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Kleben in innovativen Industriebereichen

Industrielle Klebstoffe werden heute noch vorwiegend in der Holzverarbeitung, im Bauwesen und in der Papierverarbeitung verwendet. Die größten Einsatzmöglichkeiten zeichnen sich aber im Fahrzeugbau, in der Elektronik sowie in der Luft- und Raumfahrttechnik ab.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges begann man weltweit mit dem Bau von Verkehrsflugzeugen. Als Werkstoff für Rumpf und Flügel dominierte damals Holz, das in den folgenden 20 Jahren – teilweise durch kompromißlosen Materialwechsel – von Leichtmetall-Legierungen abgelöst wurde. Typische Beispiele dafür sind einerseits die zunächst ein- und später dreimotorigen Verkehrsflugzeuge von Junkers (F 13 und JU 52), die von Anfang an gänzlich aus Metallen bestanden, und andererseits die Maschinen von Fokker in den Niederlanden, bei denen man das Holz nur stufenweise durch Metalle ersetzte, so daß noch Ende der dreißiger Jahre beispielsweise der gesamte Flügel des viermotorigen Verkehrsflugzeuges XXXVI aus Holz gefertigt war. Die Abkehr von diesem natürlichen Werkstoff fiel nicht zuletzt deshalb schwer, weil für das Verbinden von Holzteilen mit der damaligen Klebtechnik ein erprobtes Standardverfahren existierte.

Bei den meisten der heute im Flugzeugbau verwendeten Aluminiumlegierungen dagegen waren die klassischen Verbindungsverfahren für Metalle nur eingeschränkt anwendbar; die Bauteile lassen sich nicht löten und verlieren beim Schweißen ihre hohe Festigkeit. Man war daher zum Nieten und Schrauben gezwungen und mußte die damit verbundenen Nachteile wie hohe Fertigungskosten, hohes Gewicht, ungleichmäßige Spannungsverteilung, Kerbwirkung, Beeinträchtigung der Aerodynamik und unzureichende Ermüdungsfestigkeit in Kauf nehmen. Da andererseits das Kleben an sich eine vertraute und sichere Technologie war, lag es nahe, sie auch zum Verbinden von Metallen heranzuziehen. Allerdings waren dafür besondere Klebstoffe und eine spezielle Vorbehandlung der Aluminiumoberflächen erforderlich. Von den damals verfügbaren Klebstoffen erwiesen sich glücklicherweise warmhärtende Phenolharze als geeignet. Damit gelang es immerhin bereits 1941 nach ersten Versuchen in England, Aluminiumteile mit der nötigen Festigkeit zu verbinden. So konnte man nicht nur die Fertigungskosten senken, sondern auch die Ermüdungsbeständigkeit der Konstruktionen steigern, die Aerodynamik verbessern und – insbesondere durch Leichtkernbauweise – erheblich an Gewicht einsparen. Fast alle diese Vorteile gelten noch heute; lediglich bei den Fertigungskosten ist die inzwischen hochautomatisierte Niettechnik derzeit günstiger als das manuelle Metallkleben.

Kleben von Aluminium

Schon früh erkannte man, daß eine gute Adhäsion zwischen Phenolharz und Aluminiumoberfläche erreicht werden konnte, wenn man das Metall vorher in alkalischen oder organischen Lösungen entfettete und anschließend in Chromschwefelsäure bei Temperaturen zwischen 50 und 60 Grad Celsius beizte. Schaltete man das Aluminium gleichzeitig als Anode (positiven Pol) in einer Elektrolysezelle, so ließen sich relativ dünne und duktile (plastisch verformbare) Oxidschichten auf seiner Oberfläche erzeugen, die seine Korrosionsbeständigkeit erhöhten und die Festigkeit und Beständigkeit der späteren Klebung steigerten.

Die Erfahrungen waren – insbesondere hinsichtlich der Langzeitbeständigkeit – so gut, daß nahezu die gesamte europäische Luftfahrtindustrie das Chromschwefelsäure-Anodisieren bis heute fast unverändert beibehalten hat.

