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Selbstmedikation: Schwerster noch flugfähiger Vogel heilt sich selbst

Großtrappen werden oft von Würmern und Parasiten geplagt. Doch sie wissen sich zu helfen: Sie suchen aktiv nach Pflanzen wie Klatschmohn, um Krankheitserreger abzutöten.
Ein Großtrappen-Männchen auf einer Wiese.
Männliche Großtrappen werden bis zu 16 Kilogramm schwer, Weibchen sind nur halb so groß.

Wer einmal eine Großtrappe (Otis tarda) in freier Wildbahn gesehen hat, wird sie wahrscheinlich nicht so schnell vergessen. Die Männchen wiegen bis zu 16 Kilogramm und sind bis zu einen Meter hoch. Damit sind Großtrappen die schwersten flugfähigen Vögel der Welt. Im Frühjahr bieten die Hähne eine besondere Show für die nur halb so großen Hennen: Sie legen ihre Flügel um, blähen ihren Kehlsack auf und verwandeln sich in einen tanzenden weißen Federball – Popcorn auf zwei Beinen.

Doch die Großtrappen können noch viel mehr: Die großen Vögel, die häufig von Parasiten und Würmern im Darm geplagt werden, können sich selbst heilen. Wie eine Studie nun zeigt, suchen sie aktiv nach zwei Pflanzen mit Wirkstoffen, die Krankheitserreger abtöten. Sie betreiben also Selbstmedikation.

»Großtrappen suchen zwei Unkrautarten auf, die auch von Menschen in der traditionellen Medizin verwendet werden«, erklärt Koautorin Azucena Gonzalez-Coloma, Forscherin am Institut für Agrarwissenschaften in Madrid. Das Forschungsteam sammelte 623 Exkremente von weiblichen und männlichen Großtrappen, davon 178 während der Paarungszeit im April. Unter dem Mikroskop zählte es die Menge der erkennbaren Überreste von Stängeln, Blättern und Blüten von 90 Pflanzenarten, die bekanntermaßen auf dem Speiseplan der Trappen stehen. Zwei Arten werden von den Großtrappen häufiger gefressen, als auf Grund ihres Vorkommens zu erwarten wäre: Klatschmohn (Papaver rhoeas) und Wegerichblättriger Natternkopf (Echium plantagineum). Die Tiere wählten die beiden Pflanzen vor allem in der Paarungszeit im April aus, wobei Männchen noch mehr davon aßen als Weibchen. »Theoretisch könnten beide Geschlechter von Großtrappen davon profitieren, wenn sie in der Paarungszeit, in der sexuell übertragbare Krankheiten häufig sind, nach Heilpflanzen suchen«, erklärt Azucena Gonzalez-Coloma. »Männchen verwenden sie zudem, um gesünder, kräftiger und attraktiver für Weibchen zu erscheinen.«

Um zu testen, ob die Pflanzen gegen Krankheitserreger wirken, isolierte die Gruppe wasser- und fettlösliche Verbindungen aus beiden Arten und untersuchte sie per Massenspektrometrie. Die Forscherinnen und Forscher konzentrierten sich dabei auf Lipide, flüchtige ätherische Öle und Alkaloide, die von vielen Pflanzen zur Abwehr von Pflanzenfressern produziert werden. Anschließend testeten sie, ob sie die drei häufigsten Parasiten von Vögeln in Schach halten könnten: das Protozoon Trichomonas gallinae, den parasitären Wurm Meloidogyne javanica und den Pilz Aspergillus niger. Die Ergebnisse zeigen, dass Extrakte aus beiden Pflanzen Protozoen und Nematoden in vitro hochwirksam hemmen und abtöten, während die Natternkopfpflanze auch aktiv gegen Pilze wirkt.

Bereits in einer früheren Studie konnten Forscher zeigen, dass Großtrappen vermehrt Ölkäfer verspeisen, die zu den giftigsten Insekten Europas zählen. Die Käfer produzieren das Toxin Cantharidin, das ebenfalls gegen Parasiten wirkt. Die Großtrappen vertragen sie in kleineren Mengen sehr gut. Womöglich haben die Ölkäfer aber noch einen anderen Effekt: Cantharidin ist auch ein Hauptbestandteil der Spanischen Fliege, eines Potenzmittels, das aus zerriebenen Ölkäfern hergestellt wird.

Großtrappen brüten auf Grasland von Westeuropa und Nordwestafrika bis Zentral- und Ostasien. Etwa 70 Prozent der weltweiten Population leben auf der Iberischen Halbinsel. In Deutschland waren Großtrappen kurz vor der Jahrtausendwende fast ausgestorben und stehen auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Derzeit gibt es wieder rund 300 Vögel.

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