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Organspende: Was Sie über das Transplantationsgesetz wissen sollten

In Deutschland fehlen Spenderorgane. Eine mögliche Lösung war die Widerspruchslösung. Doch der Bundestag hat dagegen gestimmt. Was ist nun die Regel? Mit welchen Folgen? Ein FAQ
Herz-, Leber- und Lungenspenden werden in Deutschland dringend benötigt.

Täglich sterben in Deutschland drei Menschen, weil es an Spenderorganen mangelt. Europaweit gibt es nirgends so wenig Spender wie hier zu Lande: Der Anteil in Deutschland liegt bei nur knapp zehn Spendern pro Million, Spanien hingegen verzeichnete im Jahr 2017 mehr als 40 Spender pro eine Million Einwohner. Damit mehr Menschen Organe spenden, wollte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn das Transplantationsgesetz maßgeblich ändern. Am Donnerstag, 16. Januar 2020, hat der Bundestag aber gegen die Widerspruchslösung gestimmt. In Deutschland bleibt es demnach bei einer Zustimmungspflicht für Organspenden.

Wer hat was gefordert? Wie sollte die doppelte Widerspruchslösung funktionieren? Und welche Organe werden eigentlich gebraucht? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Was galt bislang?

Bisher galt die Entscheidungslösung. Jeder Bürger muss sich aktiv für eine Organspende entscheiden und schriftlich zustimmen. Dafür muss er sich einen Organspendeausweis besorgen, etwa bei der Krankenkasse, und darauf vermerken, ob und welche Organe er zu spenden bereit ist. Diesen Ausweis muss er bei sich tragen, damit sein Wunsch im Fall eines Unfalls klar ist.

Die Entscheidungslösung hat den Vorteil, dass sich jeder auf der Basis neutraler Informationen eine Meinung bilden kann. Doch das Prozedere ist umständlich – und mit ein Grund dafür, weshalb es in Deutschland zu wenig Spender gibt. Schließlich ist bei Menschen, die keinen Organspendeausweis mit sich führen, gar nicht klar: Wollten sie wirklich nicht spenden oder haben sie nur vergessen, sich darum zu kümmern? In Ländern, in denen der Spenderanteil höher ist, gilt oft die Widerspruchslösung.

Mit der Abstimmung vom 16. Januar 2020 bleibt es bei der Zustimmungspflicht. Wie die Partei »Die Grünen« vorgeschlagen hat, sollen die Bürger aber künftig mindestens alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema Organspende angesprochen werden.

Was ist die Widerspruchslösung?

Die Widerspruchslösung funktioniert so: Alle Bürger gelten nach ihrem Tod als Spender. Nur wenn sie einer Organspende zu Lebzeiten aktiv widersprochen haben, dürfen Ärzte die Organe nicht entnehmen. Die Widerspruchsregelung gilt in Spanien, Belgien, Bulgarien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, der Türkei und in Ungarn.

Eine dritte Möglichkeit ist die »erweiterte Zustimmungslösung«. Demnach dürfen Ärzte Organe nur entnehmen, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten zugestimmt hat. Falls die Entscheidung unbekannt ist, entscheiden Angehörige in seinem Namen. Die Zustimmungslösung gilt in Dänemark, Irland, Island, Litauen, Rumänien und in der Schweiz. Die Niederlande wechseln Mitte des Jahres von der Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung.

Was sehen die beiden Gesetzentwürfe vor?

Am Donnerstag stimmt der Bundestag über zwei Gesetzesentwürfe ab. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn möchte in Deutschland die »doppelte Widerspruchslösung« einführen. Das bedeutet, dass Ärzte prinzipiell davon ausgehen, dass ein Verstorbener zu spenden bereit war, sofern er nicht aktiv widersprochen hat. Liegt kein Widerspruch vor, müssen sie die Angehörigen fragen, ob sie den Willen des Verstorbenen kennen. Ist das nicht der Fall, dürfen sie die Organe entnehmen.

In Konkurrenz von Spahns Plan steht ein zweiter Gesetzesentwurf aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen und der Partei Die Linke. Sie fordern die ausdrückliche Zustimmung: Volljährige Bürger, die ihre Organe spenden möchten, sollen sich in einem bundesweiten Onlineregister eintragen. Die Lösung ähnelt der jetzigen Entscheidungslösung, ist allerdings etwas weniger umständlich.

»Ich finde Spahns Idee sehr gut«, sagt Marec von Lehe, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie an den Ruppiner Kliniken im brandenburgischen Neuruppin. »Niemand darf zur Organspende gezwungen werden. Aber kommt die Widerspruchslösung, muss sich jeder Gedanken machen. Das erleichtert die Situation für die Angehörigen, die zurückbleiben, ganz erheblich. Man sollte seine Familie mit der Entscheidung nicht allein lassen.« Wie das für trauernde Angehörige ist, weiß von Lehe aus zahlreichen Gesprächen in diesen Grenzsituationen.

Welche Organe werden gebraucht?

Insgesamt benötigen derzeit rund 9400 Menschen aus Deutschland ein Spenderorgan – sie stehen auf den Wartelisten der europäischen Vermittlungsstelle Eurotransplant. Die meisten von ihnen, mehr als 7000, brauchen eine Niere. Auch Leber-, Herz- und Lungenspenden werden dringend benötigt. Ärzte transplantieren zudem Bauchspeicheldrüse und Dünndarm oder Gewebe wie Augenhornhaut, Herzklappen und Blutgefäße.

