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Herdenschutz: EU will Wolfsschutz überdenken

Künftig könnte der Wolf in der EU weniger geschützt werden. Auch Bundesumweltministerin Lemke Steffi fordert »unbürokratische« Abschüsse. Tierschützer zweifeln jedoch am Nutzen der Maßnahmen.
Ein Wolf in einem Gehege
Wenn der Wolf die Kulturlandschaft durchstreift, braucht es Herdenschutz, zum Beispiel durch Zäune oder Schutzhunde. Doch beides ist teuer und nicht hundertprozentig sicher.

Der Wolf ist zurück in Deutschland und Europa. Rund 1300 bis 1500 Tiere leben derzeit in mehr als 160 Rudeln, zeigen die jüngsten Erhebungen des bundesweiten Wolfsmonitorings in der Bundesrepublik vom November 2022. Gleichzeitig mehren sich dadurch die Fälle, in denen die Tiere nachts in Weiden eindringen und Nutzvieh reißen. Der wirtschaftliche Schaden wächst – auch durch den Mehraufwand, den es bedeutet, Herden vor den Wölfen zu schützen. Viele Tierhalter sehen die Ausbreitung des Wolfs kritisch und fordern mehr Abschüsse der aktuell noch streng geschützten Tierart.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Montag in Brüssel an, die EU-Schutzregeln für Wölfe überprüfen zu wollen. Dies könne auf Grundlage einer europaweiten neuen Datensammlung geschehen. Wie von der Leyen mitteilte, wolle die Kommission bis zum 22. September systematisch Daten aus ganz Europa zu Wolfspopulationen zusammentragen. Eine Meldestelle sei eingerichtet. »Je mehr Daten wir von lokaler und regionaler Ebene über Bestände und Ereignisse mit Wölfen bekommen, desto genauer das Bild, desto einfacher die Überprüfung des Schutzstatus«, sagte von der Leyen. Die Auswertung der Daten soll spätestens Ende des Jahres abgeschlossen sein. Dann soll entschieden werden, ob ein Vorschlag zur Herabsetzung des Schutzstatus gemacht wird.

Zudem forderte von der Leyen Kommunen auf, die derzeitigen Spielräume für den Abschuss von problematischen Wölfen mutig zu nutzen. Aus ihrer Sicht ist es »völlig richtig«, dass lokale Behörden bei klarer Gefahr eine Bejagung erlauben. »Die Kommission wird deren Abwägungsentscheidung nicht in Frage stellen. Denn sie können die Situation vor Ort am besten einschätzen.« Artenvielfalt bleibe ein wichtiges Ziel, »aber wir müssen die Gefahren, die von solchen Konzentrationen von Wolfsrudeln für Mensch und Vieh ausgehen, dabei so gering wie möglich halten«.

Bisher genießen Wölfe in Europa einen hohen Schutzstatus, sowohl nach EU- als auch nach deutschem Recht. In einigen Regionen Europas wird der Schutzstatus auf Grund größerer Populationen jedoch angezweifelt und in der Folge auch eine Absenkung gefordert. Die Rückkehr des Wolfs führt zunehmend zu Konflikten mit Viehzüchtern und Jägern. Bislang haben lokale und nationale Behörden die Befugnis, notwendige Maßnahmen zu ergreifen.

Auch in Deutschland könnte es bald vermehrt zu Abschüssen kommen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte nach einem Bericht der »Welt« vom Montag, sie wolle den Abschuss von Wölfen erleichtern und damit Weidetiere wie Schafe besser schützen. »Abschüsse von Wölfen nach Rissen müssen schneller und unbürokratischer möglich sein.« Ende September wolle sie konkrete Vorschläge liefern.

Bauernverband: Lemkes Ankündigung ist »Vernebelung«

Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, Bernhard Krüsken, blickt allerdings skeptisch auf die von Lemke gemachten Ankündigungen. »Das dient nach unserer Einschätzung eher der Vernebelung. Ein rhetorisches Zugeständnis für erleichterte Entnahmen einzelner Problemtiere ist Kosmetik und reicht bei Weitem nicht mehr aus«, sagte Krüsken am Montag der Deutschen Presse-Agentur. »Wir brauchen eine amtliche Feststellung, dass der günstige Erhaltungszustand erreicht ist, eine Umstufung des Schutzstatus und ein echtes Wolfsmanagement.«

Kritisch sehen auch Umweltverbände die Äußerung der Ministerin – allerdings aus entgegengesetzter Perspektive. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) macht sich für ein Beibehalten der strengen Abschusskriterien stark. »Die Erfahrungen aus anderen EU-Ländern zeigen klar, dass sich Risse mit dem Gewehr nicht nachhaltig reduzieren lassen«, sagte BUND-Wolfsexperte Uwe Friedel.

Demnach ist in Frankreich trotz einer Abschussquote von 19 Prozent – im Jahr 2022 mehr als 160 Wölfe – die Gesamtzahl der Risse kaum zurückgegangen. »Für die Anzahl der gerissenen Weidetiere ist nicht die Anzahl von Wölfen ausschlaggebend, sondern die Anzahl ungeschützter Weidetierherden. Die meisten Risse an Weidetieren geschehen in Deutschland an Tieren ohne Herdenschutz«, sagte Friedel. Der BUND bedauere, dass »der Herdenschutz als einzige Möglichkeit, Weidetiere präventiv und nachhaltig vor Wolfsangriffen zu schützen, vernachlässigt wird«.

Nur Herdenschutz schützt die Herden

Auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU) vertritt die Meinung, eine Bejagung der Wölfe könne nicht den Herdenschutz ersetzen. »Denn egal ob fünf oder acht Wölfe in einer Region leben: Sie stellen ein Risiko für ungeschützte Weidetiere da. Bejagung führt nicht dazu, dass Wölfe mehr Abstand zu Weidetieren halten«, sagte die Referentin für Wölfe und Beweidung, Marie Neuwald. Dieser Herdenschutz bedeute für Weidetierhalter einen erhöhten Arbeitsaufwand. Der NABU befürworte daher eine finanzielle Förderung dieses Aufwands.

Neuwald warnte jedoch davor, Lemkes Vorstoß fehlzuinterpretieren. »Es geht hier ganz klar um die wenigen Fälle, in denen Wölfe guten Herdenschutz überwinden und Weidetiere reißen.« Dagegen habe auch der NABU keine Einwände.

Unlängst ist der Freistaat Bayern mit einer eigenen Verordnung zum erleichterten Wolfsabschuss vorgeprescht. Ein einzelnes getötetes Tier soll künftig ausreichen, um die Jagd auf das ortsansässige Rudel zu eröffnen. Den Effekt der Maßnahme beurteilt der Wolfsexperte Hannes König kritisch. Im Gespräch mit »Spektrum.de« sagte er im vergangenen Mai: »Um einen effektiven Herdenschutz wird kein Tierhalter, keine Tierhalterin herumkommen. Es sei denn, wir rotten den Wolf wieder aus. Und das ist im Moment rechtlich nicht denkbar und gesellschaftlich nicht gewollt.«

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