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Kleinwindkraftanlagen: Ein Windrad hinterm Gemüsebeet

Windkraftanlagen werden immer größer - aber nicht alle. Weltweit stellen sich immer mehr Menschen kleine Windturbinen hinters Eigenheim. Das Ziel: Unabhängigkeit. Funktioniert das?
Ein kleines Windrad mit Stummelflügeln zwischen Bäumen

Eigentlich sagt die Physik: Hohe Windräder ernten mehr Energie als niedrigere, denn in der Höhe weht der Wind schneller. Doch das scheint Hugh Pigott nicht zu scheren. Der schottische Ingenieur fertigt handgeschnitzte Holzklingen für Kleinwindräder. Und so sägt, hobelt und stemmt er seit mehr als zwei Jahrzehnten aus massivem Holz die Flügel für Windräder, die so niedrig sind, dass sie kaum einen ausgewachsenen Baum überragen.

Doch während Pigott unermüdlich aus Passion für eine Back-to-the-Roots-Bewegung für Selbstversorger zimmert, könnte die Kleinwindbranche dank Hightech neuen Auftrieb erhalten. Fachleute haben nicht nur ein Kleinwindrad konstruiert, das sich auch bei einer schwachen Brise im Binnenland noch effizient drehen soll. Es ist zudem so klein, dass Privatleute sie in ihrem Garten aufstellen können.

Das Problem: Wie die Windkarte des Deutschen Wetterdienstes zeigt, weht ausreichend starker Wind meist nur nahe der Küste. Wenn Kleinwindanlagen aus der Liebhaberecke herauskommen sollen, müssen sie sich daher auch bei einer schwachen Brise drehen. Eine Arbeitsgruppe der Fraunhofer-Gesellschaft will das mit einem neuen Windradflügel ändern. Denn an den Orten, wo eine leichte Brise einem gerade einmal leicht spürbar ins Gesicht haucht und die Blätter am Baum rascheln lässt, könnte damit auch dieser Wind effizient geerntet werden. »Zwar gibt es schon Kleinwindanlagen, aber jetzt kann ich auch im Binnenlandbereich und nicht nur in den Küstenregionen eine ausreichende Leistungsausbeute bekommen«, sagt Professor Holger Seidlitz vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Potsdam. »Und zwar dort, wo ich Windgeschwindigkeiten mit weniger als drei Meter pro Sekunde habe«.

Wo der Wind weht

Laut einer weltweiten Marktuntersuchung des Windenergie-Weltverbands WWEA gab es Ende 2011 weltweit 334 Hersteller für Kleinwindkraftanlagen. Die meisten mit je knapp 60 sitzen in den USA und China. Auch in Deutschland gibt es immerhin 27 Hersteller, sie allerdings exportieren einen großen Teil ihrer Produktion. In Deutschland ist die Bedeutung von Kleinwindenergieanlagen (KWEA) für die Deckung des Gesamtenergieverbrauchs gering. In einer Studie von 2019 des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung in Stuttgart liefern solche Anlagen hier zu Lande knapp 40 Megawatt, weniger als 0,1 Prozent der gesamten an Land installierten Windkraftleistung von über 55 Gigawatt.

Die Zahlen basieren jedoch überwiegend auf Schätzungen. Im Gegensatz zu Fotovoltaik werden Kleinwindanlagen in Deutschland nicht statistisch erfasst. Meist decken sie dem Eigenbedarf von Eigenheimbesitzern, kleinen Gewerbebetrieben und landwirtschaftlichen Betrieben. Ein Grund dafür sind auch die ungünstigen Windverhältnisse. Normalerweise gilt auch bei Kleinwindanlagen: Orte mit weniger als vier Metern pro Sekunde sind eher kein guter Standort für die drehenden Windsammler. Dabei überwiegen in Deutschland genau solche Orte mit der schwachen Brise mit drei Metern pro Sekunde in zehn Meter Höhe.

