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Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Eine deutsche Gelehrtengesellschaft in drei Jahrhunderten


Im März 1993 fand die konstituierende Sitzung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) statt; knapp ein Jahr später folgte eine Festsitzung, auf der die politische Prominenz ihr die "klügsten Köpfe Deutschlands und Europas" als Mitglieder wünschte. Wesentlich bescheidener waren die Ansprüche der übrigen Redner, welche die Höhen und Tiefen in der Entwicklung gerade der deutschen Akademien kannten.

Vorangegangen waren nicht nur Meinungsverschiedenheiten der tragenden Länder Berlin und Brandenburg, sondern vor allem die – im einzelnen höchst problematische – Rückführung der Akademie der Wissenschaften der DDR auf eine Gelehrtengesellschaft mit der Abwicklung ihrer zahlreichen Forschungsinstitute sowie die umstrittene, aber unvermeidliche Auflösung der erst wenige Jahre zuvor gegründeten Akademie der Wissenschaften zu Berlin (West). Strukturen und Aufgaben der neuen Akademie sind inzwischen bekannt; im vergangenen Februar ist ihre Satzung genehmigt worden.

So bietet das vorliegende Buch gerade zur rechten Zeit einen kurzen und straffen Überblick. Conrad Grau, ein hervorragender Kenner der Materie, der sich seit 1967 mit der Geschichte der Akademie beschäftigt, hatte dafür die zahlreichen überlieferten Archivalien und die Ergebnisse der von der Akademie eingerichteten Forschungsstelle zu ihrer Geschichte zur Verfügung.

Wer immer sich des Themas annimmt, muß sich mit der umfangreichen Darstellung der Geschichte der Akademie auseinandersetzen, die der Theologe Adolf von Harnack (1851 bis 1930), Initiator und erster Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, im Auftrag der Königlichen Akademie der Wissenschaften verfaßt und 1900 anläßlich der Zweihundertjahrfeier veröffentlicht hat. So auch Grau, der die Gründungsphase differenzierter sieht als Harnack; dieser hatte absichtlich die Beziehungen des preußischen Herrscherhauses zur Akademie extrem hoch bewertet.

Sehr lesenswert und informativ sind die Exkurse über die Akademiegründungen des 17. Jahrhunderts, über die vier brandenburgischen Landesuniversitäten und vor allem über die Entwicklung des Wissenschaftsstandorts Berlin im 17. und 18. Jahrhundert. So wurde dort die erste Akademie gegründet, die Natur- und Geisteswissenschaften zugleich pflegte. Merkwürdig blaß und schemenhaft werden dagegen die – meist international anerkannten – Naturwissenschaftler gezeichnet, welche die Akademie im 18. Jahrhundert besonders förderten. Übrigens: Der alte Trivialname "Pottasche" für Kaliumcarbonat geht mitnichten auf den verdienstvollen Chemiker der Akademie Johann Heinrich Pott (1692 bis 1777) zurück, sondern bezieht sich auf das Herstellungsverfahren.

Mehrfach weist Grau darauf hin, daß er Verkürzungen seines Textes in Kauf nehmen mußte. So werden sowohl die vielfältigen Satzungs- und Statutenänderungen nur knapp beschrieben – zu Recht, denn ein 1991 erschienener Dokumentenband ergänzt vieles – als auch die wissenschaftlichen Leistungen der Akademiemitglieder nur ansatzweise gewürdigt. Die Auswahl ist repräsentativ und gut; aber der Text wird durch das Bemühen um Kürze etwas schematisch-normiert, ja nivelliert.

Wichtig waren die engen personellen Verbindungen zwischen den wissenschaftlichen Einrichtungen Berlins und der Akademie im 18. Jahrhundert und seit Gründung der Berliner Universität im Jahre 1810 auch zu dieser. Selbst die knappe Darstellung läßt erkennen, daß die Gelehrtensozietät nicht nur eine Versammlung von Honoratioren, sondern auch eine einflußreiche Wissenschaftslobby war.

Ungeachtet der hochinteressanten Entwicklung der Akademie in den ersten zwei Jahrhunderten wird der heutige Leser einen Schwerpunkt in der Behandlung der Jahre zwischen 1900 und 1945 erwarten. Veränderungen in der Forschungslandschaft haben auch die Akademien betroffen; erwähnt sei nur die 1911 gegründete Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die Vorgängerin der Max-Planck-Gesellschaft.

Aufzuarbeiten sind die Auswirkungen politischer Überzeugungen der Wissenschaftler auf ihr Wirken während der Weimarer Republik und erst recht die Entwicklung in den Jahren 1933 bis 1945. Der gebotenen Kürze und dem Mangel an detaillierten Forschungsergebnissen entsprechend bleibt es in Graus Monographie jedoch bei einer allgemeinen, über Bekanntes kaum hinausgehenden Übersicht, die noch viele Fragen offen läßt. Ein eigenes Thema ist die Geschichte der Akademie in der DDR, deren markante Entwicklungsstadien Grau beschreibt.

Obgleich mithin für das 20. Jahrhundert noch etliche Wünsche offen bleiben, bietet das Buch eine nützliche Zusammenfassung einer fast dreihundertjährigen Entwicklung. Ein ausführliches Personenregister und ein detailliertes Inhaltsverzeichnis erleichtern das Nachschlagen einzelner Aspekte. Tieferen Zugang ermöglicht eine – etwas zu enge und willkürlich wirkende – Auswahlbibliographie.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1995, Seite 115
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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