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Klimaschutz: Die Welt wird viel schneller heiß

Der Klimawandel wird massiv unterschätzt, insbesondere auf kurze Sicht, argumentieren drei Klimaforscher. Deswegen müssen Prioritäten in der Klimapolitik neu gesetzt werden.
Blick über Split auf die Adria, im Hintergrund dramatische Wolken.

Bereitet euch auf das »neue Unnormale« vor: So kommentierte der kalifornische Gouverneur Jerry Brown im November 2018 die verheerenden Flächenbrände in dem US-Bundestaat. Und er hat Recht. Die jüngste kalifornische Krise folgt auf Jahre voller Rekorddürren und Hitzewellen. Und auch der Rest der Welt hatte 2018 reichlich unter Extremwetter zu leiden. Im Jahr 2017 waren 157 Millionen Menschen mehr Hitzeperioden ausgesetzt als im Jahr 2000, berichtete Ende November 2018 das medizinische Fachjournal »The Lancet«.

Solches Extremwetter wird häufiger. Zu Recht wollen Regierungen wissen, was sie tun sollen. Doch die Klimaforschung ringt um hilfreiche Antworten. Im Oktober 2018 legte der Weltklimarat IPCC einen Bericht vor, laut dem wir die globale Erwärmung bereits bei einer Temperatur von 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau stoppen müssen und in dem steht, was dafür zu tun ist. Der Bericht ist düsterer Lesestoff.

Wenn sich unser Planet um zwei Grad Celsius erwärmt – das ist das erklärte Ziel des Pariser Klima-Abkommens von 2015 –, leiden doppelt so viel Menschen unter Wasserknappheit wie bei 1,5 Grad. Die zusätzliche Erwärmung würde mehr als 1,5 Milliarden Menschen extremen, tödlichen Hitzeperioden aussetzen, hunderte Millionen Menschen ansteckenden Krankheiten wie Malaria und anderen Gefährdungen aussetzen.

Doch der jüngste Klima-Sonderbericht des IPCC unterschlägt eine andere alarmierende Tatsache: Die globale Erwärmung beschleunigt sich. Drei Trends – ansteigende Emissionen, abnehmende Luftverschmutzung und natürliche Klimazyklen – treffen in den kommenden 20 Jahren zusammen und sorgen dafür, dass die Änderung des Klimas schneller und heftiger verläuft als erwartet.

Die nahe Zukunft ist düster

Unserer Ansicht nach werden wir die Marke von 1,5 Grad Celsius bereits 2030 erreichen – und nicht erst 2040, wie es der Weltklimarat in seinem Sonderbericht annimmt. Die Klimamodelle haben sich auf langfristige Trends und Gleichgewichte konzentriert und sich dabei nicht ausreichend um die kurzfristigen Veränderungen gekümmert, die für die Politik am bedeutendsten sind.

Den politischen Entscheidungsgremien bleibt also weniger Zeit als gedacht, um zu reagieren. Regierungen müssen noch dringender in Maßnahmen zum Schutz vor Überflutungen und Flächenbränden investieren sowie in Hilfen bei extremen Hitzewellen insbesondere für ältere und arme Menschen. Wälder und landwirtschaftliche Betriebe müssen widerstandsfähiger gegen Dürreperioden gemacht und Küsten gegen Fluten gesichert werden. Eine schnelle Erwärmung führt zu einem größeren Bedarf an Emissionsregelungen, die zu den schnellstmöglichen Erfolgen beim Klima führen, wie etwa der Kontrolle von Ruß, Methan und Fluorkohlenwasserstoffen. Es mag sogar Gründe für ein solares Geoengineering geben – also die Abkühlung unseres Planeten beispielsweise durch reflektierende Partikel in der Stratosphäre.

