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Phantomgeräusche: Tinnitus endlich objektiv messbar

Menschen mit Tinnitus hören ein dauerndes Pfeifen im Ohr. Doch wie lässt sich das messen? Nun hat man einen Ansatz gefunden, um die Störung objektiv nachzuweisen. Das soll Diagnose und Behandlung erleichtern.
Ein Mann hält sich wegen Schmerzen das Ohr zu.

Stellen Sie sich vor, Sie hören ein permanentes Pfeifen, Summen, Rauschen oder Piepsen im Ohr. Erst recht nachts, wenn Sie schlafen wollen. Ungefähr jeder vierte Mensch hat im Lauf seines Lebens das umgangssprachliche »Ohrensausen«. Zumindest berichten sie das. Und hier liegt das Problem: Bis auf ganz wenige Ausnahmen, bei denen das Störgeräusch über ein Stethoskop von außen hörbar ist, nehmen nur die Betroffenen die Töne wahr. Daher mangelt es bisher an einer objektiven Messmethode für einen Tinnitus.

Nun aber konnten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zeigen, dass die Hirnstamm-Audiometrie – im Englischen »auditory brainstem response«, kurz ABR – ein probates Mittel ist, um chronischen Tinnitus zu diagnostizieren. Das haben sie im Magazin »Journal of Clinical Investigation« berichtet. Hierbei werden, wie für ein EEG, Elektroden im Stirnbereich aufgeklebt. Anschließend wird die elektrische Aktivität in den Hirnstammregionen der Hörbahn gemessen, während die Probanden Töne wahrnehmen.

Bei Tinnitus nimmt man an, dass die so gemessenen Potenziale verändert sind – in ihrer Stärke und/oder in ihrem zeitlichen Auftreten. Das Verfahren ist zwar nicht neu, bisher waren sich Forschende jedoch uneins, ob die chronischen Ohrgeräusche auf diese Weise wirklich zuverlässig nachgewiesen werden können. Auch war unklar, welche der im Hirnstamm generierten Wellen als Biomarker brauchbar sind: die elektrischen Signale aus dem Hörnerv, aus den Olivenkernen oder vielleicht doch aus den inferioren Colliculi?

Das Team um Christopher Cederroth hat die bislang größte Studie dazu durchgeführt. Die Forschenden rekrutierten insgesamt mehr als 400 Probanden. Die eine Hälfte von ihnen berichtete von Tinnitus in verschiedenen Ausprägungen, die andere über keine derartigen Symptome. Die Wissenschaftler konnten mittels ABR zeigen, dass die Hirnstammpotenziale derer, die über ein permanentes Ohrenfiepen klagten, von denen abwichen, die nur gelegentlich oder gar keine Störgeräusche hörten.

Verzögerte Hirnstammpotenziale bei Tinnitus

So war die Welle, die von den inferioren Colliculi im Hirnstamm ausgeht, bei ihnen verzögert. Die nur gelegentlich von Tinnitus Betroffenen unterschieden sich in dieser Hinsicht nicht von den Probanden ohne Ohrgeräusche. Laut den Forschern ist die ABR ein sensitiver Biomarker für die Erkennung von chronischem Tinnitus.

Um mehr über den Verlauf der Erkrankung herauszufinden, werteten Cederroth und sein Team zusätzlich die Daten von 20 000 in einer schwedischen Langzeitstudie erfassten Menschen aus. Demzufolge haben Personen mit gelegentlichen Ohrgeräuschen ein erhöhtes Risiko, permanenten Tinnitus zu entwickeln. »Wir müssen diese Ergebnisse verbreiten, so dass Menschen, die ab und zu ein Piepsen im Ohr haben, sich über die Risiken im Klaren sind und die Chance haben, etwas dagegen zu tun«, sagt der Biologe.

Eine Therapie, mit der sich die Ursache behandeln lässt, gibt es derzeit nicht. Die meisten Behandlungen zielen darauf ab, dass Patientinnen und Patienten lernen, mit dem Tinnitus zu leben. Aber auch Hörgeräte können in einigen Fällen helfen. Mit Hilfe des Hirnstamm-EEG lassen sich womöglich bessere Behandlungsmöglichkeiten entwickeln, weil der Erfolg einer potenziellen Behandlung damit messbar ist.

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