Dass man zehn Meter als Richtwert ansetzt, hat einen guten Grund. Zwar fallen auch höhere Windräder mit bis zu 50 Meter unter die Definition von KWEAs. Doch Windräder von der Höhe eines durchschnittlichen Einfamilienhauses können in einigen Bundesländern ohne Genehmigung aufgestellt werden. »In den meisten Bundesländern reicht dafür eine Bauanzeige« erklärt Christian Beloch, Projektpartner der Fraunhofer-Arbeitsgruppe. Die Regeln seien allerdings so unterschiedlich je Land wie die für die Corona-Pandemie, sagt Seidlitz. Und so sind sie in NRW genehmigungsfrei, außerhalb von Wohn- und Mischgebieten.

Das Problem mit dem Vogelschutz

In den windreicheren Gegenden in Brandenburg und Niedersachsen müssen sie dagegen immer genehmigt werden. Und in Baden-Württemberg und Bayern sind sie wiederum nur dann genehmigungsfrei, wenn keine Naturschutzgründe dagegensprechen. Mögliche Faktoren dabei nennt Kai-Michael Thomsen vom Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund NABU – so seien auch zehn Meter hohe Windräder nicht unbedenklich für Vögel. Thomsen ist zusammen mit anderen Forschern und Forscherinnen Autor einer ersten Studie zu Kleinwindanlagen. Wie diese Gefährdung am jeweiligen Standort abgeschätzt werden kann, demonstrieren sie in einem praktischen Modell. Demnach seien bei Kleinwindanlagen eben nicht vor allem Rotmilan und Mäusebussard gefährdet, sondern eher die tiefer fliegenden Stare und Dohlen. Es ist aber immer durchschnittlich ein Vogel, der je Anlage pro Jahr getötet wird. Kleinwindräder führen so gemessen an der installierten Leistung theoretisch zu mehr Opfern.

Das liegt daran, dass man für die gleiche Leistung mehr kleine Windräder braucht. So kann ein neu errichtetes Großwindrad an Land inzwischen schon mehr als 5 Megawatt abgeben. Die Leistung der Kleinwindanlagen reicht von 300 Watt bis zu 100 Kilowatt, was der eines Autos mit 135 PS entspricht. Von allen diesen kleinen Windsammlern soll es in Deutschland um die 20 000 Stück geben, schreibt Patrick Jüttemann in seinem Fachportal für Kleinwindkraftanlagen. Er berät als Experte private und gewerbliche Betreiber von Kleinwindanlagen und schätzt, dass 80 Prozent kleiner als zehn Meter sind und ein Großteil eine Leistung von zwei Kilowatt hat.

Für diesen Typ Anlagen optimiert die Arbeitsgruppe um Seidlitz ihren Windradflügel. Die Leistung des neuen Designs soll drei Kilowatt betragen. Die Flügel sind aus Faserstreifen aufgebaut, die in eine Form eingelegt werden und, getränkt mit flüssigem Harz, zu einem stabilen Leichtbauteil verkleben. Geschieht dies sehr präzise und ohne Überlappungen zwischen den Streifen, verringert sich das Gewicht des Rotorblattes um bis zu 35 Prozent im Vergleich zu üblichen Kleinwindrotoren, so das Team.

Klein, leicht – wirtschaftlich?

Das Gewicht aber ist ein wesentlicher Faktor für die Effizienz. Gleichzeitig konnte Seidlitz' Gruppe die Fläche um 45 Prozent vergrößern, damit die Flügel auch bei einer schwachen Brise noch Schwung aufnehmen. Und stürmt es zu sehr, sind sie elastisch genug, um sich selbstständig aus dem Wind zu drehen. Das erspart Elektronik oder mechanische Elemente fürs Abschalten der kleinen Windflügel, die nur drei Meter lang sind. Zum Vergleich: Rotorblätter der neuesten Generation der größten Windräder sind inzwischen 115 Meter lang, so lang wie ein Fußballfeld.

