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Rüstzeug zur Trollabwehr

Die Journalistin Franzi von Kempis macht Vorschläge dazu, wie man auf typisches Gehetze in Foren und sozialen Medien reagieren kann.

Seit »Alternative Fakten« an der Tagesordnung sind, Trollfarmen massenhaft Desinformationen streuen und der Populismus weltweit erstarkt, wächst das Bedürfnis nach Tipps, wie man angemessen darauf reagieren soll. Zahlreiche Bücher sind in den zurückliegenden Jahren dazu erschienen, etwa der sehr bekannt gewordene Leitfaden von Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn »Mit Rechten reden« (2017). Auf dieser Welle schwimmt nun ebenso das kürzlich erschienene Buch von Franzi von Kempis »Anleitung zum Widerspruch«.

Die Autorin, Journalistin in Berlin, die auch im Netz unter dem ironischen Titel »Die besorgte Bürgerin« entsprechende Argumente liefert, stellt in Kapiteln sortiert diverse Antworten an Menschen zusammen, die »den Klimawandel leugnen«, »Antisemitismus verbreiten«, »an Verschwörungstheorien glauben«, »denken, dass der Islam das Abendland zerstöre«, »ein Problem mit Frauen und Gender haben« und »gegen Geflüchtete hetzen«.

Standardisierter Aufbau

Ein vorgeschaltetes Kapitel erläutert, wie man richtig diskutiert, eine konstruktive Haltung dabei einnimmt, mit welchen psychologischen Effekten man rechnen muss und welche rhetorischen Ausweichmanöver einen erwarten. Die thematisch gegliederten Kapitel folgen dem stets gleichen Aufbau: Nach Darlegung der aktuellen, gut recherchierten und wissenschaftlich meist weitgehend unstrittigen Sachlage antwortet die Autorin auf typische populistische Parolen. Dazu gehören etwa »Der Klimawandel ist eine Lüge«, »Man darf Israel ja nicht kritisieren«, »Wir dürfen in muslimischen Ländern auch keine Kirchen bauen« oder »Frauen wollen nicht in Führungspositionen«. Die Beispiele sind gut gewählt und repräsentativ, die Antworten theoretisch hilfreich. Ob und wie man sie tatsächlich nutzen kann, hängt natürlich von der jeweiligen Situation ab.

Mark Twain meinte einst, »wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken – vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir«. Und da liegt der Hase im Pfeffer. Denn man merkt den Argumentationssträngen an, dass die Autorin mitunter selbst selektiert. Ihre Argumente sind zwar stimmig, aber ganz so einfach, wie sie es sich macht, sind manche Einwände nicht von der Hand zu weisen, da auch diese sich mit Fakten begründen lassen. So referiert die Autorin bei Geflüchteten zwar eingehend die rechtliche Lage zu Seerettung und internationalem Völkerrecht, umschifft aber den politischen Konflikt zwischen den Mittelmeer-Anrainern, der in diesem Zusammenhang bedeutsam ist. Mitunter stolpert sie sogar in die eigene Falle: Im ersten Kapitel warnt sie noch vor »Whataboutism«, der Strategie, von unliebsamer Kritik abzulenken, indem man auf vermeintliche oder echte Missstände auf Seiten der Kritiker hinweist – später jedoch argumentiert sie selbst so.

Auch wenn von Kempis die Daten gut recherchiert hat, sind ihr vereinzelte Fehler unterlaufen. So bringt sie im Abschnitt über »Gender Gap« (beobachtbare Unterschiede zwischen den Geschlechtern, etwa hinsichtlich des Arbeitslohns) die Angabe »1,9 Milliarden Beschäftigte aus sämtlichen Berufen und Branchen«, wobei sie sich auf Daten des Statistischen Bundesamtes bezieht – aber so viele Einwohner hat nicht einmal die ganze EU, und die Zahl findet sich auch nicht in der von ihr angegebenen Quelle. An anderer Stelle gibt sie eine Website mit falschem Länderkürzel an, so dass der Verweis ins Leere führt.

Kritisch anzumerken ist außerdem, dass das Werk in der Helvetica gedruckt ist, einer serifenlosen Schrift, die sich für Bücher nicht gut eignet. Da sich der Verlag obendrein zu einer Variante mit sehr feinem Strich und kaum Farbe entschieden hat, fällt der Kontrast schwach aus. Das ist wenig lesefreundlich.

Unterm Strich liefert das Buch dennoch eine Fülle an Informationen, die in schwierigen Diskussionen hilfreich sein können – sei es in den sozialen Medien, bei familiären Diskussionen oder solchen im Freundeskreis. Obwohl bei manchen Details Skepsis angebracht ist, fällt der Gesamteindruck positiv aus.

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