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Nationalpark: Öl im Paradies

Er bietet die weltweit höchste Artenvielfalt und 1,7 Milliarden Barrel Rohöl: Im ecuadorianischen Nationalpark Yasuní sind die ersten Ölplattformen in Betrieb. Naturschützer und Ureinwohner kämpfen um die letzten Wildnisgebiete.
Ölanlage im Yasuni Nationalpark

Grün-rote Aras flattern kreischend in den 30 bis 50 Meter hohen Baumkronen, umgeben von Sittichen und Kapuzineräffchen. Kilometerweit trägt das Geheul der Brüllaffen durch den Wald. Vielleicht wird einer von ihnen zum Opfer der mächtigen Harpyie, die mit atemberaubender Geschicklichkeit durch das Gewirr von Ästen, Blättern und Lianen manövriert. In den trüben Wassern des Río Napo und des Río Tiputini schwimmen Süßwasserrochen und rosafarbene Delfine. Gelegen zwischen dem Äquator und den Ausläufern der Anden, gilt der Nationalpark Yasuní in Ecuador als artenreichster Fleck der Erde. Die üppige Fülle an Tieren und Pflanzen bietet teils noch immer die Lebensgrundlage indigener Völker – vor allem der Huaorani –, die bisher teilweise keinen Kontakt mit der Außenwelt hatten.

Für den Zoologen Kelly Swing ist der Nationalpark eine Quelle immer währender Faszination: »Allein im Yasuní leben anderthalbmal so viele Amphibienarten wie in den USA und Kanada zusammen«, schildert Swing. Diese Vielfalt findet sich in jedem Bereich der Flora, Fauna oder Pilze wieder: »Wir schätzen, es gibt 100 000 Insektenarten pro Hektar, die allermeisten davon unbekannt.« Nicht nur bietet der Yasuní über 130 vom Aussterben bedrohten Arten ein Refugium. Er beherbergt rund 15 Prozent aller Arten weltweit.

Kelly Swing lehrt an den Universitäten Boston und San Francisco de Quito und ist Gründer der Tiputini Biodiversity Station im Nationalpark. Um die Natur zu schonen, ist sie ausschließlich auf dem Wasserweg zu erreichen. Seit fast einem Vierteljahrhundert arbeitet Swing dort zwei Monate pro Jahr: »Und noch immer kann ich nicht das Haus verlassen, ohne auf ein paar unbekannte Arten zu stoßen.« Doch die Euphorie verfliegt, wenn sein Blick den Horizont streift. Eine schmale Rauchsäule steigt in den Himmel. Hier fördert der Konzern Petroamazonas Rohöl. Einige hundert Bohrlöcher sind in der Umgebung bereits in Betrieb, Tendenz steigend. Zwei bis drei Jahrzehnte sollen sie genutzt werden. Die nächste Plattform liegt keine zehn Kilometer von der Station entfernt.

Der Sündenfall

Nur ein Prozent des Yasuní solle von den Ölbohrungen betroffen sein – so beteuerte im Jahr 2013 der damalige Präsident Rafael Correa. Und twitterte kurz darauf in Großbuchstaben: Es seien UNO PER MIL, ein Tausendstel. »Bisher sollte jede Ölförderung in Ecuador nie mehr als drei bis fünf Prozent des genehmigten Gebiets schädigen«, sagt Swing dazu. Verstummt er, hört er sofort das übliche monotone Summen: Tag und Nacht liefern die Maschinen der Ölplattform dem Klangspektrum des Dschungels einen neuen Hintergrund.

Der gesamte Yasuní birgt etwa 1,7 Milliarden Barrel Rohöl und damit 40 Prozent der landesweiten Reserven. »Das Öl ist der wichtigste Faktor im nationalen Budget«, weiß Aktivist Carlos Mazabanda von Amazon Watch. Die Menschenrechtsorganisation setzt sich für den Schutz des Regenwalds und die Belange der indigenen Bevölkerung im Amazonasbecken ein. Mazabanda ist Koordinator für Ecuador. Er zeichnet das Bild eines zerrissenen Landes: Weite Teile der Bevölkerung befürworten die Bewahrung des Yasuní. Andererseits ist Ecuador vor allem bei China immens verschuldet: »Die Regierung zahlt die Schulden in Öl. Deswegen versucht sie stetig, neue Felder zu öffnen.« Derzeit erhält China 80 Prozent des ecuadorianischen Rohöls zu einem Sonderpreis und verkauft es mit einem Aufschlag nach Kalifornien weiter.