Die warmhärtenden Phenolharz- Klebstoffe sind chemisch verhältnismäßig einfache Polymersysteme. Sie bestehen im ungehärteten Zustand aus Resolen (mittellangen Ketten aus Kohlen-stoffringen, an denen Hydroxylgruppen hängen), denen man hochmolekulares Polyvinylformal (ein Thermoplast) beimischt. Bei Temperaturen oberhalb von 170 Grad Celsius setzt eine Polykondensationsreaktion zwischen den beiden Komponenten ein, durch die sie sich unter Abspaltung von Wassermolekülen miteinander verbinden, und der Klebstoff härtet aus. Die Wasserabspaltung bringt allerdings einige Nachteile mit sich. Um Porenbildung durch den entstehenden Wasserdampf zu vermeiden, muß man die Fügeteile aufeinanderpressen, also unter Druck aushärten, was fertigungstechnisch sehr aufwendig ist. Außerdem nimmt die Festigkeit vieler Aluminiumlegierungen durch die Wärme ab. Schließlich sind die Phenolharz-Klebstoffe im ausgehärteten Zustand verhältnismäßig spröde, so daß beispielsweise besondere Beanspruchungen in Blechkonstruktionen durch zusätzliche mechanische Befestigungen abgefangen werden müssen.

Diese Probleme spornten zur Suche nach anderen Klebstoffen an, die keinen so hohen Anpreßdruck erfordern, bereits bei Temperaturen von etwa 120 Grad Celsius aushärten und Schälbeanspruchungen besser widerstehen. Die Ende der fünfziger Jahre entwickelten Epoxidharze hatten solche Eigenschaften. Durch veränderte Plastifizierungskomponenten und Trägermaterialien konnte Ende der sechziger Jahre die Festigkeit dieser Klebstoffe unter statischer und dynamischer Last über die von Phenolharzen gesteigert werden. Nun ließen sich großflächige Klebungen unter relativ geringen Anpreßdrücken (etwa 1 bar) vergleichsweise problemloser vornehmen, da die Härtung durch Polyaddition abläuft und damit kein Wasser als Nebenprodukt entsteht (Bild 1).

Allerdings waren Umwelteinflüsse – insbesondere eindiffundierendes Wasser – noch ein Problem: Feuchtigkeit schwächt in diesen Aluminiumklebungen vor allem die Adhäsion, wobei man seinerzeit zwischen den unterschiedlichen Mechanismen im Grenzschichtbereich nur wenig differenzierte und generell von Adhäsionsbrüchen sprach. Eher empirisch entwickelte man daher Primersysteme als Haftvermittler, die in sehr dünnen Schichten aufgetragen werden und deren Deformationseigenschaften auf das Gesamtverhalten sonst keinen entscheidenden Einfluß haben.

Kleben von Stahlblech

Nicht nur das Aluminium ist für die Klebtechnik interessant. Eine der größten Herausforderungen ist der teilweise oder vollständige Ersatz des Schweißens durch Kleben im Blechbau unter Großserienbedingungen. Der dafür wirtschaftlich bedeutendste Industriezweig ist der Kraftfahrzeugbau, speziell der Karosseriebau. Hier sind die Forderungen an die strukturelle Klebtechnik besonders deswegen extrem, weil spezielle Vorbehandlungen der Bleche bei der Montage von Großserien nicht praktikabel und die Teile während des Fertigungsprozesses zudem noch mit Korrosionsschutzölen überzogen sind, die erst vor der Endveredelung entfernt werden können.

Weiterentwicklung und Kalkulierbarkeit der Klebtechnik sowie ihre Integration in die Fertigung auch und gerade für kleine und mittelständische Unternehmen waren darum die Ziele von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, die zusammen mit der klebstoffherstellenden und -verarbeitenden Industrie sowie mit Forschungsinstituten durchgeführt wurden.

