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Teilchenphysik: Mesonen-Anomalie bleibt rätselhaft

Entstehen Elektronen bei extrem seltenen Teilchenzerfällen etwas häufiger als ihre beleibteren Geschwister? Neue Messdaten lassen die Frage weiterhin offen.
In einer unterirdischen Kaverne am Teilchenlabor CERN befindet sich das LHCb-Experiment, ein etwa 10 Meter hoher und 20 Meter langer Detektorkomplex.

Seit Jahren gehen Physiker am Kernforschungszentrum CERN einer verheißungsvollen Fährte bei der Suche nach neuen Naturgesetzen nach: Zerfälle so genannter B-Mesonen weichen möglicherweise von den Vorhersagen des etablierten Regelwerks der Teilchenphysik ab, berichteten Forscher der LHCb-Kollaboration im Jahr 2017. Konkret schienen bei den extrem seltenen Teilchenreaktionen die hinlänglich bekannten Elektronen etwas häufiger zu entstehen als ihre beleibteren Geschwister, die Myonen.

Das aber wäre ein Verstoß gegen die so genannte Leptonen-Universalität, einen wichtigen Grundsatz des »Standardmodells« der Teilchenphysik: Kein Mitglied der Leptonen-Familie – Elektronen, Myonen und Tau-Teilchen – sollte demnach von den Grundkräften bevorzugt behandelt werden. Die Anomalie in den Messdaten könnte folglich auf völlig neue Naturphänomene und Elementarteilchen hindeuten, glauben manche Physiker. Bisher konnten die Wissenschaftler aber nicht ausschließen, dass der beobachtete Unterschied zwischen Elektronen und Myonen bloß auf statistische Schwankungen zurückgeht, wie sie an Teilchenbeschleunigern immer wieder auftauchen.

Von 2,6 auf 2,5 Sigma

Nun haben Forscher auf der Moriond-Konferenz im italienischen La Thuile neue Ergebnisse des auf seltene Zerfälle spezialisierten LHCb-Detektors vorgestellt. Sie dürften eine Enttäuschung für all jene sein, die auf eine baldige Klärung der Sache gehofft hatten: Trotz verbesserter Datenbasis ist die statistische Signifikanz des untersuchten B-Meson-Zerfalls von 2,6 auf 2,5 Sigma gesunken.

Erst ab einer Signifikanz von 5 Sigma ist ein Phänomen aus Sicht von Teilchenphysikern sicher nachgewiesen. Davon ist man nach wie vor noch weit entfernt. Und auch die Messungen am japanischen Belle-II-Detektor zeigen bisher keinen klaren Verstoß gegen die Leptonen-Universalität, wie Forscher auf der Konferenz berichteten.

Damit ist der Traum von neuen Naturgesetzen etwas unwahrscheinlicher geworden, allerdings noch nicht völlig vom Tisch. Zum einen haben die Physiker erst einen Teil der am LHC gesammelten Daten ausgewertet, nämlich den aus den Jahren 2015 und 2016; die Aufzeichnungen aus den Jahren 2017 und 2018 fehlen noch in der aktuellen Analyse. Zum anderen haben sich bei früheren Messungen auch bei anderen Zerfällen von Mesonen Abweichungen von der Leptonen-Universalität gezeigt. Wie die neuen Daten hier die Lage verändert haben, ist offen.

In der aktuellen LHCb-Studie ging es um die Situation, in der die aus zwei Quarks aufgebauten B+-Mesonen in ein so genanntes Kaon sowie ein Elektron-Positron-Paar beziehungsweise ein Myon+-Myon--Paar zerfallen. In der Vergangenheit hatten sich noch bei drei verwandten Zerfällen von B-Mesonen wahrnehmbare Abweichungen vom Standardmodell gezeigt.

Bei allen vier verdächtigen Teilchenreaktionen verwandelt sich das besonders beleibte Bottom-Quark kurzerhand in eine leichtere Quark-Variante. Da dies nur sehr selten geschieht, brauchen die Experimentatoren einen sehr langen Atem – und werden vermutlich noch eine Weile benötigen, um der verdächtigen Spur bis zum Ende zu folgen.

An anderer Front konnte das LHCb-Team auf der Konferenz dagegen von einem Durchbruch berichten: So wiesen die Wissenschaftler nach jahrelanger Arbeit einen neuen subtilen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie nach – mit einer statistischen Signifikanz, die keinen Raum für Zweifel mehr lässt.

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