Die Abzweigung auf einen nachhaltigeren Weg hat Ecuador verpasst. Im September 2007 hatte Correa den Vereinten Nationen angeboten, das Fördergebiet Ishpingo-Tambococha-Tiputini zu verschonen: Der so genannte Block ITT birgt die Hälfte der Ölreserven des Nationalparks, wird aber von isoliert lebenden Gruppen der Ureinwohner genutzt. Ecuador hätte auf Einnahmen von 7,2 Milliarden Dollar verzichten müssen – daher verlangte der Präsident, die UN sollten die Hälfte davon erstatten und in einen Treuhandfonds einzahlen. Das Geld war für die Förderung alternativer Energien bestimmt. »Dies war nicht Correas Idee, sondern das Ergebnis jahrelanger Arbeit ziviler Organisationen«, schränkt Mazabanda ein. Der Ansatz, Bewahrung statt Aufforstung zu finanzieren, fand international großen Anklang. Doch China, Russland, die USA und später auch Deutschland sagten ab: Als der damalige Entwicklungsminister Dirk Niebel sein Amt antrat, widerrief er die Zusage der Bundesregierung. Nach Ablauf der Frist war nur ein Bruchteil des geforderten Betrags zusammengekommen. Correa erklärte die Initiative für gescheitert, und im Jahr 2016 ging die erste Plattform in Betrieb.

Enttäuschte Hoffnungen

Der annähernd 10 000 Quadratkilometer große Yasuní hat in etwa die Form eines Hufeisens, dessen zwei Schenkel in den Westen zeigen. Auf einer Karte sieht man über den gesamten nördlichen Schenkel verteilt die Markierungslinien der Ölfelder. Etwa in der Mitte dieses Schenkels liegt die Tiputini Biodiversity Station. Der Block ITT liegt an der Spitze des Hufeisens, also im Osten: »Doch wir hatten die Hoffnung, einen Präzedenzfall für weitere Fördergebiete schaffen zu können«, erläutert Swing.

Der Maschinenlärm ist nur ein Faktor von vielen – obgleich er nach Ansicht des Zoologen die Tierwelt vor Ort empfindlich stört: »Denn viele Frösche, Vögel und Säugetiere kommunizieren über ähnliche Frequenzen.« In den gigantischen Fackeln der abbrennenden Gase sterben nachts zahllose Insekten. Die zuvor unberührte Natur ist von Schneisen durchzogen – »ecological trails« nannte sie Correa. Ein Ausdruck, der Swing empört: »Das hier sind ganz gewöhnliche Schotterstraßen. Zwei Trucks können darauf aneinander vorbeifahren.«

Zwar ist die Infrastruktur nicht so dicht, wie es vor 50 Jahren typisch war. Moderne Plattformen benötigen weniger Fläche und haben 20 bis 30 Löcher in verschiedene Richtungen. Doch Swing bezeichnet eine Straße als Todesurteil für die Umgebung: »Wilderei und illegaler Holzeinschlag reichen bis zu zehn Kilometer abseits der Zufahrtswege in den Wald hinein und werden kaum geahndet.« Das extrem vielfältige Ökosystem durch Aufforstung wiederherzustellen, sei faktisch unmöglich. Viele der indigenen Menschen leben sehr viel näher an den Ölförderungen: »Daher erfahren sie alles direkter – den Lärm, den Verlust von Tierarten und auch die Giftstoffe.«

