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Gebrauchte Kunststoffe - Lösungen des Abfallproblems bei der Bayer AG

Eine von den drei größten deutschen Chemie-Unternehmen gegründete Gesellschaft untersucht Möglichkeiten, Altkunststoffe aus Verpackungen, Automobilen sowie Elektro- und Elektronikgeräten wiederzuverwerten. Erste Ergebnisse wurden bereits in die Praxis umgesetzt.

Kunststoffe sind als Bestandteil von Abfällen inzwischen unübersehbar geworden, zumal in den achtziger Jahren versäumt wurde, wirkungsvolle Verwertungskonzepte in den technischen Maßstab umzusetzen. So ist es kein Wunder, daß die Öffentlichkeit die unbestrittenen Vorteile der Kunststoffe heute wie selbstverständlich nutzt, sie als sichtbaren Bestandteil des Mülls dagegen nicht hinnehmen will. Tatsächlich machen Kunststoffe aber lediglich 7 Prozent der jährlich 40 Millionen Tonnen Haus- und Gewerbeabfälle in Deutschland aus.

Hier liegt das eigentliche Problem: In vier bis fünf Jahren ist die Hälfte des in der Bundesrepublik zur Verfügung stehenden Deponieraums erschöpft. Wohin dann mit den Abfällen? So ist denn auch nicht ein Mangel an Ressourcen, sondern der an Entsorgungsmöglichkeiten – wie Deponieraum und Verbrennungsanlagen – der eigentliche Grund für den Ruf nach mehr Recycling.

Um dieser gesellschaftlichen Forderung gerecht zu werden, haben die Firmen BASF, Bayer und Hoechst gemeinsam die Entwicklungsgesellschaft für die Wiederverwertung von Kunststoffen (EWvK) gegründet. In ihr wollen die drei Partner ihr Fachwissen auf diesem Gebiet bündeln und weiterentwickeln. Im Mittelpunkt stehen Projekte zur Wiederverwertung von gebrauchten Kunststoffen als Werkstoff, und zwar speziell in den Bereichen Verpackung, Automobil und Elektrik/Elektronik.

Die Verpackungsverordnung sieht ei-ne Rücknahme der Packmittel vor, die dann außerhalb der öffentlichen Abfall-entsorgung stofflich zu verwerten sind; eine thermische Nutzung – das Verbrennen zur Energiegewinnung – ist als Ver-wertungsmöglichkeit dabei ausdrücklich ausgeschlossen.

Zur Abfallvermeidung im Verpackungsbereich hat Bayer eine Mehrweg-Milchflasche aus Polycarbonat (PC) entwickelt (Bild 1). Ansonsten stellt Bayer keine der überwiegend in diesem Bereich eingesetzten Kunststoffe her und beteiligt sich darum an der Entwicklung entsprechender Verwertungsmöglichkeiten nur indirekt über Arbeiten der EWvK. Erste Ergebnisse solcher Projekte sind Verfahren zur Herstellung von Abwasserrohren, Hülsen, Paletten und Bauelementen aus gebrauchten Kunststoffverpackungen.

Kraftfahrzeug-Komponenten und Elektroabfälle

Da Bayer andererseits technische Thermoplaste, Polyurethane und Elasto-mere produziert, die überwiegend in Kraftfahrzeugen und in der Elektrotechnik eingesetzt werden, engagiert sich das Leverkusener Unternehmen besonders stark in konkreten Vorhaben zu deren Wiederverwertung.

In Zusammenarbeit mit ausgewählten Altauto-Verwertungsbetrieben führen die deutschen Kraftfahrzeugbauer zur Zeit das „Projekt Altautoverwertung der deutschen Automobilindustrie“ durch. Dabei sollen durch planmäßigen Rückbau von Altfahrzeugen Erkenntnisse für demontagefreundliche Neukonstruktionen gewonnen werden (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1991, Seite 31). Gleichzeitig werden Möglichkeiten aufgezeigt, ausgebaute Aggregate direkt wiederzuverwenden oder Kunststoffteile zu recyclieren. Als wesentliche Voraussetzung für die Erkennung und sortenreine Trennung hat sich dabei die Kennzeichnung der Kunststoffe erwiesen. Zusammen mit anderen Kunststoffherstellern unterstützt Bayer diese Aktivitäten durch

– Betreuung der Demontagebetriebe beim Erkennen und Sortieren des Materials,

– Aufarbeitung ausgebauter Kunststoffteile,

– Ermittlung der Resteigenschaften dieser Altkunststoffe,

– Herstellung gütegesicherter Recyclate,

– Rückführung der Recyclate in Sekundäranwendungen und

– recyclinggerechtes Konstruieren.

