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Hochwasserschutz: Vorhersage der Hochwasserentwicklung


Drohen Flüsse über die Ufer zu treten, lassen sich oft vorsorglich mobile Wände aufstellen und Dämme erhöhen (Bild 1). Selbst wenn eine Überschwemmung unvermeidlich ist, können Katastrophenschutz und Anwohner noch manchen Schaden abwenden, indem Gebäude mit Sandsäcken geschützt, Keller, Wohnungen und Parkplätze geräumt sowie umweltgefährdende Stoffe gesichert werden. Eine Voraussetzung für den Erfolg solcher Vorsorgemaßnahmen ist freilich, daß entsprechende Warnungen rechtzeitig eintreffen.

So müssen zum Schutze der Kölner Altstadt teilweise ab einem Pegelstand von 7,65 Metern Wände mit einer Gesamtlänge von 1225 Metern errichtet werden; das dauert immerhin 14 Stunden. Künftig soll die Gesamtlänge sogar fünf Kilometer betragen; die Vorlaufzeit verlängert sich dann auf mindestens zwei Tage. Um Kosten zu vermeiden und das Vertrauen in Hochwasservorhersagen zu stärken, sollten diese möglichst verläßlich sein.

In Deutschland berechnen derzeit 13 Vorhersagezentren bei Wasser- und Schiffahrtsverwaltungen, Landesämtern und Verbänden im Akutfall die zu erwartenden Wasserstände. Drohen die je nach den örtlichen Gegebenheiten kritischen Werte überschritten zu werden, informieren diese Zentren umgehend die zuständigen Kommunen, Landratsämter, Regierungspräsidien und Umweltministerien der Länder.

Vor allem für große Flüsse, an deren Oberlauf zahlreiche Meßstellen, sogenannte Pegel, eingerichtet sind, kann man auf Erfahrungen oder einfache Berechnungen zurückgreifen. Letztere basieren auf statistischen Verfahren, die das bekannte Abflußverhalten des jeweiligen Flusses nutzen. Aufgrund von Beobachtungen früherer Hochwasser, anhand gemessener mittlerer Fließzeiten sowie unter Berücksichtigung von Zuflüssen beziehungsweise Rückhaltemaßnahmen wird dann die Wasserstandsentwicklung flußabwärts von Pegel zu Pegel vorausgesagt. Weil keine größeren Rechnersysteme und umfangreichen Meßnetze erforderlich sind, nutzt man diese einfacheren Methoden vor allem bei geringen finanziellen oder technischen Mitteln.

Sogenannte Flußgebietsmodelle ermöglichen die Entwicklung eines Hochwassers im Flußeinzugsgebiet wesentlich genauer, verläßlicher und früher abzuschätzen. Ihnen liegt folgende Kontinuitätsannahme zugrunde: Alle während einer bestimmten Zeit einem Gewässerabschnitt zuströmenden Wassermengen müssen von dort auch wieder abfließen.

Die Ergebnisse mathematischer Modellierung entsprechen der Wirklichkeit um so besser, je mehr Meßwerte verwendet werden. Pegelnetze an Haupt- und Nebenflüssen erfassen aber nicht alle der oft zeitabhängigen Teilprozesse der Hochwassergenese. Deshalb wurden Verfahren entwickelt, die beispielsweise auch Daten über Niederschläge oder Schneeschmelzen nutzen. Ein getreues Abbild der Wirklichkeit können freilich auch sie nicht liefern, und die Vereinfachungen sind für den jeweiligen mathematischen Ansatz charakteristisch. In der Praxis haben sich zudem solche Modelle durchgesetzt, die nur Meßwerte verwenden, die per Datenfernübertragung schnell verfügbar sind.


Das Pegelnetz

Eine effektive Hochwasservorhersage erfordert ein gut ausgebautes Pegelnetz und eine schnelle Bereitstellung der Meßdaten. Die Geräte ermitteln die Wasserstände automatisch und speichern sie digital auf einem Prozeßrechner vor Ort. Vielfach kann man sie per Sprachausgabe, also telephonisch abrufen, muß sie dann aber von Hand in den Computer der Vorhersagestelle eingeben. Zunehmend werden die Stationen deshalb zur Datenfernübertragung ausgerüstet.

Aus den Meßwerten läßt sich dann anhand einer Abflußkurve die einen Gewässerquerschnitt durchströmende Wassermenge berechnen. Diese Kurve ist sehr aufwendig zu erstellen: Fließgeschwindigkeit und die Geometrie des Gewässers am Pegel müssen dazu bei verschiedenen, oftmals gefährlich hohen Wasserständen aufgenommen werden. Zudem darf sich der Querschnitt des Flusses oder Baches dort nicht durch Geschiebe, Sohleabtragung oder weiträumiges Ausufern ändern. Deshalb ist die Anlage eines Pegels aufwendig und kann einige hunderttausend Mark kosten.

