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Westantarktis: Oktopus-Gene deuten auf instabilen Eisschild

Einst schwammen Oktopusse quer durch die Antarktis – und sie könnten es wieder tun. Genetische Daten legen nahe, dass das Eis der Westantarktis schon heute instabil sein könnte.
Rieseneisberg in der Antarktis
Der Westantarktische Eisschild ist in einigen Gebieten mehr als drei Kilometer dick. Dass diese gigantischen Eismassen verschwinden könnten, scheint schwer vorstellbar – doch das »ewige Eis« erweist sich als erstaunlich variabel.

In der Westantarktis liegt eine der gefährlichsten Ungewissheiten des sich erwärmenden Klimas. Eine kilometerdicke Kappe aus Gletschereis, derzeit noch eingebettet in einer schüsselförmigen Vertiefung der Erdoberfläche, könnte schon in naher Zukunft kollabieren und den Meeresspiegel um drei bis fünf Meter steigen lassen. Doch ob und wann das passiert, ist umstritten. Genanalysen am Turquet-Oktopus Pareledone turqueti, der rund um die Antarktis lebt, deuten nun darauf hin, dass der Westantarktische Eisschild in der letzten Warmzeit geschmolzen war. Dadurch öffnete sich ein Seeweg quer durch den Kontinent, über den sich die heute weit entfernten Populationen vermischten. Der Befund ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Eismassen schon durch die aktuelle Erwärmung instabil werden könnten.

Ein Team um Sally C. Y. Lau von der australischen James Cook University untersuchte für die Studie Genvarianten von insgesamt 96 Oktopussen aus Gewässern rund um den Kontinent, um die Unterschiede zwischen Populationen zu messen. Wie es nun in einer Vorabveröffentlichung berichtet, treten verschiedene Genvarianten bei Tieren auf gegenüberliegenden Seiten des Kontinents ähnlich häufig auf, in den dazwischenliegenden Küstenabschnitten dagegen seien die Unterschiede größer. Das lasse sich am besten dadurch erklären, dass der kilometerdicke Eisschild in der Eem-Warmzeit vor rund 115 000 Jahren vollständig verschwunden war, schreibt die Arbeitsgruppe. Der Befund deckt sich mit ähnlichen Ergebnissen bei antarktischen Moostierchen. Allerdings ist die Veröffentlichung – und damit die zu Grunde liegende statistische Analyse – bisher noch nicht unabhängig geprüft worden.

Das Gewicht des Eises hat die Oberfläche der Westantarktis tief unter den Meeresspiegel gedrückt. Nach dem Abschmelzen des Eisschilds entstünde deswegen ein durchgehender Seeweg vom Wedellmeer südlich des Atlantik bis zum Ross-Meer südlich von Neuseeland. Diese Passage würde Oktopus-Populationen miteinander in Kontakt bringen, die heute auf entgegengesetzten Seiten der Antarktis leben. Der Turquet-Oktopus ist für diese Art der Analyse besonders geeignet, weil seine Larven am Meeresboden leben, statt größere Strecken zu schwimmen. Deswegen tauschen die Populationen der Tiere nur recht langsam Gene aus und unterscheiden sich rund um den Kontinent merklich.

Dadurch würde eine Verbindung quer durch den Kontinent Spuren in den Genen der Tiere hinterlassen, die sich auch nach hunderttausenden Jahren noch nachweisen lassen. Mit Hilfe einer statistischen Analyse der verschiedenen Genvarianten untersuchte das Team um Lau, wie stark der genetische Austausch zwischen den verschiedenen Populationen ist. Dabei zeigte sich einerseits, dass Genvarianten sich entlang der Küsten verbreiten, wie man erwarten würden. Andererseits jedoch deuten die Daten auf einen zusätzlichen Genfluss zwischen den Oktopussen des Ross- und Wedellmeeres sowie der Amundsensee.

Das sind genau jene drei Populationen, die durch den hypothetischen Seeweg durch die Westantarktis verbunden würden. Demnach brach dieser Genfluss vor rund 70 000 Jahren ab. Das passt zeitlich gut zum Ende der Sauerstoffisotopenstufe 5 vor rund 80 000 Jahren, die mehrere Warmphasen rund um die Eem-Warmzeit einschließt. In dieser Zeit war die Welt mindestens ein Grad wärmer als im vorindustriellen Zeitalter und der Meeresspiegel lag etwa fünf bis neun Meter höher als heute. Die Daten der Arbeitsgruppe deuten darauf hin, dass unter den damaligen Klimabedingungen der Westantarktische Eisschild instabil wurde – das legt nahe, dass das bereits bei der jetzigen Erderwärmung wieder der Fall sein könnte.

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