Aus verschiedenen Stahlblechen wurden als typische Baugruppen jeweils ein Längsträger für einen Personenwagen aus unverzinktem und verzinktem Stahl sowie eine Aggregatelagerung unter Großserienbedingungen geklebt und erprobt. Die Liste der Anforderungen war vielfältig. Die Klebstoffe mußten arbeitsmedizinisch unbedenklich, ölverträglich, im ungehärteten Zustand ablauffest und automatisch verarbeitbar sein. Sie durften bei einer Tauchbehandlung nicht ausgewaschen werden. Sie mußten Strukturklebungen mit definierten Eigenschaften erlauben, die unter Betriebsbeanspruchung über eine Zeitspanne von 15 Jahren gewährleistet bleiben, und die Möglichkeit bieten, zusammen mit der Lackierung ausgehärtet zu werden. Die Klebung hatte dafür Temperaturen von 170 bis 230 Grad Celsius 30 Minuten lang (die Bedingungen bei der Lackhärtung) zu überstehen. Der Klebstoff in der Klebfuge mußte ferner für das Punktschweißen durchschweißbar sein. All diese Forderungen konnten erfüllt werden. Bei Crash-Versuchen mit Doppelhutprofilen schnitten die geklebten und punktschweißgeklebten Profile besser ab als die nur punktgeschweißten (Bild 2).

Die Klebtechnik ermöglicht optimierte Konstruktionen mit verbesserten Fahr-eigenschaften, geringerem Gewicht und reduzierter Korrosionsanfälligkeit. Deshalb wird sie heute verstärkt auch im Automobilbau eingesetzt. Dabei dürfte die Kombination von Kleben und Punktschweißen nicht auf den Karosseriebau beschränkt bleiben.

Kleben von optischen Gläsern

Das Kleben von Glas ist schon seit längerem eine eingeführte Technologie. Als typische Beispiele seien mit Reflektoren verklebte Streuglasscheiben in Kraftfahrzeug-Scheinwerfern, Isolierglasscheiben und Metallbeschläge an Glas genannt.

In all diesen Fällen fällt beim Versagen der Klebstelle nicht gleich das Gesamtsystem aus. Dagegen sind rein strukturelle Klebungen von Gläsern bis heute problematisch, weil der Zustand der Glasoberfläche stark von der Glasqualität und den Umgebungsbedingungen wie etwa Feuchtigkeit abhängt. Demzufolge sind die Eigenschaften von Glasklebungen für hohe Anforderungen bisher noch nicht in allen Fällen zufriedenstellend.

Unabdingbar für hohe Produktqualität ist das Verkleben von Glas mit anderen Werkstoffen wie Kunststoffen oder Metallen in der optischen Industrie. Hochpräzise spannungsfreie Optiken wären beispielsweise ohne Einkleben von Linsen und Prismen in ihre Halterungen nur mit hohem Aufwand zu realisieren. Hier sind bei der Auswahl des Klebstoffs nicht nur wirtschaftliche Aspekte entscheidend, sondern auch Faktoren wie der Schwund des Klebstoffs, die Zentriergenauigkeit oder das Auftreten von Spannungen bei Temperaturänderung zu berücksichtigen.

Umfangreiche Untersuchungen erbrachten dazu interessante Ergebnisse. Demnach sind zum Verkleben von Glas in der Optik Polyurethan-, Epoxid- und Polysulfidsysteme grundsätzlich geeignet. Außerdem konnten spezielle Klebstoffe entwickelt werden, deren Schwund beim Aushärten vernachlässigbar ist. Das Kleben in diesem Bereich ist ein besonders charakteristisches Beispiel für die hohe Wertschöpfung dieser Technologie. Die hohe Produktveredlung bei der Präzisionsoptik wurde mit extrem geringem Klebstoffverbrauch erreicht.

