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Fortschrittsoptimismus

Der Hollywood-Blockbuster "Jurassic Park" erweckte Dinosaurier wieder zum Leben, jedenfalls auf der Leinwand. Zu Beginn des Films, und des zu Grunde liegenden Romans, steht die Rekonstruktion einer Saurier-DNA, was ein gigantisches Reproduktionsprogramm anstößt. Doch wäre das auch in Wirklichkeit möglich?

Eine Antwort auf diese und ähnliche Fragen gibt der Konstanzer Physikprofessor Gerd Ganteför in seinem Buch. Darin skizziert er die Grenzen der heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnis und wirft einen Blick über sie hinaus. Auf diese Weise zeichnet er ein spannendes Bild möglicher naturwissenschaftlich-technischer Entwicklungen.

Lahme Raketen

Interstellare Reisen etwa zu einer zweiten Erde erscheinen ihm zwar grundsätzlich machbar, aber nicht mit den heutigen technischen Mitteln. Während klassische Raketenantriebe für Flüge zum Mond oder Mars ausreichen, sind sie aufgrund des hohen Treibstoffbedarfs und der niedrigen Geschwindigkeit für größere Entfernungen ungeeignet. Ionentriebwerke, die bereits im Einsatz sind, erlauben zwar wesentlich höhere Geschwindigkeiten, reichen aber für vertretbare Reisezeiten sowohl bemannter als auch unbemannter interstellarer Missionen dennoch nicht aus. Noch leistungsfähigere Fusionstriebwerke hält Ganteför für derzeit nicht umsetzbar. Daher schätzt er die praktischen Möglichkeiten realistisch ein: Interstellare Missionen werden vorerst Sciencefiction bleiben.

Und was ist mit dem "Beamen" einer Raumschiffcrew, wie man es aus den Star-Trek-Filmen kennt? Ganteför weist auf die unvorstellbaren Energiemengen hin, die dabei umgesetzt würden: Für die Dematerialisation eines 70 Kilogramm schweren Menschen müsste ein Energiestrahl von gigantischen 6,3 Exajoule auf die Oberfläche des Zielplaneten gerichtet werden – vergleichbar mit der Freisetzung von 10 Millionen Atombombenexplosionen. Doch der Autor gibt eine Alternative zu bedenken, die dem Beamen sehr nahekommt: das atomgenaue Einscannen des Menschen, seine Übermittlung als Datenpaket an den Zielort und die dortige Zusammensetzung als 3-D-Kopie. Freilich müsste hier eine enorme Informationsmenge verarbeitet und die Stoffwechselprozesse jeder einzelnen Zelle des gescannten Originals in der Kopie fortgeführt werden. Für Ganteför sind es vor allem die Scan-Genauigkeit sowie die zu übertragende Datenmenge, an denen eine technische Umsetzung derzeit scheitert. In einer ferneren Zukunft könnten die Probleme aber gelöst werden, meint er. Auf weitere technische Schwierigkeiten geht er dabei ebenso wenig ein wie auf das Schicksal des kopierten Originals.

Das Rekonstruieren von Dinosauriern hält Ganteför grundsätzlich für möglich – allerdings nicht auf Basis alter DNA wie in "Jurassic Park". Der aktuelle Rekord für die älteste gefundene DNA liege zur Zeit bei nur 700.000 Jahren. Noch wesentlich ältere DNA-Moleküle zu finden, dürfte illusorisch sein. Die Alternative könnte jedoch in Rückzüchtung bestehen, schreibt der Autor. Ungeachtet der Zeit, die das in Anspruch nähme, könne man sich damit den urzeitlichen Organismen zumindest annähern. Immerhin haben Forscher die DNA von Mammuts, die erst vor wenigen tausend Jahren ausgestorben sind, zur Hälfte entschlüsselt. Da sie dem Genom moderner Elefanten sehr ähnlich ist, könnten die zur Rekonstruktion erforderlichen Eizellen heutigen Dickhäutern entnommen werden.

Blick auf die Synthetische Biologie

Selbst die Schaffung künstlichen einzelligen Lebens hält Ganteför künftig für machbar. Er verweist auf die erfolgreiche Synthese des Poliovirus' durch die Synthetische Biologie als einen ersten Schritt, ebenso auf die Einpflanzung synthetischer Gene in eine entkernte, lebende Zelle. Zur Belebung tatsächlich toter Materie verweist er auf mögliche künftige biologische Entwicklungen. Hier darf man allerdings fragen, ob die vom Autor angeführte Komplexität und Fortpflanzungsfähigkeit lebender Organismen tatsächlich die einzigen Eigenschaften sind, die Leben von toter Materie unterscheiden. Die Vorstellung künstlichen Lebens mag faszinierend sein, doch als Leser bleibt man hier etwas ratlos zurück.

Wer Gedankenlesen für ein Hirngespinst hält, wird vom Autor eines Besseren belehrt. Allerdings mit der Einschränkung, dass dieses nicht von Menschen, sondern von Maschinen praktiziert würde. Mit immer genaueren Methoden ließen sich per EEG Hirnströme messen. Wisse man, wofür bestimmte Aktivitäten in bestimmten Hirnarealen stehen, könne man Gedanken beziehungsweise Vorstellungen zur Steuerung von Prothesen oder des eigenen Körpers heranziehen: etwa bei einer Querschnittlähmung oder bei amyotropher Lateralsklerose.

Ganteför versteht sein Buch als Plädoyer für die Naturwissenschaften, mit dem er Technikskepsis und Zukunftsangst entgegenwirken möchte. Er gibt seinen Lesern anhand vieler Beispiele einen faszinierenden Einblick, wozu Naturwissenschaft und Technik in Zukunft vielleicht fähig sein könnten. Viele Abbildungen untermauern seine Darstellungen. Stellenweise irritiert allerdings das fast grenzenlose Vertrauen in Natur- und Technikwissenschaft, das in dem Werk zutage tritt. Viele heutige Grenzen des Machbaren reduziert der Autor auf die Frage, wie man technisch mit Komplexitäten umgeht, wie genau man Informationen ermitteln kann und wie mit riesigen Energie- und Datenmengen zu verfahren ist. Wenn er schreibt, dass in Zukunft alle heute bekannten Krankheiten besiegt würden, ist dies schlicht Utopie. Zwar liegt das enorme Innovationspotenzial der Wissenschaft auf der Hand. Es ist jedoch zu einfach, darin ein Allheilmittel heutiger Weltprobleme zu sehen.

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