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News: Uralte Etiketten

Von den weltweit rund 5000 gesprochenen Sprachen haben nur etwa zehn Prozent eine Schrift. Die Magie der Zeichen ermöglicht es, Informationen zu lagern, zu transportieren und zu konservieren - unabhängig von menschlichen Trägern und manchmal über Tausende von Jahren. Bislang nahmen Wissenschaftler an, die ersten Schriften seien in Mesopotamien und dem alten Ägypten entstanden. Ein neuer Fund bringt eine weitere antike Kultur in die Diskussion: Eine Tonscherbe aus dem heutigen Pakistan legt den Schluß nahe, daß die Indus-Zivilisation bereits vor 5500 Jahren über eine Schrift verfügte. Die Symbole könnten angegeben haben, was sich dereinst in dem Gefäß befand.
Allerdings steht noch nicht fest, ob es sich bei den Symbolen wirklich um eine Schrift handelte. Die Zeichen wurden vor und nach dem Brennen in die Topfwand geritzt. Nach Ansicht von Experten könnte damit der Inhalt deklariert worden sein, oder es handelt sich um Gebrauchshinweise bezüglich der Nahrungsmittel im Innern – sozusagen die erste Etikettierung in der Menschheitsgeschichte.

Richard Meadow von der Harvard University, der Leiter des Harappa Archaelogical Research Project, glaubt, die primitiven Gravuren stellten die älteste bekannte Schrift dar. "Es ist noch unsicher, ob wir das, was wir gefunden haben, als echte Schrift bezeichnen können", sagt er. "Aber wir haben Symbole entdeckt, die Ähnlichkeiten mit dem haben, was später die Indus-Schrift wurde."

Die Tonscherben stammen von der Harappa-Ausgrabungsstelle in Pakistan. Vor 4500 Jahren florierte hier die sogenannte Harappa- oder Indus-Kultur. Doch die Region war schon früher besiedelt, seit etwa 3500 v.Chr. (Zeittafel). Erst um 2600 v.Chr. wuchs ein großes Stadtzentrum heran. Die Menschen in dieser Zivilisation kannten keine großen Unterschiede zwischen sozialen Klassen oder die Zurschaustellung von Reichtum durch ihre Führer. Sie lebten friedlich und schufen anstelle monumentaler Bauwerke oder reichbestückter Grabstätten kleinere Kunstwerke aus Stein. Um 1900 v.Chr. verschwanden Harappa und die anderen Stadtzentren der Region, als die Menschen nach Osten zogen, in das heutige Indien und an den Ganges.

Was auf den Scherben geschrieben steht, vermag niemand zu sagen. Die Sprache der Harappa starb aus und lebte in keiner anderen fort. Außerdem gab es keine verwandten Sprachen, und es fehlt ein direkter Vergleich mit einer anderen damaligen Sprache, die bereits entschlüsselt ist. Auf diese Weise gelang zum Beispiel die Entzifferung der Hieroglyphen: Auf dem Stein von Rosette wird derselbe Text in dem bekannten Altgriechisch und der zuvor rätselhaften Hieroglyphenschrift wiedergegeben. Meadow und seine Mitarbeiter hoffen, anhand weiterer Funde zumindest die Entwicklung der Harappan-Symbole verfolgen zu können.

Vor dem Fund der Tonscherben galten Tafeln aus einem Königsgrab in Südägypten als älteste Schriftzeugnisse. Sie wurden auf ein Alter von 5200 bis 5300 Jahren datiert. Damit entstanden sie ein wenig vor den Aufzeichnungen der Sumerer aus Mesopotamien, die um 3100 v.Chr. die Schrift entwickelten. Drei weit voneinander entfernte Regionen, in denen zwischen 3500 und 3100 v.Chr. Menschen auf die Idee kamen, Informationen mit Symbolen festzuhalten – vielleicht war die Zeit damals einfach reif für eine der größten Erfindungen in der Geschiche.

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