Über Jahrzehnte mieden die Konzerne den Yasuní: Die Völker der Huaorani gelten seit jeher als ausgesprochen kriegerisch. 80 Kilometer weiter nördlich lebten friedliebende Völker, und der dortige Regenwald galt als noch artenreicher als der Yasuní: »Nur wenige Wissenschaftler konnten sich ein Bild von der Vielfalt machen, bevor die Ölkonzerne eindrangen«, berichtet Swing. Von Rechts wegen benötigen die Unternehmen die Zustimmung der Menschen vor Ort: »Also versprachen sie Schulen und Elektrizität, medizinische Versorgung und Nahverkehr zu regionalen Märkten.« Niemand hatte den Ureinwohnern vom Dröhnen der Maschinen, von vergifteten Flüssen und Seen erzählt. In den 1970er Jahren waren Lecks an der Tagesordnung, und das vergleichsweise billige Rohöl wurde auf die neu gebauten Straßen geschüttet, um den Staub zu binden. Wälder wurden gerodet oder leer gejagt, und Siedler versuchten, dem kargen Boden Erträge abzuringen. Die Ureinwohner wurden bestenfalls mit baufälligen Häusern, mangelhafter Versorgung und Schulen ohne Lehrer abgespeist und litten unter Krankheiten.

Zerstörte Lebensgrundlagen

Mittlerweile erklären die Unternehmen, sauber zu arbeiten und eine Beziehung zu den Einheimischen aufzubauen: an den nordwestlichen Ausläufern des Yasuní beispielsweise, wo der spanische Konzern Repsol seit 20 Jahren Öl fördert. Im Jahr 2018 erhielt Carlos Mazabanda die Genehmigung, eine dort ansässige Gemeinschaft der Huaorani zu besuchen. Hier leben die Menschen in einer unfreiwilligen Symbiose mit Repsol. Sie wohnen in Häusern, die Kinder gehen zur Schule. Wenn sie ein Problem haben, wenden sie sich an den Konzern: »Doch wenn sie das Fördergebiet verlassen wollen, müssen sie um Erlaubnis fragen.«

Papageien im ecuadorianischen Regenwald | Die Artenvielfalt im ecuadorianischen Regenwald und besonders im Yasuní ist auch im weltweiten Vergleich extrem hoch.

Mazabanda fielen die großen Plastiktanks neben den Häusern auf. Sie seien für Regenwasser, erklärten die Huaorani: Das Wasser in den Flüssen sei verunreinigt. »Man sieht dort Wasser überall, kleine Bäche, große Flüsse. Aber die Menschen können es nicht mehr nutzen«, kritisiert Mazabanda. Die Tanks stammten nicht vom Unternehmen, sondern von einer Hilfsorganisation: »Und die Einheimischen vermissen ihr ehemals freies Leben und die sauberen Gewässer.« Auch Swing pflegt regelmäßigen Kontakt zu seinen indigenen Nachbarn. Einige von ihnen arbeiten auf der Station. Die Menschen berichten von Krebs, von Leber- und Nierenproblemen, von Fehlgeburten und Hautausschlägen: »Manchmal erzählen sie, wie sie belogen und unter Druck gesetzt wurden«, schildert Swing.

Da die Bohrlöcher nicht in direkter Nähe zur Station liegen, bemerken die Forscher keine unmittelbaren Verschmutzungen. Doch wenn Swing am Río Tiputini steht, sieht er manchmal einen schillernden Film an der Oberfläche treiben: »Ölförderungen überall auf der Welt sind fast hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Angeblich soll dies Konflikte vermeiden und die lokale Bevölkerung vor möglichen Unfällen schützen. Aber natürlich gibt es auch heute noch Pfusch und Leckagen. Und die Firmen müssen sich nicht weiter um Details scheren, wenn keiner über den Zaun sehen kann.«

Trauriger Anblick | Ecuador hat eigentlich schon schlechte Erfahrung mit der Ölförderung in Amazonien gemacht: Ab den 1970er Jahren pumpten ausländische Firmen den Rohstoff im Amazonasbecken ab – und hinterließen vielerorts eine Ölpest.

