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Neuroprothese: Implantat hilft Parkinsonpatient beim Gehen

Dank gezielter Stimulation des Rückenmarks kann ein 63-jähriger Mann mit Schüttellähmung nun wieder längere Strecken gehen und sogar Treppen steigen. Studien mit weiteren Betroffenen sollen folgen.
Alter Mann steht vor Treppe
Der vor Jahrzehnten an Parkinson erkrankte Patient stürzte mehrmals täglich. Heute kann der 63-Jährige wieder längere Strecken gehen und Treppen steigen – dank eines Implantats, das gezielt das Rückenmark stimuliert. (Symbolbild)

Seit drei Jahrzehnten lebt Marc Gauthier mit Parkinson. Alle herkömmlichen Therapiemöglichkeiten wurden ausgeschöpft. Selbst die tiefe Hirnstimulation konnte die Symptome zuletzt nicht mehr ausreichend kontrollieren. Täglich stürzte er fünf- bis sechsmal. Doch heute kann der 63-Jährige wieder längere Strecken gehen und sogar Treppen steigen – dank einer innovativen Neuroprothese im Rückenmark. Forschende der Université de Lausanne veröffentlichten die eindrücklichen Ergebnisse dieser Einzelfallstudie nun im Fachmagazin »Nature Medicine«.

Grund für die häufigen Stürze sind absterbende Dopaminzellen. Neben dem typischen Zittern äußert sich das in kurzen Trippelschritten, Gleichgewichtsproblemen und vor allem: plötzlich eintretenden Blockaden beim Gehen. Man kann die Krankheit nicht heilen, nur ihren Verlauf bremsen. Zunächst bekommen Betroffene Levodopa verabreicht, eine Vorstufe des Hirnbotenstoffs Dopamin. Da die Wirksamkeit im Lauf der Zeit nachlässt, wird später das Dopaminsystem mit Hilfe von implantierten Elektroden angeregt.

Das Team um Hirnforscher Grégoire Courtine und Neurochirurgin Jocelyne Bloch verfolgte einen anderen Ansatz. Anstatt zu versuchen, den Dopaminmangel zu kompensieren, konzentrierten sie sich auf den Bereich, in dem Gehbewegungen letztendlich ausgelöst werden: das Rückenmark zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein. Dort enden Nervenbahnen, die sensorische Informationen von den Beinen ans zentrale Nervensystem liefern, und dort sitzen die unteren Motoneurone, die Befehle an die Muskulatur übertragen.

Die Forschenden implantierten Gauthier eine Art dünne Folie mit 16 Elektroden in den Zwischenraum von Wirbelsäule und Rückenmark. Die genauen Stellen hatten sie zuvor mit ausgefeilten Methoden bestimmt. Ganganalysen und Bewegungssensoren an den Beinen ermöglichten ihnen, das Implantat mit den beabsichtigten Bewegungen Gauthiers zu synchronisieren: Zum richtigen Zeitpunkt sendet das Implantat einen elektrischen Impuls über die passende Elektrode, je nachdem, ob eine Gewichtsverlagerung ansteht, das Bein angehoben werden muss oder die Vorwärtsbewegung beginnt.

Diese Methode entwickelte die Forschungsgruppe bereits vor einigen Jahren. 2018 verhalf sie drei Männern mit Rückenmarksverletzungen, die über vier Jahre im Rollstuhl saßen, wieder zum Gehen. In Vorbereitung auf den Einsatz bei Parkinson erprobten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Verfahren an Makaken, die sie zum Teil medikamentös in parkinsonähnliche Zustände versetzt hatten.

Allerdings ist noch nicht geklärt, wie genau die Behandlung wirkt, geben die beiden Neurologen Aviv Mizrahi-Kliger und Karunesh Ganguly von der University of California in San Francisco zu bedenken. Zudem könnten sich die Ergebnisse von Patient zu Patient unterscheiden. Deshalb sei es wichtig, das Verfahren nun an mehreren Versuchspersonen zu testen. Genau das plant die Schweizer Forschungsgruppe in diesem Jahr: Bis Ende 2024 stehen klinische Tests mit sechs neuen Patienten an. Unterstützen soll dabei auch Onward Medical, ein Unternehmen, das die beiden Studienleiter Courtine und Bloch gründeten, um die Technologie zu kommerzialisieren.

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