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Paxlovid: Gamechanger mit Hindernissen

Paxlovid sollte der Gamechanger in der Pandemie werden und wurde schnell zugelassen. Zuletzt gab es Berichte über Therapierückfälle; prominente Politiker nehmen das Medikament, trotzdem droht es in Massen zu verfallen. Was dahintersteckt und warum es jetzt dringend häufiger eingesetzt werden sollte.
Eine Packung Paxlovid mit Blistern.

In ein paar Monaten vom Hoffnungsträger in der Pandemie auf die Resterampe – eine Millionen Packungen der Paxlovid-Pillen hat der Bund gekauft und sie drohen zu verfallen, weil sie kaum verschrieben werden. Wie konnte es so weit kommen? »Am Medikament selbst liegt es nicht«, sagt Rolf Hilgenfeld, Professor für Biochemie an der Uni Lübeck, der selbst an antiviralen Wirkstoffen gegen Sars-Cov-2 arbeitet. »Paxlovid ist ein gutes Präparat.« Eine placebo-kontrolliere Studie aus Hongkong zeigte bei Risikopatienten, die das Medikament in den ersten fünf Tagen nach Symptombeginn bekommen hatten, 89 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen. Zusätzlich scheint es das Risiko von Long Covid um etwa ein Viertel zu senken, wie eine aktuelle Untersuchung nahelegt.

Paxlovid wird besonders für Angehörige von Risikogruppen empfohlen, falls diese an Covid-19 erkranken. Es ist das wirksamste Medikament, welches als Tablette und damit mit relativ geringem Aufwand eingenommen werden kann. »Andere wirksame Medikamente gegen Covid-19 wie etwa Antikörper müssen als Infusion verabreicht werden«, erklärt Huldrych Günthard, Professor für Klinische Infektiologie an der Uniklinik Zürich. »Das kann meistens nur im Krankenhaus passieren, eine Pille dagegen kann der Hausarzt Patienten mit nach Hause geben.«

Fünf Tage am Stück sollen Patienten das Präparat einnehmen. Paxlovid besteht aus zwei wirksamen Substanzen, die innerhalb der Packung auch in verschiedenen Pillen enthalten sind. Es handelt es sich erstens um Ritonavir, das den Abbau des zweiten – des eigentlichen antiviral wirkenden Stoffs – Nirmatrelvir verlangsamt. Nirmatrelvir ist ein Protease-Hemmer, der die Hauptprotease von Sars-Cov-2 inaktiviert. Diese benötigt das Virus, um aus einer langen Proteinkette, verschiedene Proteine abzuschneiden, die für die Vermehrung notwendig sind. Nirmatrelvir, das selbst aus einem Grundgerüst von vier Aminosäuren besteht, bindet fest an die Protease, macht sie so funktionsuntüchtig – und sorgt so dafür, dass die Vermehrung des Virus verlangsamt wird.

Manchmal kommen sie wieder

Zuletzt mehrten sich die Fallberichte von so genannten Rebounds – die Antigenschnelltests von Patienten wurden unter Paxlovid-Behandlung zunächst negativ, nach Absetzen des Medikaments jedoch wieder positiv. Laut Zulassungsstudien kann das bei zwei Prozent der Behandelten auftreten. Allerdings spricht für einige Experten die schiere Zahl derartiger Fälle für ein Auftreten in größerer Zahl bei der Anwendung von Paxlovid in der Praxis. Die Erfahrungen in der echten Welt unterschieden sich von den Studien, sagt Robert Wachter, Direktor der Abteilung für Innere Medizin an der University of California in San Francisco. »Die meisten von uns [Wissenschaftlern] halten eine Rate von 10 bis 20 Prozent [von Rebounds] für realistischer«, sagt er. »Wenn man sich überlegt – beide Bidens hatten es, Fauci, der Virologe Peter Hotez, meine Frau und viele Freunde – die Rate kann einfach nicht nur zwei bis fünf Prozent betragen.«

Könnte diese jetzige – vermutlich – größere Häufigkeit verglichen mit den Zulassungsstudien bereits auf aufkommende Resistenzen hindeuten? Solche entwickeln Viren, zum Beispiel HIV, häufig gegenüber antiviralen Medikamenten ebenso wie Bakterien gegenüber Antibiotika. Insbesondere Protease-Hemmer sind dafür bekannt, dass gegen sie bei HIV schnell Resistenzen auftreten.

Studien haben mittlerweile gezeigt, dass auch bei Sars-Cov-2 lediglich drei Mutationen notwendig sind, um den antiviralen Wirkstoffanteil von Paxlovid unwirksam zu machen. Solche Mutationen wurden bereits in Datenbanken natürlich vorkommender Sars-Cov-2-Varianten entdeckt.