Seit langem verarbeitet man Weichschaumstoff-Abfälle aus Polyurethan (PUR), die aus Sitzen von Altautos stammen, durch Zerkleinern und anschließendes Verkleben zu Flockenverbunden für Gymnastikmatten oder Teppichunterlagen. Der Markt dafür ist jedoch begrenzt, so daß weitere Verwertungsmöglichkeiten gefunden werden müssen.

Nach einem von Bayer entwickelten Verfahren ist es inzwischen gelungen, aus PUR-Abfällen von Stoßfängerverkleidungen und Seitenschutzteilen ein Granulat zu erzeugen, das sich bei erhöhter Temperatur und Druck zu neuen Formteilen verpressen läßt. Das ebenfalls bei Bayer entwickelte Klebpressen erlaubt auch die stoffliche Verwertung einer Vielzahl von Polyurethantypen. Zum Beispiel kann Granulat aus Dachhimmeln mit einem Bindemittel zu Hutablagen in Neuwagen verpreßt werden. Außerdem bearbeitet Bayer zahlreiche Recyclingprojekte für thermoplastische Autoteile, die zum Teil schon realisiert sind. So bestehen die Längsträger-Abdeckungen im neuen 3er-BMW aus recyclierten Stoßfängern der 5er-Serie. Ebenso ist für den Kühlergrill des VW „Vento“ ein Acrylnitril-Butadien-Styrol (ABS) vorgesehen, das bis zu 30 Prozent Recyclat aus alten „Golf“-Kühlergrills enthält; dabei wird also der Kunststoff unter Erhalt des hohen Eigenschaftsniveaus in seine originäre Anwendung zurückgeführt (Bild 2).

Im Rahmen eines EWvK-Projekts haben Bayer und BASF außerdem die Verwertung gebrauchter Ford-Kühlwasserkästen aus Polyamid 66 untersucht. Dabei ging es vor allem um den Einfluß des Frostschutzmittels (Ethylenglykol) auf die Recyclat-Eigenschaften. Nach den Ergebnissen, zusammen mit der Firma Kühler-Behr erarbeitet, wird sich auch Kunststoff aus dieser Anwendung wieder in Automobilen einsetzen lassen.

In einer gemeinsamen Entwicklung mit Mercedes-Benz hat Bayer ferner ein Recyclingkonzept für einen Bussitz aus glasfaserverstärktem Polyamid 6 entwickelt, bei dem das Recyclat für die Lüf-terzarge einsetzbar ist; eine Rückführung in die Sitzschale wurde aus Sicherheitsgründen bewußt nicht erwogen (Bild 3). Weitere Projekte haben die Verwertung galvanisierter Zierleisten und kaschierter Säulenverkleidungen aus einem PC+ABS-Blend zum Ziel.

Ausführliche Versuche in der Schwelbrennanlage der Siemens-KWU in Ulm-Wiblingen zeigten einen Weg zur Verwertung und Entsorgung von Schredder-Leichtfraktionen. Bei dem zweistufigen Prozeß – zunächst Verschwelung, anschließend Hochtemperaturverbrennung – wird der Abfall auf eine mineralisierte, auslaugresistente Schlacke reduziert, die wahrscheinlich im Bausektor verwertet werden kann. Restmetalle lassen sich abtrennen. Während sich die organischen Inhaltsstoffe bei 1300 Grad Celsius zersetzen, werden die freisetzbaren anorganischen Schadstoffe aufkonzentriert und als Sondermüll entsorgt, um sie dem Ökokreislauf zu entziehen.

Im Elektrosektor ergeben sich Probleme daraus, daß die Kunststoffe mangels Kennzeichnung nur schwer zu bestimmen sind; wenn sie aus alten Geräten oder Importware stammen, können sie außerdem halogenhaltige Flammschutzmittel wie polybromierte Diphenylether (PBDE) enthalten. Zusammen mit dem Institut für Umwelttechnologie und Umweltanalytik (IUTA) in Duisburg hat die EWvK darum Elektronikschrott, der in Essen gesammelt wurde, analysiert und einfache Erkennungsmethoden erprobt. Ziel der laufenden Versuche ist auch, Flammschutzmittel abzutrennen und sie so aus weiteren Stoffkreisläufen auszuschließen.

