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Lexikon der Biochemie: Riesenchromosomen

Riesenchromosomen, Polytänchromosomen, ein vor allem in Zweiflüglern (Dipteren) vorkommender Chromosomensondertyp. Das R. aus der Speicheldrüse von Drosophila wurde intensiv untersucht. R. sind kabelartige Gebilde, die durch vielfache endomitotische Verdopplung der Chromosomen entstehen, ohne dass sich die Chromatiden voneinander trennen. Jedes diploide Paar kann sich innerhalb des R. bis zu neunmal replizieren, so dass das R. schließlich bis zu 2·29 = 1.024 DNA-Stränge enthalten kann. Jedes der vier R. von Drosophila kann eine Länge von 0,5mm und eine Dicke von 25μm erreichen. Die Aggregatlänge beträgt deshalb ungefähr 2mm. Da das haploide Genom 1,65·28 Basenpaare enthält, liegt das Packungsverhältnis dieses R. bei fast 30. Die superspiralisierten DNA-Moleküle sind in R. viel stärker gestreckt als in anderen Chromosomen und die duplizierten Moleküle liegen genau nebeneinander. Dadurch entsteht ein charakteristisches Querscheibenmuster. In den Querscheiben ist die Masse der DNA (ungefähr 95% der gesamten Chromosomen-DNA) lokalisiert, die durch Anfärben sichtbar gemacht werden kann. Die Zwischenscheiben sind DNA-arm. Das Banden- oder Chromomerenmuster ist für jeden Drosophila-Stamm charakteristisch (Farbtafel).

Die R. erleichtern nicht nur das Studium der Chromosomenmorphologie, sondern erlauben auch den direkten Nachweis der Beteiligung der Chromosomen an der RNA-Synthese. Einzelne Querscheiben (ungefähr 3.000 bezogen auf die Riesenchromosomenlänge) unterliegen einem zeitlich begrenzten Formwandel, sie lockern sich auf, und es entstehen schleifenartige Aufblähungen, die ringwulstartig um die Chromosomenachse herum liegen. Diese Strukturen werden als Puff oder Balbiani-Ringe bezeichnet (Abb.). Die Puffbildung (puffing) ist mit einer stark gesteigerten RNA-Synthese verbunden. Während die DNA in den normalen Querscheiben stark verdrillt und durch spezifische Proteine reprimiert ist, wird die DNA in den Puffs entspiralisiert und dereprimiert; die genetische Information der betreffenden Gene kann transcribiert werden. Die Puffbildung ist reversibel. Anzahl, Zeitpunkt, Dauer und Form der Puffbildung, das Puffmuster, sind zell-, organ- und stadienspezifisch.

Studien an R. tragen wesentlich zum Verständnis der differenziellen Genaktivierung bei.



Riesenchromosom. Ein Puff in einem Riesenchromosom (oben) und ein Diagramm des Verlaufs einzelner Chromatiden im Bereich des Puffs (unten).

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