Direkt zum Inhalt

Mäders Moralfragen: Endlich richtig über das Klima reden

Die Bewegung Extinction Rebellion fordert mit zivilem Ungehorsam eine politische Debatte über ernsthaften Klimaschutz ein. Manchen ist das zu vage, andere halten es für eine Zumutung. Dabei ist diese Debatte vor allem eins: überfällig.
Klimaprotest-Plakat auf einer Extinction-Rebellion-Demo

Neben Fridays For Future hat sich eine zweite Bewegung in der Öffentlichkeit Gehör verschafft: Extinction Rebellion kommt als etwas radikalere Version daher, weil sie Straßen und Plätze blockiert; sie grenzt sich jedoch von gewaltbereiten Protestformen ab. Damit scheint sie sich in eine unbequeme Situation manövriert zu haben: Die einen finden, sie provoziere unnötig, den anderen ist sie zu vage. Dabei ist ihr Ziel ehrenwert: Extinction Rebellion möchte eine politische Debatte über ernsthaften Klimaschutz in Gang setzen und erhöht den Druck dafür. Denn die Debatte, die sie anstrebt, gibt es bislang nicht. Das Klimapaket der Bundesregierung mag ein erster Schritt in die richtige Richtung sein, bringt uns aber noch nicht in Sichtweite des Ziels.

Betrachten wir zunächst den Vorwurf der Unbestimmtheit: Das Jugendmagazin »Vice« nennt die drei zentralen Forderungen von Extinction Rebellion »etwas zahnlos«, und »Die Zeit« kritisiert, die Forderungen könnten »unkonkreter kaum sein«. »Die Zeit« sieht darin ein grundsätzliches Problem, schließlich würden sich die Aktivisten ohne ein konkretes Ziel, das alle Mitstreiter unterschreiben, irgendwann zerstreiten: »Einen Kessel zum Kochen zu bringen, nützt wenig, wenn man keine Idee hat, was man mit dem heißen Wasser anfangen soll.«

Wie unkonkret ist das denn?

Zumindest eine der drei zentralen Forderungen von Extinction Rebellion ist jedoch alles andere als vage: »die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen bis 2025 auf netto null zu senken«, außerdem das Artensterben zu stoppen und den ökologischen Raubbau mit allen Mitteln einzudämmen. Ich bin zwar nicht sicher, wie streng die Aktivisten das sehen, denn auf ihrer Website zeigen sie eine Kurve der globalen CO2-Emissionen, die erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gegen null geht. Aber selbst diese Emissionskurve, die den Temperaturanstieg mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit unter zwei Grad halten würde, ist ein ehrgeiziges – und durchaus fassbares – Ziel.

Vielleicht zielen »Vice« und »Die Zeit« mit ihrer Kritik auf die anderen beiden Forderungen: Die Regierungen sollen den Klimanotstand ausrufen und Bürgerversammlungen mit zufällig ausgewählten Volksvertretern einberufen, in denen über die notwendigen Maßnahmen diskutiert und entschieden wird. Das klingt nicht nach Rebellion, sondern fast schon staatstragend. Die Forderungen, merkt »Vice« mit einiger Skepsis an, »hängen allesamt von der Dialogbereitschaft der Politik ab«. Zudem lässt Extinction Rebellion offen, auf welchem Weg das Klima, die Artenvielfalt und die natürlichen Ressourcen geschützt werden sollen, denn das sollen schließlich die Bürger bestimmen. Man kann das als unkonkret bezeichnen, aber auch als demokratisch.

Die hoffen ja auf die Politik!

Die Kommentatoren verkennen das revolutionäre Potenzial der Forderungen: Im Rahmen des demokratischen Prozesses und mit einem gerechten Ausgleich aller Interessen, so die Aktivisten, lässt sich die Klimakrise noch einigermaßen bewältigen – zumindest können wir hoffen, gemeinsam die größten Schäden abzuwenden oder wiedergutzumachen. Ich habe zwar keinen tieferen Einblick in die Strukturen von Extinction Rebellion und weiß nicht, ob sich diese Strategie durchsetzen wird, aber wenn sich die Bewegung daran orientieren sollte, dann fänd ich diesen Ansatz ganz vernünftig. Im Moment sind wir nämlich weit davon entfernt, dass die Bundesregierung alle politischen Hindernisse im Kampf gegen die Klimakrise aus dem Weg räumt. Das fordert jedoch Extinction Rebellion, wenn sie vom Klimanotstand spricht.

Kommen wir zur Kritik von der anderen Seite: Braucht es den zivilen Ungehorsam der Aktivisten, um hier zu Lande eine Debatte über ernsthaften Klimaschutz in Gang zu setzen? Dagegen argumentiert Constantin van Lijnden von der »FAZ«. Im Interview von »Deutschlandfunk Nova« sagt er zu den Forderungen von Extinction Rebellion: »Ich kann nicht erkennen, dass es nicht möglich wäre, dieses Anliegen in einen geordneten politischen Prozess einzubringen.« Er empfiehlt den Aktivisten unter anderem, vorgezogene Neuwahlen für den Bundestag zu fordern. Dann könnten – entsprechende Mehrheiten vorausgesetzt – bald schon die Grünen an die Macht kommen und die Forderungen von Extinction Rebellion erfüllen.

