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Kognition: Quallen lernen ohne Gehirn

Trotz ihres rudimentären Nervensystems sind die Nesseltiere offenbar zu assoziativem Lernen fähig. Ein Gehirn brauchen sie dafür nicht.
Mangroven-Würfelqualle
Die Quallenspezies Tripedalia cystophora, auch Mangroven-Würfelqualle oder Karibische Würfelqualle genannt, lebt in Mangrovensümpfen.

Obwohl sie kein zentrales Gehirn haben, sind Quallen im Stande, aus Erlebnissen zu lernen. Das überrascht, denn sie gehören zu den Tieren mit den einfachsten Nervensystemen, die man kennt. Ein Team um Jan Bielecki von der Universität Kiel berichtet darüber in der Fachzeitschrift »Current Biology«.

Die Forschungsgruppe hat Mangroven-Würfelquallen (Tripedalia cystophora) erfolgreich darauf trainiert, Hindernisse zu erkennen und ihnen auszuweichen. Die Tiere sind nicht größer als ein Fingernagel und leben typischerweise in flachen, küstennahen Mangrovensümpfen. Dort nutzen sie ihre Lichtsinnesorgane, um im trüben Wasser nach Beute wie Ruderfußkrebsen zu jagen. Dabei müssen sie sich ständig zwischen den Wurzeln der Mangrovenbäume bewegen – möglichst, ohne anzustoßen.

Bielecki und sein Team setzten die Quallen in einen runden Tank, dessen Innenwand graue und weiße Farbstreifen zeigte. Die grauen Streifen imitierten Pflanzenwurzeln, die weißen die Lücken dazwischen. Hatte das Grau einen hellen Farbton mit niedrigem Kontrast zu Weiß, wirkten die vermeintlichen Wurzeln weit entfernt. Die Tiere kamen den Streifen dann häufig sehr nahe und stießen mit ihnen zusammen. Nach jeweils einigen Minuten im Tank begannen sie jedoch, einen deutlich größeren Abstand einzuhalten, und kollidierten nur noch halb so oft mit der Tankinnenwand.

Angepasstes Verhalten

Die Fachleute schließen daraus, dass die Quallen gelernt hatten, Hindernissen auszuweichen, auch wenn diese weit weg zu sein scheinen. Das gleichzeitige Einwirken visueller Reize (der Anblick der Streifen) und mechanischer Stimuli (die Zusammenstöße mit der Tankinnenwand) habe bei den Tieren einen Prozess assoziativen Lernens ausgelöst. Dieser habe sie dazu gebracht, ihr Schwimmverhalten zu ändern und weitere Kollisionen zu vermeiden.

© Anders Gram
Im Trüben fischen
Mangroven-Würfelquallen leben in küstennahen Mangrovensümpfen und jagen in dem trüben Wasser dort nach Beutetieren.

Um genauer herauszufinden, wie das funktioniert, isolierte das Team die Sinnesorgane der Tiere. Quallen besitzen jeweils mehrere Sinneskolben, so genannte Rhopalien, die am Rand ihres Schirms sitzen. Es sind keulenförmige Ausstülpungen des Körpers, die Organe zum Wahrnehmen der Schwerkraft sowie augenähnliche Lichtsensoren enthalten. Die Rhopalien sind untereinander durch Nerven verbunden und erzeugen elektrische Signale, welche die Fortbewegung des Tiers steuern.

Bielecki & Co präsentierten einzelnen Sinneskolben graue Farbstreifen, die sich bewegten – so, als ob das Tier darauf zuschwimmen würde. Hatten die Streifen einen hellen Grauton, reagierten die Rhopalien nicht darauf: Die vermeintlichen Hindernisse schienen ja noch weit entfernt. Verabreichte das Forschungsteam aber zusätzlich elektrische Impulse, wie sie beim Aufprall einer Qualle auf ein Hemmnis entstehen, änderte sich das. Die Sinneskolben produzierten dann Signale, die zu einer Ausweichbewegung des Tiers führen. Demnach spielen die Rhopalien eine zentrale Rolle, wenn Quallen Erfahrungen verarbeiten und ihr Verhalten entsprechend anpassen.

»Es ist erstaunlich, wie schnell diese Tiere lernen«, kommentiert Anders Garm, einer der beteiligten Forscher, die neuen Erkenntnisse in einer Pressemitteilung. »Selbst das einfachste Nervensystem scheint zu fortgeschrittenem Lernen in der Lage zu sein, und dies könnte sich als ein grundlegender zellulärer Mechanismus erweisen, der bereits zu Beginn der Evolution des Nervensystems ›erfunden‹ wurde.« Quallen gehören zu den ältesten Tieren der Welt; es gab sie bereits vor 500 Millionen Jahren.

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