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EU-Kommission: Noch Platz für Forschung und Bildung?

Mariya Gabriel soll künftig als EU-Kommissarin das Mammutressort »Innovation und Jugend« leiten. Aus dem Namen ist die Forschung verschwunden - aus den Inhalten auch?
Mariya Gabriel bei der Anhörung

Es wäre falsch, die Anhörungen, die das Europäische Parlament mit den Bewerbern auf die EU-Kommissionsposten führt, als Vorstellungsgespräche zu bezeichnen. Wenn ein Kandidat erst einmal Platz nimmt auf dem Podium und den entsprechenden Ausschüssen Rede und Antwort steht, ist er oder sie eigentlich schon »eingestellt«. Denn das Parlament kann einzelne Kandidaten formal nicht ablehnen, es kann nur die gesamte Kommission akzeptieren oder zurückweisen.

Trotzdem bieten diese Interviews, die alle fünf Jahre vor jeder Neubildung der Kommission stattfinden, eine gute Gelegenheit, den Kandidaten ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Manche offenbaren dabei ihre Schwächen: 2010 beispielsweise wusste Rumiana Jeleva, die aus Bulgarien stammende Kandidatin für das Humanitäre-Hilfe-Ressort, so wenig über ihr Fach und hatte so starke Interessenkonflikte, dass das Parlament drohte, die gesamte vorgeschlagene Kommission abzulehnen. Spaniens Miguel Arias Cañete bekam 2014 zwar den Posten als Klimakommissar, aber erst nachdem das Parlament die engen Beziehungen seiner Familie zur Ölindustrie aufdeckte.

Am 30. September 2019 nun saß die Bulgarin Mariya Gabriel auf dem heißen Stuhl, vor den Mitgliedern der EU-Parlamentsausschüsse für Industrie, Forschung und Energie sowie Bildung und Kultur. Um es vorwegzunehmen: Ihren Aussagen nach zu urteilen, werden in der EU Forschung und Innovation für die nächsten fünf Jahre gut aufgehoben sein. Gabriel wirkte gut vorbereitet und punktete mit Sachverstand. Sie gab kenntnisreiche Antworten und brachte eigene Ideen und Pläne mit, um das ihr zugeschriebene Ressort zu verwalten und zu verbessern.

Ein Platz für Forschung

Womit sie wohl auch beide Hände voll zu tun haben wird, denn das Aufgabengebiet, für das sie ausgewählt wurde, hat sich in seinem Zuschnitt verdoppelt. Ursula von der Leyen, die voraussichtliche Kommissionspräsidentin, plant das Ressort für Forschung und Innovation, bis jetzt verwaltet von dem Portugiesen Carlos Modeas, mit dem für Jugend und Bildung zusammenzulegen – unter dem Namen »Innovation und Jugend«.

Diese Entscheidung ist kontrovers, vor allem unter Forschern und Akademikern. Da die Begriffe Forschung und Bildung aus dem Namen des neuen Ressorts verschwunden sind, befürchten Kritiker, dass auch die Themen selbst in der EU-Politik an Gewicht verlieren könnten. Bis jetzt zählten die großen europäischen Forschungsrahmenprogramme wie Horizont 2020 und der dazugehörige Europäische Forschungsrat zu den Hauptaufgaben des Forschungskommissars. Gabriel jedoch wird sich zusätzlich zu diesen wichtigen Gebieten um andere Bereiche wie Kulturpolitik, Jugend und Sportförderung kümmern müssen.

In ihrem Interview sagte Gabriel, dass sie in der Zusammenlegung dieser Bereiche vor allem viel Potenzial sehe. Innovation sei das gemeinsame Element, das alle Aufgabengebiete verbinde.