Kleben in der Mikroelektronik

In der Mikroelektronik werden die Bauteile und ihre Anschlüsse immer kleiner, während die Anschlußdichte beständig zunimmt. Dadurch stößt die herkömmliche Löttechnik an ihre Grenzen. Außerdem werden zunehmend Materialien wie Kunststoffe, Metalle, Keramiken und Gläser eingesetzt, die aufgrund ihrer spezifischen technologischen Eigenschaften häufig nur durch Kleben so verbunden werden können, daß die Funktion des Gesamtsystems gewahrt bleibt. Als Beispiele seien temperaturempfindliche Bauteile oder Komponenten mit extrem unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten genannt, bei denen elastische Klebstoffe thermische Spannungen ausgleichen.

Auch hinsichtlich des Umweltschutzes ist das Kleben dem Löten vorzuziehen; denn dabei muß weder mit dem problematischen Schwermetall Blei gearbeitet noch mit die stratosphärische Ozonschicht zerstörenden halogenierten Kohlenwasserstoffen (FCKWs) nachgereinigt werden, um Reste des in den Loten noch enthaltenen Flußmittels zu entfernen.

Als Klebstoffe dienen in der Mikroelektronik überwiegend Epoxidharze, licht- oder feuchtigkeitshärtende Systeme und Polyurethane. Eine Besonderheit mikroelektronischer Bauteile ist, daß die Verbindungen in vielen Fällen strom- oder wärmeleitend sein müssen (Bild 3). Dies läßt sich erreichen, indem man den Klebstoff mit feinsten Metallpartikeln (gewöhnlich Silber) füllt.

Geklebt wird auch bei faser- und integriert-optischen Sensoren. Dabei verwendet man für die Kopplung von Glasfasern mit integriert-optischen Komponenten bislang hauptsächlich Acrylat-Klebsysteme. Neueren Untersuchungen zufolge sind ultraviolett-härtende Einkomponenten-Epoxidharze diesen allerdings überlegen. Die besondere Anforderung besteht hier darin, daß der Klebstoff nicht nur transparent sein, sondern auch einen auf die Glasfaser abgestimmten Brechungsindex haben muß.

Flexibel integrierte Systeme

Wie erwähnt, ist die Voraussetzung für eine breite industrielle Anwendung der Klebtechnik die Möglichkeit, sie in die automatische Großserienfertigung zu integrieren. Eine der Schwierigkeiten dabei ist die Variantenvielfalt der Bauteile. Inzwischen bereitet die Abstimmung von Bauteilkonstruktionen und Fügeverfahren allerdings kaum noch Probleme. Dagegen sind die fertigungstechnischen Belange hinsichtlich Produktivität und Flexibilität noch optimierbar. Das gilt sowohl für die Technologie des Klebprozesses selbst als auch für die organisatorische Steuerung der Abläufe. Wesentliche Schwerpunkte der gegenwärtigen Forschung sind deshalb

– die Suche nach neuen automatisierungsfähigen Klebstoffen und Primern,

– die Entwicklung besserer automatisierungsfähiger Verfahren zum Auftragen des Klebstoffs,

– die Entwicklung geeigneter automatischer Prüfverfahren für Fügeteiloberflächen und Überwachungsverfahren für den Aushärteprozeß,

– die Konzeption eines rechner-integrierten Werkstatt-Steuerungssystems für die klebtechnische Fertigung sowie

– die Entwicklung von Software-Systemen zur Planung und Steuerung der klebtechnischen Fertigung.

Die bisherigen Untersuchungen haben bereits ergeben, daß sich die Klebtechnik im Rahmen eines automatischen Fertigungssystems mit integrierter Qualitätssicherung selbst für strukturelle Großbauteile im Prinzip einsetzen läßt. Jetzt geht es in erster Linie darum, die Ergebnisse auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen umzusetzen. Erfolgreich kann dieser Technologie-Transfer nur durch gezielte Information der betreffenden Unternehmen, welche die Innovationsbereitschaft weckt, und durch Schulung von Mitarbeitern sein (siehe den Beitrag auf Seite 98).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1993, Seite 89
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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