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Epigenetik: Was die Mutter nicht lernte

... lernt Hans nimmermehr? An Mäusen haben Wissenschaftler beobachtet: Lernt die Mutter, einen genetischen Gedächtnisdefekt zu kompensieren, zeigt auch ihr Nachwuchs keine Schwächen mehr - und zwar von Geburt an.
Labormaus
Viel Raum zum Spielen und Lernen macht auch Mäuse schlauer und stärkt ihr Langzeitgedächtnis – sogar, wenn dieses ausgeschaltet ist. Labormäuse mit einem künstlich herbeigeführten Gendefekt, der sie an der Speicherung neuer Informationen hindert, können dann nämlich auf eine Art Reservesystem umschalten, einen genetisch-regulatorischen Signalweg, der bei gesunden Tieren üblicherweise ein Leben lang stumm bleibt.

"Wir wollten eigentlich herausfinden, wie lange dieser Effekt nach nur 14 Tagen in einem solchen Käfig andauerte", erzählt Larry Feig von der Tufts University School of Medicine. "Aber als er immer länger hielt und unsere Mäuse immer älter wurden, kamen wir auf eine Idee." Würde auch der Nachwuchs vom Training der Mutter profitieren?

Und tatsächlich: Untersuchten sie Kinder der trainierten Mütter, fanden sie dort nicht nur den vererbten Gendefekt, sondern auch ein bereits vorsorglich angeschaltetes Reservesystem. Anscheinend hatten sie irgendwie ebenfalls den Ausweichmechanismus in einem aktivierten Zustand geerbt, denn bei der Jugend machte es keinerlei Unterschied, ob sie in einem reizarmen Standardkäfig saß oder nicht.

Selbst wenn die Mütter erst Monate später schwanger wurden, als sie die anregende Käfigumgebung längst wieder verlassen hatten, oder wenn die Jungen von einer Leihmutter aufgezogen wurden: Beim Nachwuchs derjenigen Mütter, die einst die Ausschaltung ihres Gedächtnisses kompensiert hatten, traten keine Symptome auf – zumindest eine Zeit lang nicht.

Die klassische Vererbungslehre kenne eigentlich eine solche Weitergabe erworbener Eigenschaften nicht, meint Studienleiter Feig. Schließlich würde das voraussetzen, dass die Erfahrungen eines Tiers in jenen Genen abgelegt würden, die es an seine Nachkommen weitergibt. Allerdings: Das An- und Abschalten des Reservesystems geschehe nicht durch Abänderung der Bausteine in der DNA selbst, sondern hänge vielmehr auf noch unbekannte Weise mit dem Ablesemechanismus zusammen.

Könnte es sich bei den Beobachtungen der Wissenschaftler um einen Effekt so genannter epigenetischer Vererbung handeln? Nur wenige vergleichbare Fälle sind dokumentiert. Dort ist es immer die Genregulierung, die an die Folgegeneration weitergegeben wird. "Wir glauben, dass das Ausweichsystem noch während der Embryonalentwicklung direkt in den Gehirn- oder Körperzellen des Nachwuchses aktiviert wird", meint Feig.

Wenn sich nachweisen lasse, dass der Weitergabeeffekt nicht nur im Labor auftritt, sondern auch in der Natur sein Gutes habe, spekuliert Feig, könnte er gleichfalls durch einen evolutionären Prozess entstanden sein. "Dann hätten wir es genauso mit derselben Art 'survival of the fittest' zu tun wie bei der klassischen Vererbung – nur eben diesmal in der Epigenetik."

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  • Quellen
Arai, J. et al.: Transgenerational Rescue of a Genetic Defect in Long-Term Potentiation and Memory Formation by Juvenile Enrichment. In: Journal of Neuroscience 29, S. 1496–1502, 2009.

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