Direkt zum Inhalt

News: Schallschnelle Brüche

Materialien trotzen Kräfte nur bis zu einem gewissen Grad, dann geben sie nach. Doch wie und wann sie das tun, das hängt von ihrer inneren Struktur ab. So zersplittert Glas in Tausend Stücke, während Metall lediglich eine Delle abbekommt. Wissenschaftler konnten nun mit dem schnellsten Supercomputer der Welt einen Blick auf diese Vorgänge werfen.
Bild
Jedes Kind weiß, dass mit Glas und Porzellan achtsam umzugehen ist. Denn ein Fall aus einem halben Meter Höhe verzeihen Gegenstände aus diesen spröden Materialien in den seltensten Fällen. Anders metallene Objekte, sie überstehen oft auch einen Fall aus großer Höhe, verbiegen dabei lediglich oder erhalten eine Delle.

Wenngleich solche Beobachtung alltäglich sind, so ist doch die wissenschaftliche Untersuchung der Vorgänge auf mikroskopischer Ebene durchaus knifflig. Denn Glas splittert in Sekundenbruchteilen, und Metall biegt sich ebenfalls schnell unter einer entsprechenden Kraft, sodass sich derartige Prozesse oftmals der direkten Beobachtung entziehen. Wenn also schon kein direkter Blick auf die mikroskopischen Vorgänge gelingen mag, dann funktioniert es vielleicht mit der Rechenkraft von Computern.

Prinzipiell ist das auch gar nicht schwierig, denn um die Bewegung von Atomen in einem Stück Metall zu beschreiben, reicht eigentlich eine simple Grundgleichung der Mechanik – die Newton'sche Bewegungsgleichung. Damit lässt sich die Bewegung von einem oder zwei Atomen exakt lösen, doch schon bei dreien ist das nicht mehr möglich. Numerische Methoden müssen her, um das Problem anzugehen. Mit so genannten Molekulardynamik-Simulationen gelingt dies: Hier werden für jedes Atom in einem Stück Materie die entsprechende Bewegungsgleichung gelöst – nicht exakt, aber so genau, wie möglich.

Das Ganze erfordert bei vielen Atomen selbstredend einen großen Rechenaufwand und so gelang es in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gerade mal mit einigen hundert Atomen entsprechend zu verfahren. Im Jahr 1984 ließen sich immerhin schon 100 000 Atome beschreiben, und dank neuster Computertechnik und der Möglichkeit, einen derartig hohen Rechenaufwand auf mehrere Prozessoren zu verteilen, lässt sich mittlerweile sogar mit bis zu einer Milliarde Atome rechnen.

So geschehen an dem schnellsten Supercomputer der Welt – dem 12 Teraflop ASCI-White-Rechner am Lawrence Livermore National Laboratory. Auf dieser Maschine ließen Farid Abraham vom IBM Almaden Research Center und seine Kollegen zwei Simulationen an quaderförmigen Proben aus zigmillionen Atomen laufen. Bei der ersten Simulation an 20 Millionen Atomen untersuchten die Forscher, wie sich ein Bruch durch eine sprödes Material fortsetzt [1]. Die zweite Simulation sollte das Phänomen der Verfestigung untersuchen, wie es etwa bei Metallen auftritt, wenn man sie mehrfach biegt und belastet. Beide Simulationen brauchten selbst auf dem Supercomputer noch jeweils zehn Tage ununterbrochene Rechenzeit [2].

Aber der Aufwand hat sich gelohnt, denn mit den Simulationen gelang ein unvergleichlicher Blick in die Materie. So zeigte sich, dass der Bruch des spröden Materials äußerst schnell wanderte. Ausgehend von Einkerbungen an der Seite des Blocks pflanzte er sich durch das ganze Material fort und riss dabei eine chemische Bindung nach der anderen auseinander. Erstaunlich dabei war, dass sich der Riss in steifem Material schneller bewegte als in weichem, flexiblen und sich auf diese Weise teilweise sogar schneller als der Schall ausbreitete. Erst in den letzten Jahren konnte man dergleichen auch in Laborexperimenten beziehungsweise bei starken Erdbebeben beobachten.

Auch in der zweiten Simulation konnten die Wissenschaftler einen wichtigen Materialprozess verfolgen: Denn biegt man ein Metall mehrmals hintereinander, so wird es zunächst hart und setzt einer weiteren Verformung einen größeren Widerstand entgegen. Erst bei weiterem Verformen wird es schließlich spröde und bricht. Offensichtlich stammt das anfangs flexible Verhalten von Baufehlern in der Kristallstruktur. So genannte Versetzungsfehler ermöglichen es, dass Atomebenen gegeneinander verschiebbar sind. Unter Belastung wandern dann diese Versetzungen durch das Material – so ähnlich wie eine Falte im Teppich, die sich mit geringem Kraftaufwand verschieben lässt.

Wird das Material jedoch weiter belastet und gebogen, so können auch neue Versetzungen entstehen. Diese kollidieren miteinander, verhaken sich und bewirken letztlich eine größere Festigkeit des Metalls. Steigt die Belastung jedoch weiter, so kann aus dem anfangs biegsamen Material ein sprödes werden, dass unter weiterer Krafteinwirkung bricht. All das wussten Forscher zwar schon aus anderen Experimenten und theoretischen Betrachtungen, doch hatten sie dank der Simulationen nun auch erstmals die Gelegenheit, diesen Prozess regelrecht zu beobachten.

So kommt dieser und nachfolgenden Arbeiten eine größere Bedeutung zu, wie Abraham erklärt: "Die plötzlichen, unerwarteten Brüche eines Materials können verheerende Konsequenzen nach sich ziehen, wie etwa bei einem Erdbeben oder dem Materialversagen von wichtigen Flugzeugkomponenten. Mit heutigen Supercomputern und unserer Software können wir nun derartige Prozesse viel besser verstehen."

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.