Zugutekommen könnte ihr, dass Gabriel die Arbeitsweise der EU in- und auswendig kennt. Bevor sie als Kommissarin vorgeschlagen wurde, verbrachte die heute 40-Jährige acht Jahre im EU-Parlament für die konservative Europäische Volkspartei. Im Jahr 2017 ersetzte sie die angesehene bulgarische Kommissarin Kristalina Georgieva, die jetzt geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds ist, im Ressort für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft. In ihrer Zeit im Parlament setzte sich Gabriel vor allem für Frauenrechte und im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres ein.

Freiheit und Finanzen

Um die Anhörung zu fokussieren, schickten die beteiligten Ausschüsse schon vorab eine Liste mit Fragen an Gabriel. In ihren Antworten versprach sie, die Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen, und bezog sich auch auf ihre Parlamentsarbeit. »Grundlagenforschung ist eine wichtige Stärke und eine entscheidende Voraussetzung, um künftig noch mehr der besten Forscher anzulocken, damit die EU zu einem internationalen Zentrum für Spitzenforschung wird«, schrieb sie. »Deswegen ist es grundsätzlich wichtig, unseren Wissenschaftlern die Freiheit zu geben, die Grenzen unseres Wissens auszuloten.«

Gabriel versprach ebenfalls, sich »resolut für ein ambitioniertes« EU-Forschungsbudget einzusetzen, nannte allerdings keine konkreten Zahlen. Das derzeitige EU-Forschungsrahmenprogramm, Horizont 2020, endet nächstes Jahr, und die Haushaltsverhandlungen für den Nachfolger Horizont Europa laufen auf Hochtouren. Die EU-Kommission hat für Horizont Europa, das von 2021 bis 2027 aktiv sein wird, ein Preisschild von 83,5 Milliarden Euro vorgesehen. Aus dem EU-Parlament kam dagegen die Forderung nach 120 Milliarden Euro; der Europäische Rat, der die Mitgliedsstaaten repräsentiert, hätte lieber weniger.

Beim Thema Innovation ließ Gabriel durchblicken, dass sie ihr übergreifendes Ressort dazu nutzen möchte, kleine Firmen und junge Unternehmer sowie Universitäts-Start-ups zu unterstützen. Sie kritisierte europäische Banken für ihre Abneigung gegen risikoreiche Investitionen, was viele Firmen in die Vereinigten Staaten treibe. »Wir müssen uns der Aufgabe stellen, unsere innovativen Firmen selbst zu entwickeln«, sagte sie. »Europa quillt über von jungen Unternehmen, aber viele finden es schwierig, hier zu wachsen.«

Gabriel sagte auch, dass Ausgaben für Forschung und Entwicklung in ganz Europa steigen müssten – also auch in den Mitgliedsstaaten. »Wenn wir hier nicht investieren, werden es andere tun.«

Reise nach Jerusalem

Ihrem Interview nach zu urteilen, dürfte Gabriel den Kommissionsjob bekommen. Aber wie so oft in der EU, ist die Lage etwas komplizierter. Letzte Woche lehnte das Parlament zwei Kandidaten, die Rumänin Rovana Plumb und den Ungarn László Trócsányi, wegen Interessenkonflikten ab. Wenn von der Leyens Kommission am 1. November stehen soll, muss sie für die Ressorts Verkehr und EU-Erweiterung zwei neue Kandidaten finden. Es könnte sein, dass diese anderes Fachwissen haben, so dass in einer politischen »Reise nach Jerusalem« die Zuschnitte der einzelnen Ressorts noch einmal durchgemischt werden.

Gabriel selbst sagte, sie hoffe sehr, bald das Ressort Innovation und Jugend zu übernehmen und mit einem substanziellen Budget auszustatten. »Ich bitte Sie, in mir eine unermüdliche und hartnäckige Verteidigerin zu sehen«, sagte sie den Ausschüssen. »Ich bin Ihre Verbündete.«

Klare Worte. Nun wird sich zeigen, ob Gabriel die Gelegenheit bekommt, ihre Versprechen zu halten.

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