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Viren. Krankheitserreger und Trojanisches Pferd.

Springer, Heidelberg 1996.
328 Seiten, DM 36,-.

Die jährliche Grippe, die immer wieder auftretenden Ebola-Virus-Erkrankungen in Afrika, seit langem schon AIDS und neuerdings BSE sind häufige Themen nicht nur medizinischer Zeitschriften, sondern auch der allgemeinen Presse. Der Laie wird so vielfach mit Problemen und Fachausdrücken der Virologie und im Zusammenhang damit der Molekularbiologie konfrontiert, hat-te aber bislang wenig Gelegenheit, sich kundig zu machen. Walter Doerfler, Professor für molekulare Virologie und Genetik in Köln, versucht nun, die Lücke zwischen spezieller Fachliteratur und häufig unkompetenten Beschreibungen zu schließen.

Der Untertitel läßt ein populäres, einfach zu verstehendes Buch erwarten. Aufbau und Tenor entsprechen allerdings dem eines Lehrbuches. Doerfler beginnt mit der Definition der Viren als "Genpaketen". Er geht auf den Ablauf von Virusinfektionen sowie auf virusbedingte Tumorentstehung ein und gibt nähere Beschreibungen einiger wichtiger Virusfamilien. Ein kurzes Kapitel befaßt sich mit Viren als Vektoren in der Gentherapie.

Sehr ausführlich bringt der Autor dem Leser die relevanten Grundlagen von Molekularbiologie und Genetik nahe. Die wesentlichen Prozesse von Transkription und Translation werden ebenfalls eingehend behandelt.

Viren sind Zellparasiten. Soweit es für das Verständnis ihrer Vermehrung erforderlich ist, geht Doerfler deshalb auch auf Struktur und Funktion der Zelle ein. Je nach Art des viralen Erbgutes (RNA oder DNA, einzelsträngig oder doppelsträngig) verläuft die Replikation auf unterschiedliche Weise. Diese Variation ist eine wichtige Überlebensstrategie.

Entsprechend der Vielfalt der molekularen Strukturen gibt es verschiedene Typen der Virusinfektion: Während bei der lytischen oder produktiven die Zelle neue infektiöse Viruspartikel produziert, bis sie zerstört ist, werden bei einer latenten oder persistierenden Infektion die Viren von der Wirtszelle beziehungsweise dem Organismus toleriert. Nur gelegentlich kommt es zu ihrer Vermehrung und zu klinischen Symptomen. Die Erreger der Bläschenkrankheit Herpes simplex und das Virus Varicella zoster, das sowohl Windpocken als auch Gürtelrose verursacht, sind typische Beispiele.

Onkogene Viren (Tumorviren) wirken noch indirekter. Sie spielen bei der Entstehung von Tumoren eine Helferrolle und können eine Erkrankung nur im Verein mit anderen Faktoren auslösen.

Es gibt bisher nur sehr wenige Möglichkeiten, Viruserkrankungen zu behandeln; zu eng ist die Replikation der Erreger mit dem normalen Stoffwechsel der Wirtszelle verknüpft. Und längst nicht allen läßt sich durch Immunisierung vorbeugen. Eindrucksvoll schildert Doerfler die erste Schutzimpfung gegen Pocken 1796 durch den englischen Landarzt Edward Jenner (1749 bis 1823).

Auch der einigermaßen sachkundige Laie, für den dieses Buch in erster Linie gedacht ist, wird die elf Kapitel nur verstehen, wenn er sie der Reihe nach liest. Naturwissenschaftlich Vorgebildete finden einen fundierten Einstieg in die Grundlagen der Virologie und in die Arbeitstechniken des Faches, Studierende der Biologie und Medizin immerhin einen groben Überblick.

Im allgemeinen ist der Text leicht verständlich, was anderen Autoren beim Thema Molekularbiologie nicht immer gelingt. Gelegentliche anekdotische oder historische Einsprengsel ermuntern zum Weiterlesen. Das ausführliche Glossar am Ende des Buches ist hilfreich.

Nahezu alle Abbildungen stammen aus älteren (zum Teil sehr alten) Lehrbüchern. Dabei hätte es zahlreiche Anlässe gegeben, Sachverhalte durch einfache Zeichnungen oder Diagramme zu veranschaulichen. Sollte hier der Verlag an der falschen Stelle gespart haben?

Fazit: Das Buch erfordert sehr gute naturwissenschaftliche Vorkenntnisse; aber dem, der sie hat, kann man in deutscher Sprache zum Thema kein besseres empfehlen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1997, Seite 124
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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