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Freistetters Formelwelt: Der (mathematische) Geist des Weines

Wein trinken kann man hervorragend, ohne Ahnung von Mathematik zu haben. Um hervorragenden Wein zu produzieren, kommt man aber ohne die ein oder andere Formel nicht aus.
Weinberg

Anfang dieses Jahres bin ich nach 15 Jahren in Jena wieder zurück nach Österreich gezogen. Und damit zurück in eine Landschaft, die mir sehr am Herzen liegt. So schön es auch im thüringischen Saaletal ist: Ich bin in einer Weinbauregion aufgewachsen, und Weingärten waren in Jena leider kaum zu finden.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Im Donautal der Wachau, wo ich meine Kindheit verbracht habe, und ebenso an meinem aktuellen Wohnort Baden bei Wien findet man dagegen überall Weinberge, Weinreben und Weingärten. Dabei trinke ich gar nicht mal so gerne Wein – ich mag einfach die Landschaft, in der er wächst, die damit verbundene Kultur und auch die Wissenschaft.

Denn auch hier gilt: Mit ein wenig Mathematik und Naturwissenschaft wird alles besser. Um guten Wein zu produzieren, benötigt man zum Beispiel diese Formel:

Mit n beschreibt man das so genannte Mostgewicht. Das ist der Anteil der gelösten Stoffe in unvergorenem Traubensaft. Das meiste davon ist Zucker, und je mehr davon da ist, desto mehr Alkohol können die Hefezellen bei der Gärung später daraus produzieren. Es ist also durchaus relevant zu wissen, wie viel Zucker in den Trauben ist, um den optimalen Zeitpunkt für die Weinlese zu bestimmen.

In der Formel oben ergibt sich das Mostgewicht aus der Dichte des Mostes ρM und ρW, der Dichte von Wasser bei 20 Grad Celsius. Die Einheit, in der das Mostgewicht gemessen wird, heißt »Grad Oechsle«, benannt nach Christian Ferdinand Oechsle, der diese Methode im Jahr 1836 erfunden hat.

Der österreichische Sonderweg

Gibt man die Dichte von Wasser und Most in Kilogramm pro Liter an, dann erkennt man aus der Formel direkt, dass die Grad Oechsle nichts anderes sind als ein Ausdruck dafür, wie viel Gramm ein Liter Most mehr wiegt als ein Liter Wasser.

Die Messung des Mostgewichts fand damals noch mit einer ebenfalls von Oechsle entwickelten Mostwaage statt. Die im Prinzip nichts anderes ist als ein Aräometer, also eine Senkspindel, die nach dem archimedischen Prinzip funktioniert: Je geringer die Dichte einer Flüssigkeit, desto weiter taucht ein Körper in sie ein.

Mit so einer Senkspindel wird der Zuckergehalt von Traubenmost in Österreich auch heute noch gemessen. Im Gegensatz zu den vor allem in Deutschland verbreiteten Grad Oechsle verwendet man hier die »Klosterneuburger Zuckergrade«, die mit der »Klosterneuburger Mostwaage« gemessen werden. Eine entsprechende Definition findet sich sogar im österreichischen »Bundesgesetz über den Verkehr mit Wein und Obstwein« – in Paragraph 2, Abschnitt 7 wird erklärt: »1 Grad Klosterneuburger Mostwaage (1° KMW) ist 1:17 des Massengehaltes einer wässrigen Saccharoselösung von 20 %.«

Entsprechende »Grade« gibt es auch für andere Lebensmittel; beim Bier kann man mit »Grad Plato« zum Beispiel den Stammwürzegehalt messen. So wie der Zucker im Wein ist die Würze das, was die Hefe beim Bierbrauen zu Alkohol vergärt. Die Einheit hat übrigens nichts mit dem griechischen Philosophen zu tun, sondern ist nach dem deutschen Chemiker Fritz Plato benannt. Gemessen wird der Stammwürzegehalt normalerweise auch mit einer Senkspindel, so wie beim Wein.

In der Praxis nutzt man zur Bestimmung des Zuckergehalts im Most aber oft auch ein Refraktometer. Dabei wird die Tatsache genutzt, dass ein Lichtstrahl seine Richtung ändert, wenn er von einem Medium in ein anderes Medium mit unterschiedlicher Dichte übergeht. In einem entsprechend kalibrierten Gerät muss man nur ein wenig Traubensaft auf ein Glasprisma träufeln, um direkt das Mostgewicht in Grad Oechsle ablesen zu können.

Nicht nur Mathematik, auch die Optik und das Verhalten von Lichtstrahlen spielt also eine Rolle, wenn man hervorragenden Wein herstellen will. Wein ist demnach quasi Geschmack gewordene Astronomie.

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