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News: Marmor, Stein und Eis bricht

Es beginnt ganz harmlos mit einem haarfeinen Riss im Innern des Kristalls. Doch unter Druck bekommt er winzige Fortsätze, das Material wird zunehmend instabil und irgendwann bricht die Oberfläche ein. Was genau passiert bis zum Versagen? Ein theoretisches Modell bringt die Prozesse nun für eine Vielzahl spröder Materialien auf einen gemeinsamen Nenner.
Ein sprödes Material – egal, ob es sich um ein Stück Kreide, eine Eisscholle oder eine Kontinentalplatte handelt – ist nicht vollkommen: Es gibt kleine Störungen in der Struktur, die es anfällig für äußeren Druck machen und an denen sie letztendlich dann einbrechen. Aber sind auch die Prozesse unabhängig von der Größenordnung dieselben?

Was passiert, hängt von der Stärke des Drucks ab und wie schnell er einwirkt. Kommt er recht unvermittelt und ist leicht bis mittel, bilden sich am Ende der charakteristischen primären Mikrostörungen winzige Rissfortsätze, die sich immer weiter ausbreiten. Bisherige Modelle gehen davon aus, dass die letztendlich entstehende lokale Delle daher stammt, dass sich diese neuen Risse verbinden oder winzige Säulen zusammenbrechen, die sich dazwischen geformt haben.

Doch das sind nicht die einzigen Symptome der Belastung. Vor einiger Zeit entdeckten Wissenschaftler um Erland Schulson vom Dartmouth College, dass sich bei 20 bis 30 Prozent des endgültigen Drucks entlang einer Seite der feinen Mikrostörungen zusätzlich sekundäre Risse formen, wodurch ebenfalls winzige Säulenstrukturen entstehen. Anders als die zwischen den Rissfortsätzen entstandenen Säulen, die an beiden Enden fixiert sind, liegen diese Pfeiler auf einer Seite frei – wie die Zähne eines Kamms.

Schulson beschäftigte sich bisher mit Eis, aber auch Gesteine gehören zu den spröden Materialien. Und Geowissenschaftler beobachten bei ihren Untersuchungsobjekten unter Druck ganz ähnliche äußere Erscheinungen. Schulson setzte sich daher mit seinem Universitätskollegen Carl Renshaw zusammen, um zu überprüfen, ob die Physik des inneren Verhaltens von Eis unter Druck nicht auf auf Gesteine anzuwenden ist. Und von der Theorie her ist das offensichtlich der Fall: Die Wissenschaftler konnten ein quantitatives Modell entwickeln, das allein auf unabhängig messbaren mechanischen Parametern beruht. Und demnach spielen die kürzlich entdeckten kammartigen Bruchformen die entscheidende Rolle für das letztendliche Versagen jedes spröden Materials. Denn sie beugen sich Reibungskräften an ihren freien Enden, indem sie entlang des primären Risses gleiten – nicht, indem sie brechen, wie die umgebogenen Zähne eines Kamms. Damit lösen sie weitere winzige Risse aus, die sich ausbreiten.

Ob sich die theoretischen Ergebnisse nun auch auf die Praxis übertragen lassen, müssen die Wissenschaftler allerdings erst noch erproben. Eine Reihe von Experimenten weist bereits darauf hin, dass eine Vielzahl von spröden Materialien tatsächlich so reagieren. Und sollte sich das Modell auch weiterhin bestätigen, dürfte es eine weite Anwendung finden: Vom Haus- und Brückenbau über die Ausbreitung von umweltrelevanten Stoffen im Boden bis hin zur Plattentektonik. Eisberge nicht zu vergessen.

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