Die stoffliche Verwertung von Kunststoffteilen aus dem Elektrobereich wird sich aus Gründen der Logistik und der Mengen wohl auf Gehäuseteile konzentrieren. Von den Bayer-Kunststoffen sind hier ABS und PC sowie Blends aus beiden betroffen. Computergehäuse, Telephone, Haushaltsgeräte und Compact Discs sind inzwischen untersucht worden. Die Resteigenschaften der sortenreinen Recyclate erlauben, besonders nach Abmischung mit Neuware, aus alten Gehäusen neuwertige herzustellen. Das Problem der Farbeinstellung konnte dabei – zumindest bei hellen Farbtönen – für bestimmte Computergehäuse gelöst werden.

Bei der Entsorgung von Kühlschränken fällt als Kunststoffkomponente PUR-Hartschaumpulver an. In einem gemeinsamen Projekt treiben EWvK und die Firma Puren Entwicklung und Vermarktung von Bauplatten voran, die unter Zusatz von polymerem Diphenylmethan-diisocyanat, einer Ausgangssubstanz für die PUR-Herstellung, aus Hartschaumpulver gepreßt werden.

Rohstoff-Recycling und Verbrennung mit Energienutzung

Für organische Materialien wie Papier und Kunststoffe kann es kein unbegrenztes Recycling geben, weil mit jedem Verwertungsschritt ein Teil der Materialeigenschaften verlorengeht. Realistisch betrachtet, wird ein Werkstoff-Recycling von Kunststoffabfällen deshalb Verwertungsquoten von 20 Prozent kaum wesentlich überschreiten. Zur Entlastung des knapper werdenden Deponieraums sind somit andere ergänzende Verwertungs- und Entsorgungswege zu beschreiten.

Eine dieser Möglichkeiten ist die chemische Behandlung von Kunststoffabfällen und die Rückführung der dabei erhaltenen monomeren beziehungsweise polymeren Bausteine in den Rohstoffstrom von Raffinerien, Petrochemie und Chemie.

Ein Verfahren zum Rohstoff-Recycling von Polyurethan-Abfällen ist die Glykolyse (thermische Spaltung mit Glykolen, also zweiwertigen Alkoholen). So wird bei Ford durch Glykolyse von Abfällen aus der Autositzproduktion ein Regenerat-Polyol erzeugt, das sich zum Ausschäumen von Hohlräumen verwenden läßt. Nach weiteren Untersuchungen kann man Regenerat-Polyol aus PUR-Abfällen auch bei der Herstellung von Polyurethan-Reaktionsspritzguß-Teilen zusetzen. Schließlich lassen sich Regenerat-Polyole, die durch Glykolyse aus solchen Schaumstoffsitzen erhalten wurden, möglicherweise auch direkt zur Herstellung von Polyurethanen wiederverwenden.

Im Auftrag der EWvK hat die Veba Oel Technologie (VOT) Verfahren zur Hydrierung, Pyrolyse und Vergasung von Kunststoffabfällen bewertet. Danach stellt sich die Hydrierung am günstigsten dar, weil das entstehende synthetische Rohöl von hoher Qualität ist und problemlos im Raffineriebereich eingesetzt werden kann.

Obwohl das Rohstoff-Recycling von Polymeren zur Rückgewinnung der chemischen Grundstoffe für die Zukunft sicherlich eine wichtige Option ist, sind die erforderlichen Verfahren mit Ausnahme der Hydrierung gegenwärtig weder technisch ausgereift noch für die zu verarbeitenden Mengen ausreichend. Daher ist aus heutiger Sicht die thermische Nutzung des Energieinhalts von Kunststoffabfällen ein sinnvoller Weg, zumal Energiebilanzen belegen, daß in einer Müllverbrennungsanlage doppelt soviel nutzbare Energie gewonnen werden kann wie in einer Deponie, wenn man das dort bakteriell gebildete Methan einfängt und als Brennstoff verwertet (Bild 4).

Es ist kaum zu begründen, daß einerseits Erdöl in Kraftwerken, Heizungen und Motoren bei offensichtlicher Akzeptanz der damit verbundenen Umweltbeeinflussung verbrannt wird, andererseits Kunststoffen, die aus dem gleichen Rohstoff hergestellt sind, nach Gebrauch die thermische Verwertung versagt sein soll. Die thermische Behandlung von Kunststoffabfällen mit moderner Technologie ist unbedenklich und bietet eine sichere Möglichkeit, Schadstoffe dem Umweltkreislauf zu entziehen und das Abfallvolumen deutlich zu verringern. Will man also Entsorgungsprobleme wirksam lösen und den zur Neige gehenden Deponieraum schonen, kann man darauf schwerlich verzichten.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1993, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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