Klimaforscherinnen und Klimaforscher müssen der Politik die nötigen Beweise und Prognosen für die kommenden 25 Jahre liefern. Sie müssen die Entscheidungsträger dabei beraten, welche klimarelevanten Substanzen zuerst limitiert werden müssen, um möglichst großen Einfluss auf die Klimaentwicklung zu nehmen. Sie sollten zudem einschätzen, welche politischen Maßnahmen sich in der realen Welt am schnellsten und erfolgreichsten umsetzen lassen – denn »ideale« Maßnahmen sind auf Grund politischer, verwaltungstechnischer und wirtschaftlicher Randbedingungen in der Praxis nicht umsetzbar.

Beschleunigte Erwärmung

Drei Beweisketten deuten auf eine globale Erwärmung, die schneller verläuft als im Sonderbericht des IPCC prognostiziert.

Erstens, die Emissionen von Treibhausgasen steigen weiterhin an. Für das Jahr 2017 wird der industrielle Ausstoß an Kohlendioxid auf 37 Gigatonnen geschätzt. Dieser Wert liegt auf der höchsten Kurve für die Emissionen, die vom IPCC bislang modelliert wurden. Diese schlechte Nachricht bedeutet außerdem, dass es in den kommenden 25 Jahren zu einer Erwärmung um 0,25 bis 0,32 Grad Celsius pro Jahrzehnt kommen wird. Das ist schneller als die 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt, die wir seit den 2000er Jahren sehen und die der IPCC für seinen Bericht verwendet hat.

Eingang zur Klimakonferenz von Paris

Zweitens, die Regierungen verringern die Luftverschmutzung schneller, als es der IPCC und die meisten Klimamodellierer angenommen haben. China beispielsweise hat den Schwefeldioxidausstoß seiner Kraftwerke zwischen 2014 und 2016 um 7 bis 14 Prozent verringert. Die wichtigsten Klimamodelle gingen dagegen von einem Anstieg aus. Eine Verringerung der Luftverschmutzung ist zwar besser für die Ernten und für die Gesundheit. Aber Aerosole, darunter Sulfate, Nitrate und organische Stoffe, reflektieren das Sonnenlicht. Die Abschirmung durch Aerosole hat unseren Planeten möglicherweise global um bis zu 0,7 Grad Celsius abgekühlt.

Drittens, es gibt Anzeichen dafür, dass die Erde in eine natürliche Warmphase übergeht, die mehrere Jahrzehnte dauern könnte. Der Pazifische Ozean scheint sich in Übereinstimmung mit einem langsamen Klimazyklus, der Interdekadischen Pazifischen Oszillation, zu erwärmen. Dieser Zyklus moduliert die Temperaturen über dem äquatorialen Pazifik und Nordamerika. Außerdem scheint sich die Mischung von Tiefenwasser und Oberflächenwasser im Atlantischen Ozean, die atlantische meridionale Umwälzbewegung (AMOC), seit 2004 abzuschwächen, wie die Daten von treibenden Messstationen zeigen, die den tiefen Ozean untersuchen. Ohne diese Durchmischung verbleibt mehr Wärme in der Atmosphäre, anstatt wie in der Vergangenheit in die Tiefe des Ozeans abzusinken.

Mehr noch: Diese drei Effekte verstärken sich gegenseitig. Wir schätzen, dass der Anstieg der Emission von Treibhausgasen sowie die Verringerung der Luftverschmutzung bis 2030 zu einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius führen und die Marke von 2 Grad im Jahr 2045 erreicht wird. Es könnte sogar noch schneller gehen, wenn die Luftverschmutzung noch stärker sinkt. Addieren wir die natürlichen dekadischen Fluktuationen, so erreichen wir mit einer Wahrscheinlichkeit von zehn Prozent eine Erwärmung um 1,5 Grad Celsius bereits im Jahr 2025. Zum Vergleich: Der IPCC gibt für die Überschreitung von 1,5 Grad Celsius Wahrscheinlichkeiten von 17 Prozent für 2030 und von 83 Prozent für 2052 an.

Realistische Ziele

Wissenschaft und politische Gremien müssen ihre Aufgaben, ihre Ziele und ihre Vorgehensweisen an vier Fronten überdenken.

