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Suizide: Macht schlechte Luft lebensmüde?

Suizide hängen mit Luftverschmutzung zusammen. Steigt die Belastung durch Feinstaub, Ozon und Stockstoffdioxid, so steigt auch die Zahl der Selbsttötungen.
Halbdurchsichtige Silhouette eines Mannes, der auf einer Bank am See sitzt
In einer schweren Krise erscheint die Welt manchmal grau und hoffnungslos. Schlechte Luft könnte Reaktionen im Gehirn auslösen, die den Blick zusätzlich trüben. (Symbolbild)

Luftverschmutzung verursacht Schäden an der Lunge und den Gefäßen; der Feinstaub schlägt sich sogar direkt im Gehirn nieder. Eine Studie in Kanada fügt den bekannten fatalen Folgen nun eine weitere hinzu: Mit den Luftschadstoffen steige auch die Zahl der Suizide, berichtet ein Team um Hirnforscher Paul Villeneuve in »Environmental Research«.

Die Forschungsgruppe hatte zunächst über eine nationale Datenbank in Kanada ermittelt, wo sich dort zwischen 2002 und 2015 wie viele Menschen das Leben genommen hatten. Insgesamt kamen sie auf mehr als 50 000 Suizide – im Mittel zehn am Tag, mit steigender Tendenz. Dazu ermittelte das Team die nächstgelegene Luftmessstation und notierte die Belastung durch Stickstoffdioxid (NO2), Feinstaub (PM2.5) und Ozon (O3) vor dem Suizid. Die Probanden dienten zugleich als ihre eigene Kontrollgruppe: Die Luftverschmutzung am Tag des Suizids wurde mit der eines gleichen Wochentags im selben Monat verglichen.

Verglichen mit deutschen Grenzwerten waren die Werte niedrig: Die mittlere Konzentration von Stickstoffdioxid lag bei 8,3 und von Ozon bei 23,7 milliardstel Teilen (parts per billion, ppb), und bei Feinstaub waren es 5,5 Mikrogramm pro Kubikmeter. Dennoch genügte die Belastung schon. »Ein kurzfristiger Anstieg von NO2, O3, PM2.5 und der Temperatur ist mit einem erhöhten Risiko für einen Suizid in Kanada verbunden«, fassen die Forschenden zusammen. Am stärksten fiel der Zusammenhang für Ozon aus.

Eine weitere Beobachtung: Die Schadstoffe wirkten sich bei Frauen und in der warmen Jahreszeit von April bis September stärker aus. Letzteres lässt sich mit geöffneten Fenstern und längeren Aufenthalten im Freien erklären. Die Suizide hingen mit der Temperatur sogar enger zusammen als mit Luftschadstoffen. Knapp zehn Grad Celsius mehr innerhalb von drei Tagen bedeuteten rund zehn Prozent mehr Selbsttötungen. Den stärksten Einfluss hatte jedoch die Temperatur am Todestag selbst. Anders bei den Schadstoffen: Mit ihnen hingen die Suizide am stärksten zusammen, wenn ein Durchschnitt über den Tag des Suizids und die zwei vorangehenden Tage berechnet wurde.

Frühere Studien kamen bereits zu ähnlichen Ergebnissen: Eine Metaanalyse fand einen Zusammenhang zwischen Suiziden und der Luftverschmutzung vor allem durch Stickstoffdioxid und Feinstaub. Die genauen Mechanismen seien noch nicht geklärt, schreibt die Gruppe. Wahrscheinlich würden die Suizide durch die Wirkung der Schadstoffe im Gehirn »getriggert«. Es gebe Hinweise darauf, dass PM2.5 entzündliche Reaktionen von Gliazellen und Ozon oxidativen Stress fördern könnte. Auch die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse könnte betroffen sein, was mit Depressionen, aggressivem Verhalten und Suizid in Verbindung gebracht werde. Hohe Temperaturen könnten zusätzlich das Nervensystem beim Regulieren von Emotionen stören.

Wege aus der Not

Denken Sie manchmal daran, sich das Leben zu nehmen? Erscheint Ihnen das Leben sinnlos oder Ihre Situation ausweglos? Haben Sie keine Hoffnung mehr? Dann wenden Sie sich bitte an Anlaufstellen, die Menschen in Krisensituationen helfen können: Hausarzt, niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychiater oder die Notdienste von Kliniken. Kontakte vermittelt der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117.

Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den bundesweit gültigen Nummern 08001110111 und 08001110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de. Kinder und Jugendliche finden auch Hilfe unter der Nummer 08001110333.

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