Bock zum Gärtner

Nur die südliche Hälfte des Parks ist noch unangetastet und wird auch so benannt: Es ist die Zona Intangible Tagaeri Taromenane. Die beiden letzteren Begriffe bezeichnen die zwei Gruppen der Huaorani, die in dieser Region in selbst gewählter Isolation leben. Sofern man sie lässt: Eine der drei Ölquellen des Blocks ITT liegt direkt in der Schutzzone. »Hier Öl zu fördern, ist verfassungswidrig«, erklärt Mazabanda. Denn Ecuador ist das erste Land, das in seiner Verfassung ein Recht auf die Existenz und Aufrechterhaltung der Natur festgeschrieben hat. Doch kürzlich hat der amtierende Präsident Lenín Moreno einen neuen Umweltminister eingesetzt – Marcelo Mata, der seinen beruflichen Schwerpunkt bisher in der Ölindustrie hatte. Sein Vorgänger hatte sich den Protesten von Naturschützern und Ureinwohnern gebeugt und eine Verfügung zu Bohrungen in der Zona Intangible nicht unterzeichnet.

Präsident Moreno plant, das Schutzgebiet im Bereich des Blocks ITT zu beschneiden und an anderer Seite zu erweitern. Zwar leben die isolierten Stämme nomadisch, doch müssten sie aus ihrem Kerngebiet in selten besuchte Regionen wechseln. Dies birgt ein hohes Konfliktpotenzial. Und mit jeder Ölplattform und jedem Zufahrtsweg wächst der Druck auf die Ureinwohner: Schon jetzt roden Holzfäller illegal in der Zona Intangible. In den letzten Jahren kam es zu blutigen Auseinandersetzungen mit Todesfällen auf beiden Seiten. »Die Tagaeri und Taromenane werden dem nicht lange standhalten«, betont Swing: »Man vermutet, dass es kaum mehr als 300 dieser Menschen gibt. Wenn im einen Jahr fünf, im nächsten zehn von ihnen sterben, werden die Stämme sehr bald nicht mehr existieren.«

Kaiman mit Schmetterlingen | Mit der Ölförderung geht oft verschmutztes Wasser einher – und damit Gefahren für Mensch und Tier.

Heutzutage teilen geschädigte Gemeinschaften ihre Geschichten über soziale Netzwerke: Das hilft anderen Gruppen, die bisher weniger stark beeinflusst sind. Umweltaktivisten, die während Correas Amtszeit inhaftiert wurden, werden langsam wieder frei gelassen. Und Ende Dezember 2018 zeigten die Proteste vorläufige Erfolge: Energieminister Carlos Pérez erklärte einen einstweiligen Verzicht auf Bohrungen in den Gebieten der Tagaeri und Taromenane. »Wir haben das Gesetz auf unserer Seite«, stellt Mazabanda klar: »Die juristischen Institutionen sind weniger von der Regierung korrumpiert als zu Correas Zeiten.« Dennoch beharrt der Minister darauf, in anderen Bereichen des Blocks ITT weiterzubohren.

Wenn Kelly Swing die nordwestlichen Grenzen des Nationalparks betritt, hört er das Knirschen der eigenen Schritte plötzlich doppelt so laut. Der Grund ist eine unheimlich anmutende Stille. Das Gekreische und Geschnatter, das Flattern unzähliger großer Flügel in den Baumkronen – es fehlt. »Der Wald steht noch, aber er ist völlig leer«, beschreibt der Zoologe: »Alles, was mehr als ein paar hundert Gramm wiegt, ist Opfer der Jäger geworden.« Dieses Phänomen bemerkt er überall dort, wo über zwei oder drei Jahrzehnte Straßen den Zugang in den Wald ermöglichen. Auf Satellitenbildern sehen die Wälder intakt aus: Kahlschläge sind leicht zu identifizieren, das Empty Forest Syndrome ist es nicht. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass in 50 Jahren mehr als ein Bruchteil des heutigen Yasuní übrig ist«, bilanziert Swing düster: »Doch ich hoffe von ganzem Herzen, dass ich falschliege.«

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