Werden die Viren resistent?

»Es gibt dennoch keine Hinweise, dass Sars-Cov-2 schon in relevantem Ausmaß Resistenzen gegen Nirmatrelvir entwickelt hat«, sagt Rolf Hilgenfeld. Denn zum einen ergeben sich durch die Resistenzmutationen durchaus Nachteile für das Virus. Die Protease funktioniert weniger gut. »Das legt nahe, dass die Fitness des Virus verringert wäre«, schlussfolgern die Autoren um Dirk Jochmans von der Katholischen Universität im belgischen Leuven. Dazu passt, was die Wissenschaftler herausfanden, die die natürlich vorkommenden Nirmatrelvir-resistenen Varianten genauer untersuchten. Yanmei Hu von der State University of New Jersey und Kolleginnen stellten fest, dass sich die natürlich entstandenen Resistenzvarianten in Zellkultur tatsächlich langsamer vermehrten als Viren ohne diese Mutationen.

Es ist denkbar, dass eine längere Evolution diesen Nachteil für das Virus noch wettmachen könnte. Im Moment fehlt allerdings auch jeder Vorteil, den eine solche Mutation mit sich bringen könnte. Im Labor wurden die Resistenzen in Zellen gezüchtet, die recht hohen Konzentrationen eines Nirmatrelvir-ähnlichen Mittels ausgesetzt waren. Im Menschen dagegen wird Paxlovid vergleichsweise selten angewendet. Das bedeutet, der Vorteil resistenter Varianten, sich auszubreiten, ist bislang marginal.

Dazu führt auch der kurze Behandlungszeitraum – insbesondere im Vergleich zu HIV-Medikamenten, wo Resistenzen gegen Protease-Hemmer häufig sind. Denn gegen das Virus, das Aids verursacht, werden jene Arzneimittel dauerhaft gegeben, so dass sich in Patienten resistente Erreger mit der Zeit durchsetzen können. Die Paxlovid-Einnahme ist für fünf Tage vorgesehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich in dem Zeitraum ein resistenter Erreger im Körper entwickelt, ist gering – und falls doch, kann er in dieser Spanne kaum die Oberhand im Körper gewinnen und sich auch noch ausbreiten.

Wie kommen die Therapierückfälle dann zu Stande? »Wahrscheinlich ist es bei diesen Patienten nicht gelungen, die gesamte Menge der Protease innerhalb von fünf Tagen zu deaktivieren – so kann sich das Virus nach dem Absetzen des Medikaments noch mal vermehren«, sagt Hilgenfeld. »Man hat bei Paxlovid möglicherweise einfach noch nicht die richtige Balance bei der Dauer der Behandlung gefunden.« Eine kurze Dauer verringert eben die Wahrscheinlichkeit der Resistenzbildung, eine längere Behandlungszeit verringerte wohl das Auftreten von Therapierückfällen.

»Diese Rebound-Phänomene gibt es. Dann sollte man die Therapie auf zehn Tage verlängern«, sagt Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin und Mitglied im Corona-Expertenrat.

Kombinationstherapie – aber nicht mit Molnupiravir

»Wir sollten die Gefahr von Resistenzen beobachten – vor allem in Immunsupprimierten«, sagt Hilgenfeld. Bei längerer Paxlovid-Gabe wäre hier eine ähnliche Situation wie in HIV-Patienten denkbar. »Im Moment leistet Paxlovid gute Dienste, aber langfristig sollte eine Kombinationstherapie mit einem Polymerase-Hemmer das Ziel sein«, sagt Hilgenfeld. Virale Polymerasen sind die Enzyme, die die Erbsubstanz des Erregers vervielfältigen. Kombinationstherapien unter anderem aus Polymerase- und Protease-Hemmern sind Standard in der HIV-Therapie.

Bislang gibt es mit Molnupiravir (Handelsname »Lagevrio«) zwar ein Medikament, das bei der Vervielfältigung des Erbgutes des Virus angreift. Es wird aber nicht zur Kombinationstherapie mit Paxlovid empfohlen – aus gutem Grund. »Ich halte Molnupiravir für kein empfehlenswertes Medikament«, sagt Hilgenfeld. »Es verursacht Mutationen im Virus – und Erbgutveränderungen sind auch schon bei menschlichen Zellen in Zellkultur beobachtet worden.« Beim Menschen könnte Molnupiravir also eventuell Krebs auslösen, beim Virus durch eine hohe Mutationsrate bei gleichzeitiger Paxlovid-Gabe das Aufkommen von Resistenzen fördern.