Wissenschaftliche Vorhersagen für die nahe Zukunft einfordern:
Die politischen Entscheidungsträger sollten das IPCC um einen weiteren Sonderbericht bitten, und zwar über das Tempo der Klimaänderung für die kommenden 25 Jahre. Der Weltklimarat sollte dabei nicht nur auf die physikalische Forschung achten, sondern auch das Tempo berücksichtigen, mit dem politische Systeme reagieren können. Es gilt, den Druck von Interessengruppen und Bürokratie zu berücksichtigen, die am Status quo festhalten wollen. Die Fachleute sollten die Klimamodelle so verbessern, dass sie die kommenden 25 Jahre detaillierter beschreiben. Dabei sollten die jüngsten Daten über den Zustand der Ozeane und der Atmosphäre ebenso berücksichtigt werden wie natürliche Klimazyklen. Außerdem sollten sie ihr Augenmerk stärker auf die Wahrscheinlichkeiten und die Folgen extremer Wetterereignisse richten. Es mag schwierig sein, hierfür Indizien zu sammeln, aber die Ergebnisse sind nützlicher, um die realen Gefahren der Klimaentwicklung und möglichen Reaktionen darauf einzuschätzen.

Politische Ziele überdenken:
Grenzen für die globale Erwärmung, wie das Ziel von 1,5 Grad Celsius, sollten als grobes Hilfsmittel für die Planung angesehen werden. Allzu häufig werden sie als physikalische Grenze angesehen, an denen sich die Politik ausrichten muss. Das übermäßige Vertrauen in »Technologien für negative Emissionen«, die Kohlendioxid aufnehmen statt abgeben, im Sonderbericht des IPCC zeigt, dass es umso schwieriger wird, realistische politische Lösungsansätze zu finden, je näher wir der gesetzten Grenze für die Erwärmung kommen. Es ist leicht, sich die Modelle auf Papier zurechtzubiegen – aber viel schwerer, Realpolitik zu betreiben, die funktioniert.

Realistische Ziele sollten sich auch an politischen und sozialen Zielkonflikten und nicht nur an geophysikalischen Parametern orientieren. Sie sollten sich aus einer Analyse der Kosten, der Nutzen und der Machbarkeit ergeben. Diese Zielkonflikte müssen ebenfalls in den Prozess des Pariser Klimaabkommens eingebettet werden. Hier ist eine bessere Überprüfung nötig, wie realistische politische Strategien die Emissionen beeinflussen. Bessere Überprüfungen können das Handeln motivieren – dürften aber politisch umstritten sein: Sie werden aufzeigen, wie groß die Lücke zwischen dem ist, was Länder zur Kontrolle der Emissionen versprechen, und dem, was kollektiv nötig ist, um die Erwärmung zu begrenzen. Informationen über etwaige Zielkonflikte müssen daher von außerhalb der offiziellen zwischenstaatlichen Prozesse kommen – von den nationalen Wissenschaftseinrichtungen, regionalen Verbänden oder Nichtregierungsorganisationen.

Anpassungsstrategien entwickeln:
Die Zeit ist reif für eine schnelle Anpassung. Die politischen Entscheidungsträger benötigen zwei Arten von Informationen von den Wissenschaftlern, um zu handeln. Erstens müssen sie die möglichen lokalen Folgen für Regionen und Städte kennen. Solche Informationen lassen sich teilweise dadurch gewinnen, dass man hoch aufgelöste Klimafolgenabschätzungen mit künstlicher Intelligenz zur Analyse großer Datenmengen über Extremwetterlagen, Gesundheit, Sachschäden und anderen Größen kombiniert. Zweitens müssen die politischen Entscheidungsträger die Unsicherheiten bei der Vorhersage von Folgen der Klimaänderungen und der getroffenen Maßnahmen verstehen. Selbst Regionen wie der US-Bundesstaat Kalifornien, die proaktiv Anpassungsmaßnahmen vorantreiben, fehlen Informationen über die sich ständig ändernden Risiken von Extremwetterlagen, Großbränden und dem steigenden Meeresspiegel. Die Forschung muss alle Arbeitsgebiete und alle Beteiligten zusammenbringen – Stadtplaner, Gesundheitswesen, Landwirtschaft und Ökosystem-Dienstleister. Die Anpassungsstrategien müssen variabel gestaltet sein und die Möglichkeit einschließen, dass sich Folgen anders entwickeln als erwartet. Und ein größerer Teil des Planungsaufwands und der finanziellen Mittel muss in die Untersuchung der schlimmstmöglichen Szenarien fließen.