Leider stehen den deutschen Vorhersagezentren derzeit nur die Niederschlagsdaten der 200 hauptamtlichen Stationen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) online zur Verfügung – zu wenig, um das gesamte Bundesgebiet zu repräsentieren. In einem gemeinsamen Pilotprojekt haben der DWD und die Karlsruher Landesanstalt für Umweltschutz 1996 in Baden-Württemberg ein neues flächendeckendes Niederschlagsmeßnetz mit 117 Meßstellen eingerichtet. Sie sind mit kontinuierlich digital aufzuzeichnenden Geräten, Datenfernabruf und automatischer Alarmmeldung bei Überschreiten programmierbarer Maximalwerte ausgerüstet. Mit den 50 Stationen des Luftmeßnetzes der Gesellschaft für Umweltmessungen und -erhebungen (UMEG), an denen auch automatisch die Niederschläge gemessen werden, stehen in diesem Bundesland seitdem Niederschlagsdaten von insgesamt 167 Meßstellen online zur Verfügung. Im Laufe der nächsten Jahre will der DWD gemeinsam mit den übrigen Ländern ein entsprechendes bundesweites Meßnetz einrichten.

Punktuell bestimmte Regenmengen spiegeln aber nicht unbedingt ihre flächenhafte Verteilung wieder. Abhilfe bietet das Wetterradar mit einem Meßradius von etwa 100 Kilometern. Je nach Intensität des Regens wird dessen Signal unterschiedlich stark reflektiert, und man erhält durch Auswerten der Laufzeitunterschiede die qualitative Niederschlagsverteilung (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1995, Seite 16), die sich anhand der lokalen Meßwerte in eine quantitative umrechnen läßt. Wissenschaftler entwickeln derzeit im Auftrag des DWD und der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser Software, um diesen Prozeß in Echtzeit nachzuvollziehen. In etwa zwei Jahren soll es möglich sein, im Bedarfsfall aktuelle flächenhafte Niederschlagsverteilungen für die Hochwassersimulation zu berechnen.


Sonstige Meßdaten

Die Genauigkeit der Simulationen läßt sich durch Einbeziehen weiterer Parameter verbessern, sofern deren aktuelle Werte kurzfristig zur Verfügung stehen. Beispielsweise geht stärkeren Hochwassern im Winter oft eine Kälteperiode voraus, in der sich eine je nach Höhenlage größere Schneedecke gebildet hat. Deren Abschmelzen setzt dann gewaltige Wassermengen frei, welche die Auswirkungen gleichzeitiger ergiebiger Regenfälle drastisch erhöhen. Jedoch erfordern entsprechende Schneeschmelzmodelle ein aufwendiges Meßnetz, das sehr unterschiedliche Parameter wie Schneehöhe und -temperatur, Wassergehalt, Sonneneinstrahlung, Lufttemperatur und Windgeschwindigkeit bestimmt.

Derart umfassende Vorhersagen sozusagen in Echtzeit zu erstellen, erfordert einen hohen technischen und finanziellen Aufwand. Nur wenige zentrale Einrichtungen in den USA, Japan, Schweiz, Italien, China und in einzelnen deutschen Bundesländern sind dazu in der Lage; die Resultate werden beispielsweise über Videotext, Internet und Faxabruf verbreitet.

So berechnet unsere Zentrale in Karlsruhe im Akutfall stündlich künftige Wasserstände für rund 30 Pegel an Rhein, Neckar, Donau, Main und an deren wichtigsten Nebenflüssen mit unterschiedlichen Modellen; im selben Zeittakt rufen unsere Systeme per Datenfernübertragung von etwa 140 Pegeln die Wasserstände und von den genannten 167 Meßstationen die Niederschlagswerte ab. Bei sehr starkem Regen erfolgt eine Warnung im Vorfeld.

In unsere mathematischen Modelle werden zudem automatisch folgende Daten einbezogen:

– vom DWD berechnete, innerhalb der nächsten 48 Stunden zu erwartende Niederschläge, zweimal pro Tag auf den neuesten Stand gebracht;

– die Daten von 80 Schneemeßstationen im Neckareinzugsgebiet und daraus abgeleitete Prognosen für die Wasserabgabe durch Schneeschmelze;

– Vorhersagen für den Pegel Rheinfelden, erstellt in der Schweiz;

– Radarbilder der Stationen Feldberg und Frankfurt und bald auch von Türkheim auf der Schwäbischen Alb;

– Meteosat-Daten zur Prüfung der terrestrisch gemessenen Niederschlagswerte auf Plausibilität und zur Interpolation auf die Fläche;

– Angaben zum Betrieb von Rückhaltevorrichtungen am Oberrhein.

Die Komplexität der Entstehung von Hochwasser setzt der zuverlässigen und langfristigen Vorhersage aber nach wie vor Grenzen. So lassen sich Niederschläge, die bei Gewittern mit starkem Wind einhergehen, noch nicht gut modellieren. Auch die sich oft sehr schnell bildenden Abflüsse in kleinen Einzugsgebieten entziehen sich den vorgestellten Methoden. Behörden und Anwohner sind in solchen Regionen nach wie vor vor allem auf ihre Erfahrungen angewiesen, um rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen zu treffen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1998, Seite 81
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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