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Wenn Materie Quantenwellen schlägt

Durch Bose-Einstein-Kondensation gehen die Atome eines Gases in einen makroskopisch geordneten Quantenzustand über. Ihre weit reichende "Gleichschaltung" konnte jetzt erstmals detailliert beobachtet werden.


Mit der Verwirklichung der Bose-Einstein-Kondensation in Atomgasen vor fünf Jahren ging ein jahrzehntelanger Traum der Physik in Erfüllung. Gleichzeitig eröffnete sich ein perspektivenreiches neues Forschungsgebiet (Spektrum der Wissenschaft 5/98, S. 44). Zum ersten Mal ließen sich an einem makroskopischen Bose-Gasbläschen bei ultratiefen Temperaturen fundamentale Konzepte der Quantenmechanik überprüfen. Kürzlich konnten wir nun zeigen, dass die wellenartigen Eigenschaften der Materie zu verblüffenden Effekten führen, wie sie von Licht bekannt sind, das an Spalten gebeugt wird.

Normalerweise bewegen sich die Atome von Gasen, abgesehen von Kollisionen, völlig unabhängig voneinander. Doch in Bose-Einstein-Kondensaten vereinigen sie sich zu makroskopischen "Bläschen", die sich wie ein einheitliches, zusammenhängendes Gebilde verhalten. Das ermöglicht es, Quantenobjekte, die sonst zu klein für eine direkte Beobachtung sind, im Größenmaßstab unserer Alltagswelt zu untersuchen.

Zudem zeigt die Materie in diesem Aggregatzustand besonders ausgeprägte Welleneigenschaften: Eine große Anzahl von mehreren Millionen Atomen lässt sich durch eine einzige quantenmechanische Wellenfunktion beschreiben. Nun ist eine Welle – abgesehen von ihrer Wellenlänge und Amplitude, also dem Abstand und der Höhe der Berge und Täler – durch ihre Phase definiert; darunter versteht man die relative Position eines Wellenzugs zu einem festen Referenzpunkt. Kennt man die Phase der Wellenfunktion an einem Ort, ist auch die Phasenlage an einem anderen Ort exakt bestimmt.

Weitreichende Beziehung

Das Besondere an einem Bose-Einstein-Kondensat ist nun, dass diese feste Phasenbeziehung im Prinzip über beliebig weite Abstände im Kondensat gilt. Man spricht darum von einer langreichweitigen Phasenkohärenz oder einer langreichweitigen Ordnung des Quantensystems. Ganz anders verhält es sich bei einem normalen Gas. Dort hat jedes Atom seine eigene Wellenfunktion, und die feste Phasenbeziehung gilt nur für den kleinen Raumbereich in seiner unmittelbaren Umgebung; für große Abstände sind die Phasen des Materiefeldes gänzlich unabhängig voneinander.

Bildlich gesprochen, bewegen sich die Atome in einem Bose-Einstein-Kondensat alle im "Gleichschritt", während sie in einem normalen Gas ungeordnet umherschwirren. Wie bereits vor fünf Jahrzehnten erkannt wurde, bildet diese außergewöhnliche Phasenkohärenz die Grundlage von Phänomenen wie der Supraleitung, also dem widerstandslosen Stromfluss, oder der Suprafluidität, der Bewegung einer Flüssigkeit ohne innere Reibung. Unserem Forscherteam ist es jetzt gelungen, die dramatischen Veränderungen eines Gases aus Rubidium-Atomen beim Phasenübergang zum Bose-Einstein-Kondensat anhand der plötzlich auftretenden Kohärenz zu beobachten.

Unsere Methode lässt sich an einem Standard-Experiment der Optik illustrieren. Dabei wird ein Doppelspalt von einem Lichtfeld beleuchtet (siehe Kasten auf Seite 23). Erstreckt sich dessen räumliche Phasenkohärenz über die beiden Spalte, lässt sich dahinter ein Interferenzmuster aus hellen und dunklen Streifen beobachten. Ist sie dagegen kleiner als der Spaltabstand, verschwindet das Interferenzmuster vollständig: Die Helligkeitsverteilung hinter dem Doppelspalt ist einfach die Summe der Helligkeiten der einzelnen Spalte.

Variiert man die Spaltabstände, kann man somit aus dem Kontrast des Interferenzmusters exakt bestimmen, wie gut die räumliche Kohärenz des Lichtfeldes für die entsprechende Distanz ist. Dabei bedeutet ein hundertprozentiger Kontrast des Musters, dass die Phase des Lichtfelds in einem Spalt diejenige im anderen exakt festlegt. Verschwindet das Interferenzmuster, sind die Phasen an den Spalten dagegen völlig unabhängig voneinander.

Löcher in der Falle

In unserem Experiment hielten wir ein Gas aus Rubidium-Atomen in einer magnetischen Falle gefangen und kühlten es bis auf ein millionstel Kelvin ab. Mit Radiowellen erzeugten wir zwei Öffnungen in der Falle, von denen Materiewellen ausgingen und sich überlagerten. Die Ausgangsorte der Materiewellen entsprachen dabei den beiden Spalten im Interferenz-Experiment der Optik: Sie lassen sich als virtuelle Spalte auffassen.

Solange die eingefangenen Rubidium-Atome ein normales Gas bildeten, addierten sich die Dichten der ausgehenden Atomstrahlen in der Überlagerungsregion einfach (siehe Teilbild a im Kasten). Lag im gefangenen Gas jedoch ein Bose-Einstein-Kondensat vor, zeigte die Momentaufnahme der Strahldichte eine Interferenzstruktur, deren Kontrast umso mehr zunahm, je weiter das Atomgas abgekühlt wurde (Teilbilder b und c) und je mehr Atome sich folglich im kondensierten Zustand befanden.

Wir führten Messungen für verschiedene Gastemperaturen und virtuelle Spaltabstände durch. Die quantitative Analyse der Interferenzmuster demonstrierte die grundlegende Änderung der Materieeigenschaften beim quantenmechanischen Phasenübergang zum Bose-Einstein-Kondensat. Wurde das Atomgas unter die Kondensationstemperatur abgekühlt, tauchte plötzlich ein Interferenzmuster auf, dessen Kontrast mit der Anzahl der kondensierten Atome wuchs und schließlich fast 100 Prozent erreichte.

Ferner zeigte sich, dass die Phasenkohärenz des Bose-Einstein-Kondensats – ganz im Gegensatz zu einem klassischen Atomgas – so gut wie unabhängig vom virtuellen Spaltabstand war. Damit konnten wir erstmals die langreichweitige Ordnung des makroskopischen Quantenphänomens quantitativ bestätigen.




Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2000, Seite 23
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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