Wie gut ihre Windanlage im Binnenland funktioniert, testen die Forscher zusammen mit der Firma EAB Gebäudetechnik unter realen Bedingungen. Seit einem Jahr dreht sich im 1000 Quadratmeter großen Garten eines Eigenheimbesitzers im Ortsteil Cahnsdorf, rund 80 Kilometer südlich von Berlin, schon das Vorgängermodell. Seit August 2021 dreht sich auch der superleichte neue Rotor unter realen Bedingungen. Der Standort ist gut gewählt, auf drei Seiten gibt es freie Ackerflächen, ein Baum und die Gebäude haben auch einen größeren Abstand. Denn schaut man in die Windkarte des Deutschen Wetterdienstes, so findet man hier im Durchschnitt eher sehr ungünstige Verhältnisse.

In zehn Meter Höhe herrschen durchschnittliche Windgeschwindigkeiten von unter drei Metern pro Sekunde. 2020 war wohl dennoch ein gutes Windjahr, so hatten sie Windgeschwindigkeiten von vier bis fünf Meter pro Sekunde und 900 Betriebsstunden. Mit dem neuen Flügeldesign erwarten sie auch bei den unteren Windgeschwindigkeiten einen Zuwachs, so der Geschäftsführer Beloch. Damit könnten sehr viel mehr kleine Windräder im Binnenland in Deutschland wirtschaftlicher werden. Eine Windanlage ist dann effizient, wenn sie auch aus diesen geringen Windstärken Energie erzeugt und sich die Flügel möglichst schnell zu drehen beginnen.

Der Traum von der Unabhängigkeit

Einer der Gründe für eigenen Windstrom sei es, eigenen Ökostrom zu erzeugen, sagt Patrick Jüttemann vom Fachportal Kleinwindanlagen. Allein mit Fotovoltaik seien die Erträge dagegen im Herbst und Winter zu gering. Ein zweiter Grund für private Hausbesitzer und Gewerbetreibende sei der Wunsch nach Energieautarkie. Und mit Wind und Sonne seien 80 Prozent Autarkie realistisch für Strom und Wärme.

In Deutschland beträgt nach einer groben Abschätzung der solare Energieertrag rund 800 Kilowattstunden je Kilowatt installierter Leistung. Kleinwindkraft kann da nicht mithalten. Auch ein Kleinwindrad im Binnenland kann zwar 900 Volllaststunden erreichen, aber in zehn Meter Höhe bremst schon ein Baum oder ein Haus, das zu nah am Windrad steht, den Wind aus. Jüttemann hält drei Meter pro Sekunde Windgeschwindigkeit für »definitiv zu wenig«. Er schreibt, dass kleine private Windanlagen mit einer Leistung von unter fünf Kilowatt in der Regel zwar Strom erzeugen, der aber ist teurer als der aus dem Stromnetz.

Auch Seidlitz berichtet, es gehe den meisten Interessenten nicht um die Entscheidung zwischen Fotovoltaik oder Windrad, sondern darum, unabhängig zu werden. Diese Kombination aus beidem mit einem langfristigeren Speicher als Batterien schaffe einen hohen Grad an Autarkie. Denn der Wind blase meist zu anderen Zeiten, als die Sonne scheine. Und so entwickelt die Arbeitsgruppe zusätzlich ein Konzept, um die ganze Energie in einem optimierten Langzeitspeicher mit Wasserstoff zu bunkern. Besitzer von Wasserstoffautos könnten ihr Auto dann zukünftig direkt zu Hause mit eigener Energie betanken, bewerben die Kooperationspartner ihre Entwicklung.

Das kann den kleinen Anlagen vielleicht doch etwas mehr Auftrieb geben. Zusätzlich ist das Windrad im Garten auch noch verhältnismäßig leise, und »so ein kleines Windrad produziert keinen Infraschall und dieses laute ›Wuch-Wuch‹ ist nicht zu hören«, wie Seidlitz anmerkt. Wie laut seine Neuentwicklung ist, müssen sie erst noch messen. Das hat das Unternehmen iQRON in Dresden, das ebenfalls kleine Windräder baut, bereits getan. Die Firma bewirbt sie als »besonders geräuscharm«. Mit 35 Dezibel sind die Anlagen in etwa so laut wie ein Zimmerventilator.

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