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»Logik der Angst«: Vom Nazi-Reflex und seinen Folgen

Peter R. Neumann beobachtet ein »Bedürfnis, in jedem Rechtsextremen einen neuen Hitler erkennen zu wollen«. Damit schade der Kampf gegen die extreme Rechte vor allem sich selbst, argumentiert er in seinem lesenswerten Buch.
Menschen bei einer Demonstration

Deutschlandweite Proteste folgten auf die Correctiv-Recherche zu einem Geheimtreffen der Neuen Rechten in Potsdam. Nun gelte es, gegen Faschismus oder Nazis auf die Straße zu gehen, hieß es in vielen Städten. Doch solche Gleichsetzungen von Rechtsextremismus mit Faschismus oder Nazismus seien ein folgenschwerer Fehler, argumentiert der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann in »Logik der Angst«. Sie verhinderten nämlich, dass »neue Spielarten des Rechtsextremismus rechtzeitig erkannt werden und angemessen mit ihnen umgegangen wird«.

Um erfolgreich gegen die extreme Rechte vorgehen zu können, müsse man sie zunächst ideengeschichtlich und in ihrer Vielfalt verstehen, so der Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London. Folglich ist sein Buch eine Kartierung rechter Strömungen; es verschafft einen Überblick über deren einflussreichste Denker und Werke.

Die titelgebende »Logik der Angst« sei dabei der gemeinsame Nenner und Triebkraft des Rechtsextremismus: Seit Beginn der liberalen Moderne gebe es Menschen, die sich davor fürchten, abgehängt zu werden oder ihre Identität zu verlieren – und es gebe jene, die diese Ängste in Hass ummünzen.

Allerdings unterscheiden sich rechte Strömungen in ihrem Umgang mit dieser heraufbeschworenen Bedrohung, schreibt Neumann. Grob lassen sie sich unterteilen in die Fraktionen »Flucht« und »Kampf«, wobei sich auch diese Ideologien wieder auffächern: Die einen fliehen vor dem Siegeszug der liberalen Moderne in völkische Siedlungsprojekte auf dem Land; die anderen flüchten sich in Verschwörungstheorien und gelangen zu der Überzeugung, das Deutsche Reich hätte nie aufgehört zu existieren.

Zu denjenigen, die dem Fortschritt den Kampf angesagt haben, zählt Neumann Rechtsterroristen, Straßenbewegungen wie PEGIDA, rechte Influencer und Parteien wie die AfD. Die Strategie von rechtspopulistischen Parteien beleuchtet er genauer. Seit der Übernahme durch Björn Höcke habe sich die AfD vollends zu einer »Bewegungspartei« gewandelt, deren vorrangige Aufgabe es sei, »Funktionäre mit Einkommen zu versorgen (…) und – vor allem – das (liberal-demokratische) System zu delegitimieren«. Neumann schreibt: »De facto sind die Abgeordneten der AfD deshalb heutzutage wenig mehr als der ›parlamentarische Flügel‹ einer Opposition, die sich vorrangig außerhalb des Parlaments organisiert.« Deshalb seien rechtspopulistische Parteien in der Opposition mindestens genauso mächtig wie in der Regierung.

Auf weniger als 170 Seiten und in leicht verständlicher Sprache klärt Neumann auf über die Geschichte des Rechtsextremismus und seine aktuellen Erscheinungsformen. Bei Handlungsempfehlungen bleibt der Politikwissenschaftler vage: Gemäßigte Rechte sollen sich nicht von populistischen Manövern ablenken lassen; und mehr Verständnis für die Verängstigten brauche es auf Seiten der Linken. Auch ohne eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zu liefern, setzt Neumanns Buch wichtige Impulse für das Vorgehen gegen die extreme Rechte.

Was er dem Leser jedoch schuldig bleibt: den Beleg für seine zentrale These, ebenjener »Logik der Angst«. Er erwähnt keine Untersuchungen, die Konservativen oder »Abgehängten« eine Furcht vor der Zukunft attestieren. Warum widmet er diesem psychologischen Aspekt nicht einige Absätze? Er ist wichtig für seine Theorie, und Forschung zu dem Thema gibt es genug. Möglicherweise sind solche Verkürzungen der Preis, den man als Autor für ein Buch zahlen muss, das bemerkenswert klar geschrieben ist.

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