Auch die Wirksamkeit ist schlechter – und somit ist es leicht nachvollziehbar, dass die Bundesregierung stattdessen in großem Umfang Paxlovid gekauft hat. Warum wird es bislang so wenig eingesetzt? »Paxlovid ist grundsätzlich gut verträglich und sicher, wenn die Vorgaben beachtet werden«, sagt Torsten Feldt, Oberarzt mit Schwerpunkt klinischer Forschung zu Covid-19 am Universitätsklinikum Düsseldorf. »Viele der Patienten, die wegen der Covid-Symptome aufgenommen werden haben – obwohl in meinen Augen oft eine Indikation für eine antivirale Therapie bestanden hätte – in aller Regel in der frühen Phase der Erkrankung kein Paxlovid erhalten.« Er fürchte, dass das Risiko eines schweren Covid-19-Verlaufs inzwischen sowohl von Ärzten als auch von Patienten häufig unterschätzt werde. »Im Vergleich zu früheren Infektionswellen hat das Risiko für Komplikationen auf Grund der weniger gefährlichen Varianten und der breiten Bevölkerungsimmunität tatsächlich erheblich abgenommen, aber es gibt eben immer noch zu viele davon.«

Der wichtigste Schutz bleibt die Impfung

Wenn Patienten mit schweren Verläufen in die Klinik kämen, sei es dafür meist schon zu spät, man müsse Paxlovid ja in den ersten fünf Tagen nach Symptombeginn einnehmen. »Als Nebenwirkungen können vor allem Geschmacksstörungen, Durchfall und Erbrechen auftreten, die sich nach Absetzen der Therapie zurückbilden«, sagt Feldt. »Wenn die Indikation korrekt gestellt wird, überwiegt der Nutzen das Risiko deutlich. Damit ist die in Deutschland offenbar verbreitete Zurückhaltung bei der Verordnung von Paxlovid für mich nicht gerechtfertigt.«

Ein gewichtiger Grund dafür ist die enthaltene Wirkstoffkombination. Ritonavir hemmt eine wichtige Klasse von Entgiftungsenzymen der Leber, die auch für den Abbau vieler anderer Medikamente notwendig sind. Das bedeutet: Es gibt zahlreiche Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln. Und Menschen in den Risikogruppen nehmen eben häufig mehrere Medikamente ein, die die Verschreibung von Paxlovid kompliziert machen. »Den Hausärzten fehlt dafür oft die Zeit«, sagt Feld. »Es gibt inzwischen aber eine App, mit der man diese Fragen recht schnell und zuverlässig klären kann.«

Seit zwei Monaten dürfen Hausärzte Paxlovid direkt an Patienten abgeben – seitdem sind die Bestellungen des Medikaments im Apothekengroßhandel sprunghaft angestiegen. Sie vervierfachten sich in der Woche nach Änderung der Vergaberichtlinien und blieben seitdem hoch. »Diese Vereinfachung ist ein wichtiger Schritt und hat bereits zu einem Anstieg der Verordnungen geführt«, sagt Feldt. »Momentan erscheint die Situation entspannt, aber wir müssen im Hinblick auf einen möglichen Anstieg der Fallzahlen mit neuen Varianten wachsam sein und die entsprechenden Werkzeuge vorhalten – inklusive Paxlovid.«

Auf das Medikament allein verlassen sollte man sich lieber nicht, sondern als Angehöriger einer Risikogruppe besser mit den angepassten Impfstoffen vorbeugen. Virologe Friedemann Weber von der Uni Gießen vergleicht es mit einem Feuer. »Es ist immer besser, vorzubeugen, als einen Brand löschen zu müssen«, sagt er. »Denn wenn sich das Virus im Körper ausgebreitet hat, kann es Schäden verursachen – vorteilhaft ist deshalb, man verhindert, dass es überhaupt so weit kommt.« Viele Studien deuten daraufhin – je mehr Virus sich im Körper befindet, desto schwerer der Verlauf. Nach Impfung reagiert das Immunsystem schnell, falls man sich mit Sars-Cov-2 ansteckt. Antikörper und weiße Blutzellen bremsen sofort dessen Ausbreitung. »Ein Medikament dagegen nimmt man meist erst ein, wenn man sich richtig krank fühlt«, sagt Weber. »Dann hat man schon massenhaft Viren im Körper.« Entsprechend hoch muss auch die Dosis von antiviralen Wirkstoffen im Körper sein.

»Es muss der Bevölkerung unbedingt vermittelt werden, dass Paxlovid auf keinen Fall ein Ersatz für die Impfung ist«, schreibt Ulrich Weigeldt, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes in einem Rundbrief. »Die Impfung ist und bleibt unser schärfstes Schwert in dieser Pandemie.«

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