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Maßeinheiten: Messen mit zweierlei Maß

Unzen, Meilen, Fuß und Zoll: Als eines der letzten Länder der Welt halten die USA am angloamerikanischen Maßsystem fest - kaum nachvollziehbar für den Rest der Welt. Aber ist das metrische System wirklich die bessere Wahl? Ein Duell der Maßsysteme.
Maßeinheiten: Messen mit zweierlei Maß

Veröffentlicht am: 15.08.2020

Laufzeit: 0:12:52

Sprache: englisch

Einheitliche Maßsysteme vereinfachen vieles in unserer globalisierten Welt. Angaben in Metern oder Kilogramm erscheinen uns hier zu Lande so selbstverständlich und vertraut, dass der lange Weg zum richtigen Maß leicht in Vergessenheit gerät. Im mittelalterlichen Großbritannien erschien es sinnvoll, Maße anhand von Alltagsgegenständen oder direkt am menschlichen Körper zu definieren – Fuß als die Länge eines Fußes zum Beispiel (etwa 30 Zentimeter). Ein ungefähr passendes Maßband hatte so jeder zur Hand. Das Problem: Wer zwischen den Einheiten umrechnen will, muss nicht nur den passenden Faktor kennen, sondern auch gut im Kopfrechnen sein. Es fehlt der Bezug zum Dezimalsystem – ein Kilometer sind 1000 Meter, aber eine Meile sind eben 5280 Fuß. Ein Umrechnungsfehler ist schnell passiert. Was im Alltag ärgerlich sein mag, verursacht tragische Unfälle, Satellitenversagen und wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe.

Deshalb ist das metrische System tatsächlich die sinnvollere Wahl, finden auch die Macher des Youtube-Kanals »Real Engineering«. Denn dessen Fundament sind Naturkonstanten, während angloamerikanische Maße willkürlich festgeschrieben wurden, und zwar von »Leuten, die ihre Cousins heirateten«. Eindeutiger und plakativer könnte das Fazit zum Duell der Maßsysteme wohl kaum ausfallen. Die Definition der metrischen Einheiten über Naturkonstanten ist aber bei Weitem nicht so alt wie die Einheiten selbst: Erst seit 1983 ist der Meter über die konstante Lichtgeschwindigkeit unveränderlich und höchst präzise definiert – nach zwei Jahrhunderten turbulenter Geschichte: Ursprünglich definierten französische Mathematiker den Meter als zehnmillionsten Teil der Entfernung vom Nordpol zum Äquator. Um einen akkuraten Urmeter als Maß aller Dinge anfertigen zu können, musste zunächst ein ausreichend großes Stück Land auf Meereshöhe per Triangulation vermessen werden – und das zu Zeiten der Französischen Revolution. Obwohl die Landvermesser mehrfach in Gefangenschaft gerieten, wich die Länge des Urmeters nur um einen fünftel Millimeter vom tatsächlichen Wert ab. Beeindruckt waren die Franzosen von »ihrem« Meter trotzdem nicht und hielten lieber an den vertrauten alten Maßen fest. Erst als Napoleon Bonaparte das neue System übergangsweise unter dem Namen des alten einführte und von einem dekadischen Kalender mit Zehn-Tage-Woche Abstand nahm, setzte sich das metrische System schließlich durch. Von anderen Staaten wurde es meist nur mit Widerwillen übernommen, wenn sie einen Krieg verloren hatten.

Die Notwendigkeit zur Vereinheitlichung wird deutlich, wenn man sich das Ausmaß des vorherrschenden Einheiten-Wirrwarrs vor Augen führt: Allein auf dem Gebiet des späteren Deutschen Reichs gab es bis 1870 etwa 300 unterschiedliche Flächenmaße. Später, im Kalten Krieg, galt der Meter unter den Amerikanern als Geheimwaffe der Sowjets. Übernommen haben sie ihn dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – nie. Einen viel versprechenden Versuch gab es in den 1970er Jahren. Damals sagte sogar der US-Wetterdienst die Temperaturen in Fahrenheit und Celsius an. Ohne langfristigen Erfolg. So messen wir Bildschirmdiagonalen bis heute in Zoll. Auch andere kulturell oder fachspezifisch etablierte Maße sind in Europa geblieben: Die Briten trinken weiterhin ihr Pint Bier, Diäten rufen zum Kalorienzählen auf, Brillenträger sind mit der Dioptrie vertraut, und in Schiff- und Luftfahrt sind eigene Einheiten für Flughöhe (Fuß), Entfernungen (Seemeile) und Geschwindigkeiten (Knoten) zugelassen.

Die turbulente Geschichte des metrischen Systems erklärt ein Stück weit, wieso es zunächst auf so großen Widerstand stieß und zum Teil noch stößt. »US-Amerikaner steigen nicht gerne später zu, weil sie dann auf dem Rücksitz mitfahren müssen«, so erklärt sich US-Autor John Bemelmans Marciano das Akzeptanzproblem in seiner Heimat.

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