ironisierung, Übertragung auf neue Zusammenhänge. Begriffe wie »schwul«, »queer« oder »Nigger« wurden von den so einst verunglimpften Gruppen selbst zur stolzen Eigenbezeichnung umfunktioniert. Ein Akt der Selbstermächtigung, der das Verletzende nicht tilgt, sondern es benutzt, um sich nicht mehr verletzen zu lassen. Wörter und Redeweisen zu tabuisieren, unterbindet solche kreativen Verschiebungen. Es scheint dann so, alles könne man alles sagen, doch unter der Oberfläche lauern viele No-Gos.

Manche fragen sich heute: Gibt es überhaupt noch Tabus? Leben wir nicht in einer Zeit totaler Enthemmung? Doch wie das Gendern offenbart, wandeln sich Tabus zwar, aber sie verschwinden nicht. Sie dienen heute nicht mehr dem Machterhalt einer Elite, sondern dem Versuch, eine Sparversion von Macht, die Deutungshoheit, zu erringen. Nur sollte man nicht so blauäugig sein, zu glauben, dass die Welt schon eine andere ist, weil man anders redet.

Dieser Beitrag ist ein leicht bearbeiteter Auszug aus Steve Ayans Essay »Was man noch sagen darf – Die neue Lust am Tabu«.

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