Die wollen nur stören!

Anders bewertet van Lijnden hingegen Fridays For Future, obwohl auch dort ziviler Ungehorsam im Mittelpunkt steht, weil gegen die Schulpflicht verstoßen wird. Diese Bewegung hat so viel erreicht, dass van Lijnden sagt: »Die Kosten-Nutzen-Rechnung geht gerade noch auf.« Auch Extinction Rebellion versucht nach meinem Eindruck, nicht zu übertreiben. Die Aktivisten stören, um Aufmerksamkeit zu erregen, und nehmen Gefängnis in Kauf. Doch was eine Aktivistin meiner Kollegin Daniela Becker über das Aktionstraining von Extinction Rebellion erzählt hat, scheint mehr durch die Sorge um unsere Zukunft motiviert zu sein als durch die Lust an der Provokation: »Ich möchte diesen Weltschmerz, den ich in mir trage, meine Hoffnung, meinen Kampfgeist in dieser Gruppe ausleben«, sagt die Aktivistin im Interview der Rubrik »KlimaSocial«.

Ob der zivile Ungehorsam von Extinction Rebellion so hinnehmbar ist wie der Verstoß gegen die Schulpflicht bei Fridays For Future, hängt davon ab, wie man das Ziel bewertet. Ist es hoch genug, um die Mittel moralisch zu rechtfertigen? Das Ziel lautet, eine demokratische Debatte über einen ernsthaften Klimaschutz in Gang zu setzen. Kommentatoren wie Constantin van Lijnden oder der Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler in der »Welt« sagen dazu sinngemäß: Wir reden längst über ernsthaften Klimaschutz – und selbst, wenn wir es nicht täten, dann könnten wir es in den bewährten demokratischen Strukturen tun. Druck von außerhalb des Systems wird nicht gebraucht.

Wir schützen das Klima doch längst!

Doch aus meiner Sicht verkennen die Kommentatoren den Ernst der Lage: Um unsere nationalen und internationalen Klimaziele einzuhalten, müssen wir viel deutlicher umschwenken, als es die aktuellen Gespräche hoffen lassen. Es wird zwar heute viel intensiver über Klimaschutz geredet als noch vor einem Jahr. Das zeigen zum Beispiel die Sommerinterviews von ARD und ZDF, die das Portal »Einfacher Dienst« ausgewertet hat: Die Umweltthemen nahmen im vergangenen Jahr nur 3 Prozent der Zeit ein, in diesem Sommer waren es 24 Prozent. Aber Glen Peters, ein norwegischer Experte für globale CO2-Emissionen zeigt in einem Schaubild auf Twitter, wie drastisch zum Beispiel die Kohlenutzung verringert werden müsste, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten wollten: Der Kohleverbrauch müsste deutlich schneller fallen, als er in den vergangenen 100 Jahren gestiegen ist – in den meisten Computersimulationen um rund 80 Prozent in einem Jahrzehnt.

Auch wenn das politisch nicht machbar erscheint, sollte es denen zu denken geben, die immer noch finden, man könne alles in Ruhe besprechen. Die Zeit ist wirklich knapp geworden. Oder etwa nicht? Ich habe den Eindruck, dass an diesem Punkt die Meinungen auseinandergehen: Wir sind alle für Klimaschutz, aber wir unterscheiden uns darin, wie dramatisch wir die Lage einschätzen. Die einen hoffen auf politische oder technische Lösungen mit den bewährten Mitteln, und die anderen suchen nach neuen Alternativen, weil die bewährten Verfahren versagt haben. Die neuen Optionen müssen sich nicht radikal von den alten unterscheiden – Extinction Rebellion setzt zum Beispiel weiterhin auf Demokratie und Technik. Doch die Alternativen enthalten neue Elemente wie die Idee von Bürgerversammlungen.

Die Historikerin Naomi Oreskes, die Psychologen Stephan Lewandowsky und Sander van der Linden und einige ihrer Kollegen fordern seit Jahren (zum Beispiel in dieser Studie und in dieser), der Öffentlichkeit zu erklären, dass sich die Klimaforschung in einem einig sei: Der Mensch beschleunigt die Erderwärmung. Solange dieser Konsens nicht im öffentlichen Bewusstsein verankert sei, argumentieren die Forscher, werde der Klimaschutz nicht vorankommen, weil Raum für Zweifel bleibe. Ich befürchte jedoch, dass inzwischen ein anderer Punkt kritischer geworden ist: Der Mensch beschleunigt die Erderwärmung sehr stark. Solange uns die Bedrohung durch die Klimakrise aber keine Angst einflößt, werden wir keine angemessene Antwort darauf finden, weil Raum für die unbegründete Hoffnung bleibt, es werde schon nicht so schlimm kommen.

Die Moral von der Geschichte: Greta Thunberg hat uns zur Panik aufgerufen: Wir müssten handeln, als würde unser Haus brennen. Das ist wissenschaftlich begründet, doch wir nehmen den Rat nur zögerlich an.


Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.