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Gehirne im Meer der Literatur

Es ist noch gar nicht so lange her, da lag das Buch "Braintertainment 1.0" auf meinem Tisch. Jetzt halte ich den Nachfolger mit einem neuen Wortspiel der beiden Herausgeber Manfred Spitzer und Wulf Bertram in den Händen: "Hirnforschung für Neu(ro)gierige – Braintertainment 2.0". Wieder einmal wollen die beiden Autoren Aufmerksamkeit und Interesse für das Gebiet der Hirnforschung wecken. Und erneut geht es um aktuelle Ergebnisse aus der Hirnforschung – mund- und damit lesergerecht populärwissenschaftlich aufgearbeitet –, welche die beiden Mediziner aus den unterschiedlichsten Bereichen der weltweiten Hirnforschung zusammengetragen haben. Insgesamt kommen 24 Autorinnen und Autoren, neben Neurowissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern auch Wissenschaftsjournalisten und sogar bekannte Satiriker und Kabarettisten (darunter niemand weniger als Eckart von Hirschhausen) zu Wort, deren Arbeiten, Ideen und Gedanken zu unserem Denkorgan hier anschaulich vorgestellt werden.

Eines der Themen ist beispielsweise die Neugier und der damit verbundene Meta-Spaß, wie es die Autoren in ihrem Vorwort ausdrücken. Diese Neugier ist genetisch verankert und besitzt damit eine biologische Grundlage. Was liegt ihr aber zugrunde? Schon diese Frage allein zeigt Neugier, denn mit ihr verhält es sich wie mit dem Denken: Wenn man darüber nachdenkt, hat man schon damit angefangen, und sie ist auf den Inhalt gerichtet und damit nicht statisch, sondern immer in Bewegung. Genau dieser Antrieb ist die Neugier!

Fleißige Leser, die bereits den Vorgänger "Braintertainment" gelesen haben und damit nicht mehr als Anfänger auf dem Gebiet der Hirnforschung gelten, werden von den Autoren als "Braintertainment-Wiederholungstäter" beschrieben – in der Hoffnung, dennoch neugierig genug auf dieses Buch zu sein. Als Neurospezialistin war ich besonders gespannt darauf, ob die Artikel mir wirklich Neues und Interessantes an Themenbereichen eröffnen würden und mein Interesse soweit wecken, dass ich diese weiter verfolgen würde. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis verriet mir aber leider sehr schnell, was ich schon befürchtet hatte: Lediglich 3 der 23 Artikel erregten meine nähere Aufmerksamkeit.

Viele der Themen in diesem Buch beziehen sich auf Bereiche wie beispielsweise Bindung das Gehirn verändert, Spiegelneurone und Mitgefühl, ob Träume ein salonfähiges Forschungsthema sind oder das Hirn in der Psychotherapie. Alle Themen wurden allerdings bereits ausgiebig in der Literatur behandelt und stellen zumindest für mich lediglich eine Wiederholung dar. Doch auch für andere Leser, die Bücher von Spitzer bereits kennen, dürfte das kein Neuland sein.

Die drei Themenbereiche, mit denen ich mich bislang allerdings kaum bis gar nicht auseinandergesetzt hatte, möchte ich im Folgenden kurz anreißen. Im Beitrag von Daniel Schäfer geht es um Gehirne im Meer der Literatur, im zweiten um Neurowissenschaften und Kunstverständnis von Hans-Otto Thomashoff und im dritten schließlich um die Repräsentation des Gehirns im fiktionalen Film von Giovannis Maio. Sie merken also schon, in welche Richtung diese Auswahl geht: in den Bereich der Kultur. Das bedeutet jetzt nicht, dass ich Kulturbanausin bin, sondern eher, dass ich diese Bereiche bis jetzt als weniger interessant empfand. Glücklicherweise bin ich beim Lesen eines Besseren belehrt worden, und die Artikel haben mich neugierig auf mehr gemacht.

Ich habe mich, als Neuling auf diesem Gebiet, gefragt, was Literatur, Kunst oder fiktionale Filme mit dem Gehirn zu tun haben – mir fielen aus dem Stegreif nur Filme wie "Frankenstein" oder "Dr. Jekyll und Mr. Hide" ein. Aber Daniel Schäfer hat sich die Mühe gemacht und in der Literatur geblättert. Das Ergebnis ist bemerkenswert: 2900 digitalisierte Werke von mehr als 500 deutschen Autoren haben schon einmal einen "Hirnbegriff" verwendet. Kurze Hirnzitate wie zum Beispiel "Auf dem Kopfe die Frisur/ Ist sie wohl ganz Unnatur/ Scheint mir doch passabel/ Nicht so miserabel/ Als jetzt im Gehirn der Zopf/ Als jetzt die Frisur im Kopf/ Puder und Pomade/ Im Gehirn! – Gott Gnade" (Justinus Kerner, Der Zopf im Kopf, 1838) ebenso wie literarische Hirnsektionen, der poetischen Pathologie des Gehirns, der Hirntherapie und der Hirngespinste zeugen von einer solch fantasievollen und an manchen Stellen auch unschönen Sprache, dass man sich als Leser häufig fragt, welche Vorstellung diese Schriftsteller und Filmemacher von unserem obersten Stübchen wohl hatten.

Hans-Otto Thomashoff erklärt in seinem Beitrag auf eine sehr ansprechende und lebhafte Art und Weise, was die Neurowissenschaft mit der Kunst zu tun hat. Denn Kunst sei ohne Hirn schließlich nichts, Hirnaktivität allein mache aber noch keine Kunst. Und was macht die Kunst zur Kunst? Die mit Fett und Dreck gefüllte Badewanne von Joseph Beuys als klassisches Beispiel wurde schließlich von einer Putzfrau gesäubert. Einer kleiner Blick in die Filmgeschichte lässt erahnen, wie vielfältig sich dieser Zweig entwickelt hat. Titel wie "Gehirnreflexe" oder "Der Fall Hirn" oder "Donovan's" oder "The Brain that wouldn't die", zeigen, mit welcher Phantasie diese Titel gewählt worden sind. Giovanni Maio beschreibt, welche Experimente in diesen Filmen verwendet worden sind – gruselig erscheinen die Hirnverpflanzungen, die nicht nur zwischen Menschen durchgeführt worden sind, sondern auch zwischen Mensch und Tier.

Es gibt aber natürlich auch sehr schöne Filme rund ums "Hirn". Ganz positiv angetan war ich im letzten Jahr von dem Film "Auf der Suche nach dem Gedächtnis", in dem die Biografie Eric Kandels erzählt und mit seinen wunderbaren Entdeckungen in der Neurowissenschaft kombiniert wird. Darin erzählt Kandel, wie ihn seine Mutter nach der Schule immer gefragt hat, ob er denn heute etwas Schlaues gefragt hätte. Ich kann deshalb auch nur ermuntern zu fragen. Denn nur dann erlebt man, wie sich die Neu(ro)gier steigert.

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