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Serie: Die Botschaft des Genoms (Teil IV): Insulin - Hüter des Zuckerhaushalts

Anlässlich der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts stellen wir zwölf darin codierte Proteine in einer Serie beispielhaft vor.


Von den vielen Erkrankungen, die durch Ausfall eines einzelnen Proteins ausgelöst werden können, ist die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) wohl eine der häufigsten und am besten bekannten. Noch bis vor 80 Jahren war Diabetes unheilbar und verlief allzu oft tödlich, weil man seine Ursache nicht verstand. Dann machten die Kanadier Frederick Banting und Charles Best die mit dem Medizin-Nobelpreis 1923 gewürdigte Entdeckung, dass ein besonders schwierig zu ge-winnender Extrakt bestimmter Zellen der Bauchspeicheldrüse einen Wirkstoff gegen diese Erkrankung enthielt. Damit wurde erstmals ein Protein zum Medikament: das Hormon Insulin. Es erhielt seinen Namen von der Gewebestruktur, in der es produziert wird: den Langerhansschen Inseln.

Wegen dieser frühen Entdeckung, aber auch aus praktischen Gründen wie dem geringen Molekulargewicht wurde Insulin bald zu einem der bestuntersuchten Eiweißstoffe. An ihm bestimmte Frederick Sanger Anfang der fünfziger Jahre erstmals die Aminosäuresequenz eines Proteins. Sie zeigte, dass es aus zwei Ketten (A und B) besteht, die allerdings aus einem einzelnen Genprodukt durch Abtrennen eines Signalabschnitts und Herausschneiden eines weiteren Teils, des C-Peptids, entstehen. Die beiden Ketten werden nur durch zwei chemische Querverbindungen, so genannte Disulfidbrücken, zusammengehalten.

Insulin ist ein Hormon, also ein Signalstoff, der alle Zellen anspricht, die eine geeignete "Antenne", das heißt einen Insulinrezeptor, aufweisen. Es überbringt die Nachricht, dass genügend Kohlenhydrate (Zucker, Stärke und ähnliche Moleküle) vorhanden sind, die aus dem Blutstrom in die Nahrungsspeicher etwa der Leberzellen überführt werden sollten. Die umgekehrte Reaktion, der Abbau von Speicherstoffen zur Freisetzung von Zucker, wird vom Insulin gehemmt.

Ist das Hormon einmal im Umlauf, bleiben ihm nur wenige Minuten, seine Aufgabe zu erfüllen. Da seine Anwesenheit im Blutstrom eine Botschaft darstellt, die nur zu einer bestimmten Zeit gültig ist, muss es schnell wieder abgebaut werden. Dazu genügt es, dass ein spezielles Enzym die beiden Ketten voneinander trennt. Da das herausgeschnittene C-Peptid einen Teil der für die Faltung benötigten Information enthält, können einmal getrennte A- und B-Ketten sich nicht wieder zu aktivem Insulin vereinigen, sondern werden wie andere defekte Proteine in der Leber zerlegt.

Bei Diabetikern unterbleibt die natürliche Insulinausschüttung nach Nahrungsaufnahme entweder völlig (beim Typ-I- oder juvenilen Diabetes) oder ist stark abgeschwächt (beim Typ-II- oder Altersdiabetes). Beim Typ-II-Diabetes ist außerdem die Empfindlichkeit der Insulinrezeptoren beeinträchtigt. Die genauen Ursachen dieser (häufigeren) Art der Zuckerkrankheit sind noch ungeklärt. Der juvenile Diabetes beruht dagegen auf der Vernichtung der Langerhansschen Inseln durch eine Autoimmunreaktion.

Das menschliche Insulin ist dem der anderen Säugetiere sehr ähnlich. Vom Schweine-Insulin unterscheidet es sich zum Beispiel nur in einer einzigen Aminosäure; deshalb kann Insulinmangel meist mit dem Schweinehormon behandelt werden. Um jedoch auch die sehr seltenen Unverträglichkeiten dieses Ersatzstoffs auszuschließen, verwendet man heute meist menschliches Insulin, das in genmanipulierten Bakterien erzeugt wird.

Die richtige Dosierung des Hormons, das durch intravenöse Injektion per Spritze verabreicht werden muss, ist allerdings schwierig. Kleinere Fehler über Jahre können Nebenwirkungen bis hin zur Erblindung haben und größere unmittelbare (lebens)gefährliche Komplikationen hervorrufen. Außerdem ist das Spritzen des Hormons nach jeder Mahlzeit lästig. Deshalb zielen neuere Entwicklungen bei den gentechnisch erzeugten Insulin-Varianten darauf ab, durch Austausch einzelner Aminosäuren den zeitlichen Verlauf der Wirkung zu steuern. So gibt es bereits besonders schnell wirksame Insulin-Analoga, aber auch langsam und langanhaltend wirkende, die entsprechend verzögert abgebaut werden.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2001, Seite 25
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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