Wie viele Verstorbene werden Spender?

Im Jahr 2018 spendeten bundesweit 955 Menschen Organe. Das sind 11,5 Spenden pro eine Million Einwohner. Mehr als 2017 – aber noch viel zu wenige, um den Bedarf zu decken. Zum Vergleich: Im selben Jahr wurden 5000 neue Patienten allein in Deutschland auf die Warteliste für ein Organ gesetzt. 901 von ihnen starben, weil sie keins bekamen. Für 2019 registrierte die Deutsche Stiftung Organtransplantation 932 Spender.

Wichtig zu wissen: Nicht jeder Verstorbene kommt als Spender in Frage. Nur bei einem Hirntod, also einem endgültigen Ausfall des gesamten Gehirns, sind die Organe noch funktionstüchtig, obwohl der Mensch verstorben ist. Steht fest, dass eine Organspende stattfinden soll, kontrollieren Ärzte gründlich, ob ein Hirntod vorliegt, und beatmen den Verstorbenen, damit die kostbaren Organe mit Sauerstoff versorgt sind. Der Mensch ist dann bereits tot.

Was hält Menschen vom Spenden ab?

Alle zwei Jahre befragt die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung Menschen in Deutschland zu ihrer Einstellung gegenüber der Organspende. 84 Prozent der Bevölkerung standen dem Thema 2018 positiv gegenüber. Trotzdem haben sich nur 56 Prozent bewusst für oder gegen eine Spende entschieden. 39 Prozent haben ihre Entscheidung dokumentiert, etwa im Organspendeausweis. Gut jeder Fünfte lehnte eine Organspende rigoros ab. Als häufigsten Grund gegen die Organspende geben Menschen an, dass sie sich als Spender für ungeeignet halten – aus Alters- oder gesundheitlichen Gründen. Das sei oft unberechtigt, sagt Marec von Lehe, Chefarzt der Neurochirurgie an den Ruppiner Kliniken: »Eine Altersgrenze gibt es nicht. Es können sogar Menschen, die älter als 80 Jahre sind, ihre Organe spenden.«

22 Prozent der Gegner haben Angst vor Missbrauch und zu wenig Vertrauen in das Gesundheitssystem – teilweise die Folge verschiedener Organspendeskandale. Religiöse, ethische oder spirituelle Gründe geben 14 Prozent an. Auch Angst vor Entstellung und Unsicherheit bezüglich des Todes bei der Organentnahme halten manche vom Spenden ab. Die Sorge, dass jemandem, der gar nicht tot ist, die Organe entnommen werden, sei unberechtigt, sagt Neurochirurg von Lehe, der in seiner Klinik bis zu 20-mal im Jahr prüft, ob ein Patient oder eine Patientin hirntot ist. »Ich kann versichern, dass das nicht passiert. Wir sind bei der Untersuchung zu zweit und befolgen ein strenges Protokoll, das so eindeutig ist, wie es nur sein kann. Ist etwas unklar, diagnostizieren wir auch keinen Hirntod.«

Welche Rolle spielen Ärzte und Kliniken?

Es liegt auch an den Kliniken und Ärzten, dass in Deutschland zu wenig Organtransplantationen stattfinden – etwa, weil die Spendebereitschaft eines Verstorbenen manchmal nicht gründlich genug überprüft wird. »Vor allem in kleinen Kliniken fehlt oft die Routine«, erklärt der Neurochirurg Marec von Lehe. »Es wäre wichtig, dass sich angehende Ärzte schon im Studium mit dem Thema Organspende befassen müssen und lernen, Patienten als potenzielle Spender zu erkennen.«

Im April vergangenen Jahres ist ein Gesetz in Kraft getreten, das in den Entnahmekliniken bessere Abläufe ermöglichen soll. »Wir geben den Krankenhäusern mehr Zeit und Geld, um geeignete Spender zu finden«, sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. »Damit kann die Zahl der Organspenden weiter steigen.« Die Vergütung will Spahn so weit erhöhen, dass eine Organentnahme für die Kliniken kein Minusgeschäft mehr ist. Im Jahr 2018 gab es in Deutschland 1248 Krankenhäuser, in denen Ärzte Organentnahmen durchführen konnten.

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  • Quellen
https://de.statista.com/infografik/6098/anzahl-der-organspender-in-europa/ https://www.organspende-info.de/gesetzliche-grundlagen/entscheidungsloesung.html https://www.organspende-info.de/gesetzliche-grundlagen/entscheidungsloesung.html https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/organspende/faqs.html https://www.ruppiner-kliniken.de/kliniken/operativer-fachbereich/klinik-fuer-neurochirurgie-und-wirbelsaeulenchirurgie/team.html https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/organspende/faqs.html https://www.organspende-info.de/zahlen-und-fakten/statistiken.html?gclid=CjwKCAiAmNbwBRBOEiwAqcwwpS4wB3HIeT-cWQSLqikGHSPDEPv468HRBp8ufk6N8CWYwDDXxHXcTxoCpb4QAvD_BwE https://www.dso.de https://www.organspende-info.de/fileadmin/Organspende/05_Mediathek/04_Studien/BZgA_Studie_Organspende_2018_Ergebnisbericht.pdf S. 41/42: https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/Organ_und_Gewebespende_2018_Ergebnisbericht.pdf https://www.bundesgesundheitsministerium.de/gzso.html http://www.drze.de/im-blickpunkt/organtransplantation/module/entnahmekrankenhaeuser-und-transplantationszentren

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