Direkt zum Inhalt

Nachsichtigkeit: Verzeihen ist gut für die Psyche

Vergeben und vergessen: Wer anderen begangenes Unrecht auch nachsehen kann, ist zufriedener und psychisch gesünder. Sich intensiv mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen, ist dabei wichtig, sagen Experten.
Freundinnen Arm in Arm

Wenn andere Menschen uns Unrecht getan oder uns verletzt haben, fällt es uns oft schwer, nicht nachtragend zu sein. Doch verzeihen zu können, scheint sich positiv auf die Psyche auszuwirken. Das ergab eine Studie eines Teams um Katelyn Long von der Harvard University.

Die Wissenschaftler nutzten die Daten von 54 703 Krankenschwestern aus einer groß angelegten Längsschnittstudie, der zweiten Nurses' Health Study. Die Probandinnen waren 2008 zu ihrer Gesundheit und zu bestimmten Verhaltensweisen im Alltag befragt worden. Dabei sollten sie unter anderem angeben, wie häufig sie bereits anderen Menschen »aus spiritueller oder religiöser Überzeugung heraus« vergeben haben. Dies verglichen die Forscher mit dem Wohlergehen der Teilnehmerinnen in den Jahren 2013 und 2015.

Ergebnis: Anderen schon öfter verziehen zu haben, ging im Langzeitverlauf mit einer besseren psychischen Gesundheit einher. Wer vergeben konnte, zeigte beispielsweise geringere Symptome von Depression und Ängstlichkeit, fühlte sich öfter glücklich und konsumierte weniger Alkohol.

Bereits frühere Studien deuteten darauf hin, dass Verzeihen mit geringeren psychischen Störungen und einer höheren Lebenszufriedenheit zusammenhängt. Dabei wurden jedoch zumeist die Neigung zur Nachsicht und die psychische Verfassung gleichzeitig erhoben – was die Interpretation erlaubt, seelisch stabileren Menschen fiele es leichter, anderen zu verzeihen. Die Längsschnittstudie legt den Autoren zufolge aber eher nahe, dass sich Vergebung positiv auf die Psyche auswirkt und nicht umgekehrt.

»Allerdings ging es hier nur um religiös oder spirituell motiviertes Verzeihen«, kommentiert der Psychologe Mathias Allemand von der Universität Zürich, der nicht an der Studie beteiligt war. »So bleibt unklar, welche Rolle das Verzeihen an sich spielt und was vielleicht auf die generelle Religiosität oder Spiritualität der Teilnehmenden zurückzuführen ist.«

Die Untersuchung spricht für die Wirksamkeit von therapeutischen Interventionen, bei denen Vergebung oder Versöhnung eine Rolle spielen. Wichtig dabei sei jedoch, Verzeihen stets nur als eine mögliche Strategie im Umgang mit Kränkungen und Verletzungen zu betrachten – und es nicht als Ziel zu definieren, so Allemand. »Verzeihen kann Vorteile haben, aber auch Nachteile. Wenn Menschen glauben, immer alles vergeben zu müssen, etwa aus religiösen Gründen, kann das kontraproduktiv sein und Druck aufbauen. Sich dagegen mit dem Thema auseinanderzusetzen und die verschiedenen Optionen abzuwägen, kann die Selbstreflexion fördern und daher auch bei der Bewältigung von erlebtem Unrecht helfen.«

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.