Optionen für schnelle Reaktionen:
Analysen der Klimaentwicklung müssen schnelle Möglichkeiten untersuchen, wie sich Klimafolgen reduzieren lassen, etwa durch Verringerung der Emissionen von Methan, Ruß und Fluorkohlenwasserstoffen. Pro Tonne haben diese »Super-Schadstoffe« die 25- bis 1000-fache Wirkung von Kohlendioxid. Ihre atmosphärische Lebensdauer ist kurz – im Bereich von Wochen (für Ruß) bis zu Jahrzehnten (für Methan und Fluorkohlenwasserstoffe). Eine Reduzierung dieser Schadstoffe könnte den Trend der globalen Erwärmung in den kommenden 25 Jahren potenziell halbieren.

Riskante Maßnahmen

Und es gibt Fortschritte an dieser Front. Auf dem Klimagipfel im September 2018 in San Francisco stellte die United States Climate Alliance – ein Zusammenschluss von Gouverneuren der Bundesstaaten, die 40 Prozent der Bevölkerung der USA repräsentieren – einen Plan zur Reduzierung der Emissionen von Methan, Fluorkohlenwasserstoffen und Ruß um 40 bis 50 Prozent bis 2030 vor. Die 2016 beschlossenen Kigali-Änderungen zum Montreal-Protokoll, die im Januar 2019 in Kraft getreten sind, fordern eine Reduzierung der Emissionen von Fluorkohlenwasserstoffen um 80 Prozent innerhalb der kommenden 30 Jahre.

Eine Reihe von Optionen für Klima-Engineering sollte als Notfallmaßnahmen auf dem Tisch liegen. Wenn sich die globalen Bedingungen tatsächlich verschlechtern, könnte uns das dazu zwingen, große Mengen an überschüssigem Kohlendioxid direkt aus der Atmosphäre zu entziehen. Eine sogar noch schneller wirkende Notfallaktion wäre die Injektion von Aerosolen in die Atmosphäre, um so die Menge an Sonnenstrahlung zu reduzieren, die die Erde erwärmt.

Diese Option ist extrem umstritten, und eine solche Aktion könnte unerwartete Konsequenzen nach sich ziehen, etwa die Verteilung der Niederschläge so verändern, dass die Tropen austrocknen. Forschung und Planung sind daher entscheidend für den Fall, dass eine Umsetzung dieser Option nötig wird. Wenn wir nicht in entsprechende Versuche und technische Vorbereitungen investieren – und bislang gibt es nahezu keine –, dann sind die Chancen groß, dass unverantwortlich handelnde Akteure die falschen Arten von Klima-Engineering betreiben, weil sie schlecht über den Stand der Forschung informiert sind.

Seit Jahrzehnten haben Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger die Debatte über die Klimapolitik sehr einfach geführt: Die Wissenschaftler haben langfristige Ziele analysiert, und die Politiker haben so getan, als akzeptierten sie diese Ziele. Diese Zeiten sind vorbei. Ernsthafte Klimapolitik muss sich heute auf zeitnahe Ziele und deren Durchführbarkeit konzentrieren. Sie muss die gesamte Bandbreite der Optionen berücksichtigen, selbst jene, die unbequem und mit Risiken behaftet sind.

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